Kapitel 23 - Trauerfeier

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Zeitsprung -- 5 Tage später --

Ich saß neben Mira ganz vorne in der ersten Reihe neben Nicks Familie auf der kalten Bank der kleinen Kapelle. Es war geschmückt, hübsch dekoriert, aber ich hatte nie in meinem Leben einen trostloseren Ort gesehen als den hier.
Mira neben mir weinte leise wie schon die ganzen letzten Tage.
Seit ich wieder hier war, hatte ich keine einzige Träne vergossen. Dort, wo einst ein Herz war, war jetzt ein Loch. Eine leere Hülle, die mich durch ihr unerbittliches Pumpen am Leben hielt. Aber mein Herz, das hatte ich in Gelsenkirchen gelassen. Ich hatte es Julian da gelassen, als ich ihm ins Gesicht gelogen hatte, und ich hatte Bene gebeten, es zu beschützen, als ich ihn in Dortmund ein letztes Mal in den Arm nahm und dann in den Bus stieg.
Jetzt saß ich hier und schaute auf den hölzernen Sarg vor mir und empfand... nichts. Es war einfach alles leer.

Der Pastor sprach über Nick, als hätte er ihn gut gekannt, was er nicht tat. Er kannte ihn nicht.
Nicks Mutter hielt eine kleine Rede. Sie war schrecklich, viel zu viele Tränen.
Als der Sarg dann nach draußen gebracht wurde, hallten meine Schritte endlos in meinem Kopf nach.
Wohin würde ich jetzt gehen? Ich hatte den Sinn in meinem Leben gerade erst gefunden, aber ich hatte alles zerstört und jetzt gab es keinen Sinn mehr.

Mira und ich verließen die Feier so früh es eben ging und verschanzten uns zu Hause. Mira weinte unerbittlich weiter, ich lag auf dem kalten Fußboden und starrte die Decke an.

"Glaubst du an Schicksal?", fragte Mira irgendwann mit krächzender Stimme.
"Ich bin Medizinstudentin. Ich sollte in allem eine logische Erklärung finden oder mich an rational erklärbare Fakten halten. Aber das ist nicht logisch. Ich hab mal an Schicksal geglaubt, aber mein Schicksal ist verloren. Also nein, ich glaube nicht an Schicksal."
"Ich auch nicht", meinte sie.

Noch am selben Tag zog ich bei Mira ein und wir gründeten eine WG. Alleine würden wir es nicht schaffen. Ich holte meine Sachen Stück für Stück und kündigte schließlich meinen Mietvertrag.

Drei Wochen waren seit der Feier vergangen. Wir besuchten jeden Tag Nicks Grab. Die restliche Zeit verbrachten wir damit zu lernen. Denn der Unistoff war das einzig erklärbare im Moment.
Ich vermisste Bene und alle anderen, aber besondern Julian, jeden Tag mehr. Julians T-Shirt roch inzwischen nicht mehr nach ihm. Es war, als hätte ich ihn mir nur eingebildet.
Bene hatte öfter versucht, mich auf dem Handy zu erreichen, aber ich hatte ihn schnell auf WhatsApp blockiert und ignorierte seine Anrufe. Er rief jeden Tag mindestens ein Mal an...
Ich wollte nicht hören, dass er mir Vorwürfe machte, dass Julian mich jetzt hasste. Ich wollte gar nichts mehr.

Vor einer Woche hatte die Uni wieder angefangen und sie hatten einen Erinnerungstisch für Nick aufgestellt mit Bildern, Plüschtiere und Kerzen. Das würde ihn auch nicht wieder zurückholen, aber es fühlte sich zumindest im ersten Moment so an, als wäre er noch da.

Aber Mira und ich waren alleine. Alleine in einer Welt ohne Liebe. Sie hatte ihre Liebe verloren. Ich hatte dafür gesorgt, dass es bei mir genauso war.

wanted stranger (Julian Draxler FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt