Kapitel 14

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Die wahre Überraschung kam erst, nachdem sie bereits drei Tage unterwegs waren. Die Reise kam Erik mehr wie ein verschwommener Traum vor. Landschaften zogen an ihnen vorbei, verschwommene Schatten mehr, als das er sie lange betrachtete. Die letzten zwei Tage hatten sie erneut in den dichten Wäldern verbracht und nur ab und an einen Blick auf ihre Umgebung erhascht. Erik hatte zeitweise das Gefühl, das Mhari sie absichtlich auf einem Umweg durch die Bäume führte, sei es um weiterhin nicht existente Verfolger abzuschütteln, sei es, dass sie die Schatten schlicht vorzog. Letzteres jedenfalls konnte er ihr nicht verübeln, war es während ihres Wegs doch beständig wärmer geworden. Und schnell. Mittlerweile wollte Erik nicht einmal mehr glauben, dass es Anfang Herbst war. Die Temperaturen waren bei weitem zu sommerlich dafür und selbst die Bäume hatten sich verändert. Statt Eichen und Buchen und gelegentlichen Nadelbäumen ragten jetzt Akazien und dichtes Gestrüpp um sie herum auf. Hätte Erik gewusst, dass es welche so nah an Vara gab, hätte er sich schon früher einmal hier umgesehen. Grade weil man aus Rinden und Früchten einige wirksame Medikamente herstellen konnte, das hatte zumindest einst ein alter Botaniker der Universität behauptet. Normalerweise wuchsen diese Bäume aber viel weiter südlich, das war jedenfalls was er gehört hatte. Offenbar mussten wohl einige Bücher in den Bibliotheken Varas überarbeitet werden...

Und dann traten sie das erste Mal seit langem wieder zwischen den Bäumen heraus und Erik wäre beinahe rückwärts wieder in ihren Schutz zurück gestolpert. Das war nicht möglich, war sein einziger Gedanke. Vor ihnen breiteten sich nicht etwa die Felder und Wiesen der Herzlande aus, sondern eine schier endlose Eben aus hohem, strohgelben Gras, das lediglich von Tafelbergen und einer gepflasterten Händlerstraße unterbrochen wurde. Direkt an dem Weg und im Schutz eines hohen Sandsteinblocks gelegen, gab es anscheinend ein kleines Gasthaus, mit einer Stallung davor, in der mehrere Karren untergestellt waren. Vermutlich die Karawane eines Händlers, der sich in die freien Königreiche aufmachte. Oder schon da war...

Das Gasthaus selbst schien halb in den Stein eingelassen. Ein halbes, abgewinkeltes Dach schloss nahtlos mit dem Felsen ab und auch die Mauern waren scheinbar direkt aus dem Sandstein geschlagen worden. Roter Wein überwucherte diese und Gedieh auch auf auf einigen Terrassen, die in den Fels über dem Gasthaus geschlagen worden waren. Zypressen spendeten in den Gärten darunter Schatten und irgendwo in dem Felsen musste sich wohl auch eine Quelle verbergen, den Erik konnte das glitzern von Wasser sehen, das in einer Rinne am Gasthaus vorbei und zu einem Brunnen hinter den Stallungen floss. Direkt an der Straße gelegen, fand der Wein vermutlich auch reißenden Absatz bei sämtlichen Händlern, die den langen aber lukrativen Weg nach Osten und vielleicht auch weiter nach Süden hinab wagten, wo Gewürze, Tabak und Edelsteine in rauen Mengen gewonnen und gehandelt wurden. Erik war nur zu klar, wo er sich befand und was er vor sich hatte, er fragte sich nur, wie es möglich war. Das war die Steppe Erindals, der größten Stadt der freien Königreiche... Aber sie hätten Monate bis hierher brauchen müssen, sie... sie durften, nein konnten, nicht hier sein. Und doch waren sie es....

Die freien Königreiche waren ein loser Verbund aus Stadt und Kleinstaaten, die sich die gesamte Ostküste des Kontinents hinab erstreckten und damit fast eine Fläche umfassten, die der des Kaiserreichs gleich kam. Allerdings war dieser Verbund nur dann wirklich stark, wenn es darum ging, eventuelle Vorstöße des Kaisers aufzuhalten und selbst dann mochte ein Stadtkönig den anderen im Regen stehen lassen, wenn er sich davon einen Vorteil erhoffte. So gesehen waren sie kaum mehr als unwillige Vasallen Cantons auch wenn ihnen das besser wohl nicht ins Gesicht sagte. Und sie führten untereinander noch mehr Konflikte als mit dem Kaiser, der auf die kleinen Grenzverletzungen schon kaum mehr reagierte, da die freien Reichen ohnehin untereinander so lange die Schuld zuschoben, bis dem Kaiser nur noch blieb, die Sache fallen zu lassen oder eine Strafexpedition gegen das gesamte Kollektiv zu entsenden, die ihn am Ende mehr kosten würde, als die Sache Wert war. Und er hatte gar kein Interesse daran, die freien Königreiche auszulöschen, dachte Erik. Dazu stellten sie ein viel zu gutes Schild gegen Laos da, ein Land, von dem bestenfalls Gerüchte bis nach Canton drangen. Das... und der düstere Ruf, den seine Krieger hatten. Männer, die sich selbst in der kochenden Hitze der Wüste komplett in roten Stoff und Stahl hüllten und dabei den Tod brachten, während die meisten normalen Klingen an ihren Panzerungen abglitten. Manche behaupteten sogar es handle sich bei diesen Fremden gar nicht um Menschen sondern um die Geister einer antiken Expeditionslegion, die ein lange vergessener Vorfahr von Caius einst nach Süden entsendete. Ein wahnwitziger Kriegszug von zehntausend Mann, der von der Wüste verschlungen wurde und das Reich damit auf Jahrzehnte Militärisch schwächte... Ob nun Geister oder Menschen, solange es die freien Königreiche gab, musste der Kaiser keine Truppen auf dieses Problem aufwenden. Nicht, bis er nicht glaubte, bereit dafür zu sein. Die Stadtstaaten wären leicht zu erobern, doch der Krieg, der dann folgen würde, war nur schwer einzuschätzen.

Erik - Die UnsterblichenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt