Als ich vor ein paar Monaten mit dem Zug nach Hause gefahren bin, habe ich mein Handy vergessen und habe deswegen die Leute beobachtet, aus dem Fenster geschaut und meine Gedanken schweifen lassen. Und da fand ich ihn: einen schönen Gedanken. Das Leben ist wie eine Zugfahrt (selbst nicht metaphorisch gesehen stimmt das, weil ich 20% meines Lebens mit Zug fahren verbringe). Du steigst irgendwann ein, irgendwann aus. Manche Leute haben eine kurze Fahrt, manche eine ziemlich lange. Manche Menschen fahren von Anfang bis Ende mit dir, manche sind nur ein paar Stationen dabei. Und so, dachte ich in dem Moment, ist es auch im Leben.
Sarah, das weiß ich, wird von Anfang bis Ende mit mir fahren. Wir sind nur eine Woche auseinander geboren, und ich glaube nur der Tod könnte uns wirklich trennen. Und vielleicht, vielleicht war David nie von Anfang bis Ende gedacht. Vielleicht wollen wir wirklich zu unterschiedliche Dinge, vielleicht fährt mein Zug in eine für ihn völlig falsche Richtung, vielleicht muss er eine Abzweigung nehmen. Aber es ist nur ein Vielleicht. Was ist, wenn ich falsch liege? Was ist, wenn wir doch füreinander bestimmt sind?
Ehrlich gesagt, bin ich mir ziemlich sicher, dass niemand anders vom Charakter her besser zu mir passen würde. Er ist wie eine nettere, männliche Sarah. Was will man mehr? Naja, vielleicht jemanden, der im gleichen Land, zumindest auf dem gleichen Kontinent wie ich leben möchte? Jemanden, der Zeit für mich haben wird, wenn ich in Deutschland bist? Jemanden, mit dem ich ungestört essen gehen kann? Jemanden, den Teenie-Mädels nur anstarren, weil er heiß ist? Jemanden, den niemand anders so sehr liebt wie ich?
Aber dafür ist David nahezu perfekt. Er ist so ziemlich alles, was ich mir wünsche, nur manchmal bringt er wirklich unlustige Witze, da hilft alles Verliebtsein nichts, man kann trotzdem nur über ihn lachen. Doch es gibt niemanden, den ich lieber lieben würdest. Wirklich nicht. Und Liebe ist Kompromisse, keine Beziehung ist problemlos meisterbar. Und haltet mich für idiotisch, aber ich wusste schon mit 15, dass ich ihn heiraten würde (wenn er in Deutschland leben würde) und deswegen können wir beide nicht aufgeben.
Letzte Nacht war wirklich hart. Wir haben jede mögliche Zukunft ausdiskutiert:
Ich ziehe zu ihm nach Amerika und baue mir mein Leben hier auf. Doch meine Abneigung gegenüber Trump, das merkwürdige System und mein Leben in Deutschland sprachen dagegen. Außerdem könnte ich mir das College niemals leisten. Da schrie David mich an, weil ich sein Geld nicht annehmen wollte und ich es nicht unnötig kompliziert machen sollte. Außerdem bin ich nicht bereit auszuwandern.
Möglichkeit Nummer 2: Er besucht mich alle paar Monate. Das wäre erstens wieder eine Fernbeziehung, obwohl wir uns öfter sehen könnten als früher, da er reich genug für Flugtickets ist. Und zweitens wäre sein ökologischer Fußabdruck immens hoch, da hat David nur die Augen verdreht und meinte, mit der Welt ist es eh vorbei, aber nicht mit unserer Liebe (was für ein Romantiker, vielleicht schreibt er ein Lied darüber). Diese Option fanden wir gar nicht so schlecht, nur dann haben wir uns daran erinnert, dass wir das nicht für immer aufrecht erhalten können, geschweige denn, wenn wir eines Tages heiraten wollen.
Wir wohnen ein halbes Jahr hier, ein halbes Jahr da. Da stimmte mir auch David zu, dass das überhaupt nicht gut für den ökologischen Fußabdruck und unsere Nerven ist. Das wäre unheimlich stressig und wie sollte ich studieren?
Wir ziehen nach Grönland (das liegt ungefähr in der Mitte). Das verwarfen wir ziemlich schnell nach Lesen des Wikipediaartikels von Grönland. Ziemlich erschreckend. Ein Land, das in Alkoholproblemen versinkt, in dem es keine Psychologen gibt und Missbrauch und Selbstmord an der Tagesordnung sind. Die grönländische Suizidrate ist die höchste der Welt. Außerdem sollen dort ein Drittel aller unter 15-Jährigen bereits sexuell missbraucht worden sein. Grönland ist also nicht das Land mit höchster Lebensqualität.
Ich werde auch berühmt. Paparazzi. Gruselige Fangirls. Die Öffentlichkeit. Und naja, das größte Problem: Ich kann nicht singen und um Model zu werden wiege ich zehn Kilo zu viel. Naja, ich kann es ja einfach wie Kim Kardashian machen, nur leider ist nichts an mir irgendwie bemerkenswert. Da hat David mich schon wieder angeschrien. Außerdem will ich gar nicht berühmt werden und wenn, dann nur weil ich krass bin und nicht weil mein Freund krass ist. Kurz, alle Wege landeten in Sackgassen.
Nur zwei Themen wichen wir gekonnt aus. Dem Ende unserer Beziehung und dem Ende von Davids Karriere. Denn wie können wir uns loslassen, wo wir uns doch gerade erst wiedergefunden haben? Und wie könnte David das aufgeben, wofür er so hart gearbeitet hat. Nein, es muss irgendwie funktionieren.
Auch wenn wir gerade auch nach sieben Stunden Diskussion zu keinem Ergebnis gekommen sind, auch wenn jeder andere Weg eine Sackgasse ist, auch wenn David nicht nach Deutschland ziehen kann, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob ich hierbleiben will, kann ich es nicht aufgeben. Ich muss es versuchen.
Er ist es mir wert.
„Hey David...", stupse ich ihn an. Es ist acht Uhr und ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. „Hmm?", macht er und versucht die Augen aufzumachen. Ich drehe mich zu ihm um und flüstere ihm ins Ohr: „David, ich versuche es, für den Rest der Tour und wenn es gut geht, können wir an die Öffentlichkeit."
„Wirklich?", lächelt er verschlafen. „Ja, ich liebe dich." „Ich dich auch.", flüstert er und zieht mich an seine Brust. „Wir schaffen das schon.", murmelt er und küsst mich. „Glaubst du?", frage ich. „Wir müssen. Ich kann nicht nochmal über dich hinweg kommen.", gesteht er und Angst steht in seinen Augen. Und ich bin mir sicher:
Ich habe noch viel mehr Angst.
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Hat sonst noch jemand Angst?
x alterade
P.S.: Alle Fakten über Grönland sind wahr.
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Love Songs For Me
HumorLiebeslieder? Hört man doch jeden Tag. Aber was würdest du tun, wenn du im Radio plötzlich ein Lied über dich hören würdest? Dieser Frage muss Joëlle sich stellen, als ihr Exfreund David, ein Austauschschüler aus Amerika, ihr Jahre später ein Li...