Nur beinahe

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Rosies Sicht
Es war inzwischen Juni geworden und Loki hatte sich ziemlich gut hier eingelebt. Man hätte denken können, dass er nie woanders gewesen wäre als auf der Erde.

Seit dem Vorfall mit der Kreide war nichts weiter passiert.
Ich redete mir ein, dass Nick ja vielleicht doch zur Vernunft gekommen sein könnte.

Die Ferien gingen langsam zu Ende und ich dachte mit Abscheu an die endlosen Vormittage im Klassenzimmer, die ich bald wieder totschlagen müsste. Meine Abiturprüfungen rückten auch immer näher und ich wusste, dass ich eigentlich dringend anfangen sollte, mich darauf vorzubereiten. Doch meine Faulheit (und zugegeben auch Loki) hielten mich davon ab. Er ging mir nicht mehr aus dem Kopf seit der Nacht auf der Lichtung und ich musste mir wohl wirklich langsam eingestehen, dass ich bis über beide Ohren in ihn verknallt war. Das kostete mich jedoch anfangs einige Überwindung, denn es war für mich unvorstellbar, dass jemand wie er etwas für mich empfinden könnte. Er war so perfekt. Ich meine er war ein Gott! Okey, ein Halbgott aber das machte es wirklich nicht besser.
Das war unmöglich und mein Verstand sagte mir andauernd, dass ich mir diesen blöden Gedanken aus dem Kopf schlagen sollte, bevor ich verletzt wurde aber mein Herz war da anscheinend (wie sooft) anderer Meinung...

Doch für heute hatte ich mir ganz fest vorgenommen, etwas für meine Matheprüfung zu tun, denn das war mit Abstand das Fach, von dem ich am wenigsten Ahnung hatte.
Ich saß also am Esstisch und hatte mein Aufgabenbuch vor mir aufgeschlagen. Mein Block war aber leider noch schneeweiß... Was konnte ich dafür wenn diese dummen Matheleute meinten, sie müssten aus einer Rechenaufgabe einen philosophischen Aufsatz machen. Das kapiert doch niemand.
Die nächste Aufgabe war besonders doof: ,,Lisa spielt Mensch ärgere dich nicht. Sie braucht entweder eine 5 oder eine 3 um ihren Mitspieler schmeißen zu können. Sie möchte wissen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie ihn NICHT schmeißen kann."
Wer zur Hölle will bei einem Spiel die Wahrscheinlichkeit ausrechnen?!
Schließlich beschloss ich dieser offensichtlich gestörten Lisa ihre Aufgabe selber zu überlassen und holte mir was zu essen. Ein bisschen Nervennahrung musste sein. Ich konnte mich stundenlang über die Aufgaben aufregen, aber das brachte mich in der Klausur bedauerlicherweise nicht sehr weit..
Also schob ich mir ein Stück Schokolade in den Mund und schrieb die Seite und die Nummer ab.
So, der Anfang war schonmal geschafft. Ich hätte wirklich angefangen zu rechnen, wäre nicht in genau diesem Augenblick Loki im Zimmer erschienen.
Schön.
Das wars dann für heute mit meiner Konzentration.
Naja, eigentlich war die noch nie dagewesen...
,,Mir ist langweilig." quängelte er und kam zum Tisch rüber.
,,Was machst du da?" fragte er und beugte sich interessiert über mein Buch.
,,Die gröste Scheiße, die es hier auf der Erde gibt." antwortete ich und vergrub den Kopf in meinen Händen.
,,Aha das klingt ja spannend." meinte er gespielt beeindruckt, was mich zum Lachen brachte.
,,und kann ich dir dabei irgendwie behilflich sein?" fragte er und machte ein unschuldiges Gesicht.
'Nein im Gegenteil', dachte ich und seufzte.
,,Nein ich glaube nicht, esseidenn du willst mein Abi für mich schreiben."
,,Was auch immer das ist, nein Danke. Hört sich nach viel Stress an..." meinte er und drehte sich um.
,,Ich geh dann mal ein bisschen raus...
...in die Sonne...
...ein Eis essen...
...ich würde dich ja einladen aber du bist leider zu beschäftigt, nicht wahr?" stichelte er und grinste breit.

Einen Moment schielte ich zwischen meinem Mathebuch und Loki hin und her. Ach scheiße ich komm mit. Ich konnte ja überhaupt nicht anders!
Ich schlug mein Buch zu und folgte ihm nach draußen.
,,Du bist gemein." murmelte ich gespielt beleidigt und nahm mir meine Jacke. Lokis Grinsen wurde nur noch ein bisschen breiter.

Gemütlich schländerten wir durch unsere kleine Stadt und es war wirklich tausendmal besser als Lisa und ihr Mensch ärgere dich nicht.
Ich atmete die frische Sommerluft ein und war in disem Moment einfach glücklich. Das Abi konnte warten.
Bei meiner Lieblingseisdiele holten wir uns beide zwei Kugeln und liefen zu einem kleinen Teich, etwas auserhalb. Auf dem Wasser gab es mehrere hölzerne Plattformen und wir machten es uns auf einer davon gemütlich.
Seerosen in weiß und rosa blühten auf dem Wasser und hin und wieder sah man einen kleinen Goldfisch an der Oberfläche. Ich lächelte zufrieden und knabberte an meiner Waffel.
Doch ehe ich realisierte, was passierte, war mein Eis verschwunden. Meine Hand war leer. Als ich den Grund erkannte, musste ich lachen. Vor mir saß ein kleiner, wuscheliger Hund und kaute genüsslich auf den Resten meiner Waffel. Er leckte sich ein paar mal über die Schnauze und schaute mich mit unschuldigen Augen an. Anscheinend hatte es ihm geschmeckt. ,,Na du? hattest du ein bisschen Hunger?" lachte ich und streichelte seinen Kopf. Ihm schien das zu gefallen und er legte sich quer über meine Beine. Ich kraulte seinen Bauch und redete leise mit dem braunen Fellkneul.

Lokis Sicht
Lächelnd beobachtete ich sie von der Seite. Sie sah unglaublich süß aus, wie sie mit dem kleinen Hund redete, der sich auf dem Rücken ausstreckte und sich von ihr streicheln lies.
Plötzlich ertönte ein lauter Pfiff und der Hund sprang auf und rannte eilig zu seinem Herrchen. Wir blickten beide über die Schulter. Es war ein nett aussehender, älterer Herr, der uns mit einem Winken grüßte. ,,Hallo ihr zwei, tut mir wirklich leid. Mein kleiner Rex macht sich manchmal selbstständig..." erklärte er entschuldigend und nahm den Kleinen auf den Arm.
,,Kein Problem, er hat uns nicht gestört. Er ist wundervoll!" erwiederte Rosie mit einem warmen Lächeln. Der Mann verabschiedete sich erleichtert und machte sich wieder auf den Weg. Wir sahen den beiden noch einen Moment lang nach, dann drehten wir uns wieder um und unsere Blicke trafen sich. Ich blieb an ihren blau-grünen Augen hängen, die durch die Sonne zu leuchten schienen. Ihr Mund formte immer noch ein breites Lachen, das langsam zu einem Lächeln wurde. Wir waren uns auf einmal unglaublich nahe und ich konnte beinahe mein eigenes Herz schlagen hören.
Auf einmal hatte ich das unglaublich starke Verlangen, sie zu küssen. Hier und jetzt.
Für einen kurzen Augenblick zweifelte ich. War es nicht noch zu früh?
Was wenn sie das überhaupt nicht wollte?
Ich hatte schon so viele Frauen geküsst und trotzdem kam es mir so vor, als müsste ich das zum ersten Mal machen.
Meine ganze Selbstsicherheit war auf einmal wie nie dagewesen und ich fühlte mich wie ein hilfloser Junge.
Ich traute mich nicht.

Wütend auf mich selbst richtete ich meinen Blick starr auf das unbewegte Wasser.
Irrte ich mich oder war da ein wenig Enttäuschung in ihren Augen gewesen?

BEHIND BLUE EYES (loki ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt