Kapitel 28 - Aussprache (Teil 1)

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Ich war eine Viertelstunde zu früh bei Starbucks und setzte mich an den hintersten Tisch. Ich vergrub das Gesicht in den Händen und seufzte leise.
Was würde mich jetzt erwarten? Würde Julian überhaupt kommen? Würde er mir zuhören?

Zehn Minuten lang saß ich da und es war wie eine Zerreißprobe. Ich hätte schreien können.
Fünf Minuten vor neun ging die Tür auf und da stand er. Er sah so unglaublich gut aus. Man sah ihm zwar an, dass er wenig geschlafen hatte, aber er wirkte nicht mehr so verloren wie an dem Tag, an dem ich gegangen war. Er fuhr sich durch die Haare und sah sich dabei um, bis er mich schließlich sah. Ich machte gar nichts, starrte ihn einfach nur an.
Schließlich kam er langsam auf mich zu und blieb etwas unschlüssig neben dem Tisch stehen. Zuerst wagte ich es nicht, ihm in die Augen zu sehen, bis ich schließlich doch hochschaute. Mein Blick traf auf diese schokobraunen Augen, die ich so sehr vermisst hatte.
"Hallo", sagte er schließlich, schluckte einmal schwer und setzte sich mir gegenüber. Zu gern hätte ich nach seiner Hand gegriffen, ihn berührt, aber ich hielt mich zurück und starrte auf die Tischplatte.
Er war wirklich gekommen! Und mein Herz spielte in seiner Nähe augenblicklich wieder verrückt.

Das erste Wort nahm mir wenige Sekunden darauf ein Starbucks-Mitarbeiter ab.
"Ich hätte gern einen starken Kaffee", bestellt Julian. Ich lehnte ab. Ich würde gar nichts runter kriegen.
Als ich wieder hoch sah, ruhte Julians Blick auf mir. Er musterte mich und sah mir dann wieder in die Augen.
"Du siehst gar nicht gut aus", meinte er dann leise.
"Ich hab nicht geschlafen", erklärte ich nur kopfschüttelnd.
"Warum nicht?"
"Ich hatte Angst. Ich hab immer noch Angst", gestand ich. "Erst hatte ich Angst, dass du nicht kommst und jetzt habe ich Angst, dass ich es nur noch schlimmer mache." Meine Hände zitterten, sodass ich sie schnell unter dem Tisch verbarg.
"Wie könntest du es denn noch schlimmer machen?", fragte er nur tonlos und sah aus dem Fenster.
"Indem ich keine Erklärung finde. Ich kann es mir ja selbst nicht erklären." Ich vergrub mal wieder das Gesicht in meinen Händen und kämpfte mit meinen Tränen.
"Versuch es einfach", forderte er dann ruhig. Der Typ von eben kam wieder und stellte Julian eine Tasse vor die Nase.
"Also... an dem Tag hab ich einen Anruf bekommen", begann ich und stockte aber wieder.
"Sprich weiter, Hanna", flehte er.
"Ich hab erfahren, dass mein bester Freund in München gestorben ist." Ich schluckte. Julian sah mich mitleidig an und griff nach meiner Hand, die auf dem Tisch lag. Er umfasste sie mit beiden Händen und gab mir dadurch plötzlich Kraft. Seine Hände waren schön warm und so vertraut.
"Ich hab die Welt nicht mehr verstanden... Und dann kam denk ich alles zusammen. Sein Tod, die Tatsache, dass ich in München studiert habe, die ganze Sache mit Lena... Ich hab an dieses Mädchen im Park zurück gedacht, das meinte, dass ich nicht hübsch genug für dich wäre. In dem Moment war ich überzeugt, dass sie Recht hat. Immerhin bin ich ein Niemand, ich bin so gut wie pleite und auch sonst bin ich einfach nicht gut genug für dich. Ich hab dummerweise gedacht, es wäre das Beste für dich, wenn ich gehe. Aber ich hab dir in die Augen gesehen und wusste, dass du das nicht zulassen würdest. Und deshalb hab ich gelogen. Ich hab keinen anderen Weg mehr gesehen, als dich zu belügen. Ich hab..." Und mein Redewasserfall verwandelte sich in ein Schluchzen und ich begann zu weinen.
"Hanna...", flüsterte Julian. Er stand auf und setzte sich neben mich auf die kleine Bank. Und er zog mich in seine Arme. Ich vergrub mein Gesicht an seiner Brust und hörte seinem Herzschlag zu, der gleichmäßig aber etwas zu schnell war. Ich genoss die Wärme, die er ausstrahlte und wünschte so sehr, dass ich ihn nie wieder loslassen musste. Seine Hand fuhr beruhigend über meinen Arm, was mir nur zusätzlich noch eine Gänsehaut verpasste. Ich sog seinen Geruch in mich auf und blieb ganz still, bis meine Tränen versiegt waren.
"Ich kann dich gar nicht verdient haben", flüsterte ich schließlich.
"Ich setz mich jetzt wieder rüber, okay? Bevor mich irgendwer erkennt", meinte er und dann war er weg. Nur meine Gänsehaut blieb. Ich sah traurig zu ihm rüber und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht.
"Wieso hast du denn nichts von diesem Freund gesagt? Ich wäre doch für dich da gewesen", meinte er dann leise und nippte an seinem Kaffee.
"Ich hab es niemandem erzählt", sagte ich. "Meine beste Freundin war mit ihm zusammen. Bei mir sind alle Sicherungen durchgebrannt. Es tut mir einfach nur schrecklich Leid!"
"Okay."
Ich sah ihn verständnislos an.

wanted stranger (Julian Draxler FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt