Genug Aufregung für einen Tag

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Rosies Sicht

Ich konnte nichts mehr sehen. Lokis Rücken versperrte mir die Sicht auf diesen unheimlichen Mann und ich war froh darüber. Der Nebel war nun so dicht geworden, dass man nicht weiter als höchstens zwei Meter voraus blicken konnte und es war bitterkalt. Die alten Bäume knarrten im eisigen Wind und hin und wieder hörte man Schreie einer Eule oder das Knacken eines Astes. Jedes Mal zuckte ich aufs Neue zusammen. Ich konnte nichts tun außer abwarten, bis irgendetwas passierte, um diese Totenstille zu brechen. Vorsichtig spähte ich hinter Loki hervor und klammerte mich an seine Jacke. Der Mann war immer noch da. Er stand unmittelbar vor uns, machte jedoch keine Anstalten sich zu bewegen. Er stand einfach nur starr da, die Arme schlaff neben dem Körper und den Kopf schief gelegt. Er starrte uns mit seinen kalten Augen an, ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln und in ihnen loderte der pure Wahnsinn. Ich war völlig überfordert mit dieser Situation. Ich meine wie groß war bitte die Wahrscheinlichkeit, dass genau wir diesem Typen begegneten? Ich wusste nicht was ich tun oder wie ich mich verhalten sollte, aber bevor ich mir dazu weitere Gedanken machen konnte, bewegte der Mann plötzlich seine Lippen. Zuerst kamen keine Worte heraus, nur krächzende Laute, doch nach und nach formten sich Wörter daraus und schließlich konnte man ihn vollständig verstehen: ,,Warum nehmt ihr mich nicht mehr in den Arm?" fragte er mit einem gequälten Gesichtsausdruck  und eine Träne lief über seine blasse Wange. Irritiert schaute ich zu Loki auf, der meinen Blick mit besorgter Miene erwiderte. ,,Wie ist dein Name?" wagte er einen Versuch und fokussierte den Mann mit zusammen gekniffenen Augen, angespannt, bereit sich zu verteidigen, wenn es darauf ankam. Im fahlen Gesicht des Patienten veränderte sich etwas und ein Grinsen bildete sich auf seinem Mund, seine Augen blieben jedoch weit aufgerissen und hielten uns wachsam im Blick. ,,Du hast es mir versprochen!" brüllte er plötzlich und sein Gesicht verzog sich zu einer schrecklichen Fratze. Ich zuckte zusammen und krallte mich noch mehr in Lokis Jacke fest. Einen Moment später lächelte er wieder aber der pure Hass glänzte noch in seinen Augen.  Loki hob beschwichtigend die Hände und wollte gerade etwas sagen, da zog diese unheimliche Gestalt ruckartig eine Art Eisenstange unter seinem weiten Hemd hervor und ehe einer von uns reagieren konnte, schlug er sie Loki mit aller Kraft gegen die Stirn. Er fasste sich benommen an den Kopf und betrachtete seine Hand, an der das Blut in Strömen herunter lief. Entsetzt starrte ich auf die klaffende Wunde. Mit einem Stöhnen taumelte Loki nach hinten, stolperte und landete unsanft auf dem feuchten, blätterbedeckten Waldboden. Er regte sich nicht mehr und ich stieß einen entsetzten Schrei aus. ,,Loki!" ich eilte zu der Stelle, an der er lag und kniete mich vor ihm auf den Boden. Hinter mir hörte ich das hämische Lachen des Mannes, aber es war mir im Moment so egal, dass ich mich nicht einmal umdrehte. Ich sah nur Loki. Er lag auf der Seite und seine Augen waren geschlossen. Blut lief über sein Gesicht und tropfte auf den braunen Schlamm. Es war ein schrecklicher Anblick, der mich fast um den Verstand brachte. Was sollte ich tun? Wie konnte ich ihm jetzt helfen? Panisch rüttelte ich an seiner Schulter. ,,Loki, Loki, wach auf!" flehte ich und bemerkte die Tränen, die mir unaufhörlich über die Wangen liefen. Ich griff nach seiner Hand, die kraftlos in meiner ruhte und versuchte seinen Puls zu fühlen. In diesem Augenblick packte mich etwas an den Schultern und zog mich ruckartig nach hinten, sodass ich unsanft auf den Rücken fiel und ich für einen Moment keine Luft mehr bekam. Verzweifelt schnappte ich nach Luft und versuchte mich aufzurichten. Ich schaffte es bis auf die Knie, dann stand ich wacklig auf und stellte mich breitbeinig vor Loki. Der Irre stand mir gegenüber und grinste mich mit einem Grinsen an, das mir eine Gänsehaut bereitete. ,,Wieso tun Sie das?" schrie ich aufgebracht und Verzweiflung machte sich in mir breit. Der Mann zuckte mit den Schultern und hob langsam die Eisenstange vom Boden neben sich auf. Er lächelte mich an und machte einen Schritt auf mich zu. Ich wich um keinen Zentimeter. Drohend hob er die Stange mit beiden Händen über den Kopf, dann fing er zu meiner Verwirrung an zu summen und lachte immer noch, als er wie in Zeitlupe auf mich zu humpelte. Ich dachte nicht daran von Loki weg zu gehen und starrte ihm grimmig direkt ins Gesicht. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und machte die Augen zu. Ich wusste nicht warum. Ich konnte sie nicht offen lassen. Ich konnte seinem wahnsinnigen Blick nicht länger stand halten. Mit zusammengekniffenen Augen wartete ich auf den bitteren Schmerz, den ich erwartete. Ich grub meine Fingernägel in meine Handflächen, bis  es wehtat und presste meine Zähne aufeinander. Diese Spannung war unerträglich. Diese Ungewissheit. Dieses Warten auf etwas, dem man nicht entgehen kann.

BEHIND BLUE EYES (loki ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt