„Bist du dir sicher?", fragt Sarah während wir jedes Junkfood in Amerika essen, das sich per Zimmerservice bestellen ließ. Ich nicke. „Ziemlich sicher." „Stimmt dich frittierte Butter nicht um?", versucht sie es nochmal. Ich schüttle traurig den Kopf. „Pizza mit Käserand?" „Das gibt's auch bei Pizza Hut in Deutschland, Sarah.", sage ich, aber ich muss lächeln. „Hm... Dann muss ich die schweren Geschütze auffahren: Walmart!", sagt sie bedrohlich. Wir waren bisher in jeder Stadt in einem Walmart und es ist immer wieder eine Freude. Ich lache: „Okay, das wäre ein Grund." „Siehst du! Nicht alles an Amerika ist scheiße!", muntert sie mich auf.
Ich lache. „Natürlich werde ich es hier vermissen, ich liebe David, ich liebe die Band – also auf sehr freundschaftliche Weise, aber ich fühle mich einfach nicht wohl." „Und das liegt ganz sicher nicht daran, dass du dich noch nicht eingewöhnt hast?", hakt Sarah noch einmal nach. „Ganz sicher. Ich glaube nicht, dass ich mich jemals an diese verrückten Fans oder diese merkwürdige gestellte Welt gewöhnen kann.", sage ich langsam. In den letzten Tagen habe ich so viel nachgedacht und ich bin zu keinem guten Schluss gekommen. „Sarah, was wäre das denn für ein Leben hier für mich? Ich bin so schlecht in Englisch, niemand würde mich je einstellen! Und ich in diesem Umfeld, was würde ich denn für Freunde finden? Hier ist niemand echt! Jeder nutzt jeden aus, für Sex, für Geld, eine neue Rolle, die neuste Tasche von Louis Vuitton. Solche Freunde will ich nicht, naja, wahrscheinlich bin ich eh zu uninteressant für die.", schnaube ich.
„Wow, Jo, du hast dir ja ganz schön viele Gedanken gemacht!", Sarah ist verblüfft und ihr Löffel Eis fällt wieder zurück in den Becher. „Ja, habe ich. Du kennst mich doch.", ich zucke mit meinen Schultern, „Ich habe mir sogar noch mehr Gedanken gemacht und sie gehen alle schrecklich aus. Wenn ich jetzt, nach erst 5 Wochen schon genervt bin und nicht so viele positiven Seiten sehen kann, wie sieht es dann in einem Jahr aus? Wenn ich jetzt schon jeden Abend meckere...?" „Ach Schatz...", beginnt sie, doch auch ihr fehlen die Worte.
„Und weißt du, was das Schlimmste ist? Ich liebe David so sehr, dass ich trotzdem nicht gehen kann. Und das Schlimmste ist, dass ich weiß, dass wir, wenn ich hierbleibe, nie eine glückliche Beziehung haben werden.", flüstere ich. „Wie kommst du denn dadrauf, Jo?", fragt Sarah überrascht. „Ich werde unglücklich sein und ich werde unglücklich sein, weil ich ihn statt meinem Leben in Deutschland gewählt habe. Eigentlich wollte ich ja meine Träume verfolgen, du weißt schon: den Studienplatz wechseln und Journalismus studieren, das machen, wovon ich schon seit ich 12 bin träume. Aber ich will lieber das aufgeben als David.", gestehe ich.
„Oh.", sagt sie leise und wir schweigen eine Weile. „Bist du dir sicher?", fragt sie ein letztes Mal, „Du bist doch erst 20. Glaubst du wirklich, dass er der Eine ist?" Ich nicke entschlossen. Es gibt eigentlich nichts, wobei ich mir sicherer bin. „Das heißt, wenn er dir morgen einen Antrag machen würde, würdest du ja sagen." „Ja.", sage ich ohne zu zögern. „Also ja von den Gefühlen her. Aber naja, also im zweiten Moment würde ich vielleicht doch nur vielleicht sagen, ich meine, ich will nicht mein ganzes Leben ein Anhängsel eines Rockstars sein. Also vielleicht würde ich auch nein sagen."
„Da hast du's.", sagt Sarah weise. „Wie?" „Ich bezweifle ja gar nicht, dass ihr perfekt zusammenpasst, ich bezweifle nur das Timing. Die Situation, weißt du? Du und David habt es nicht verdient so eure Beziehung zu zerstören. Ihr könntet unglaublich glücklich sein, nur nicht jetzt. Wer weiß, Jo, vielleicht ist er in fünf Jahren Architekt und hat keine Lust mehr auf das ShowBiz. Aber jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt." „Also meinst du ich soll...", ich wage es nicht, den Satz zu Ende zu sprechen.
„Ja, leb dein Leben, wenn ihr wirklich Seelenverwandte seid, oder das Schicksal euch füreinander bestimmt hat, romantisch in den Sonnenuntergang auf Pferden zu traben, dann werdet ihr euch sowieso wiederfinden, wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.", erklärt Sarah dramatisch. „Du bist echt so bescheuert.", lache ich unter Tränen (keine Tränen des Glücks). „Ich weiß. Aber dumme Leute sind glücklicher!", frohlockt sie und beißt einmal kräftig von der Pizza ab. „Dumme Leute machen sich vor allem nicht so viele Sorgen.", seufze ich und nehme mir ebenfalls ein Stück Pizza.
„Aber Sarah, was ist, wenn wir uns nie wiederfinden?", frage ich. „Hey, willst du lieber als Rockstargattin unglücklich werden, David die Schuld für alles geben, dich immer mit ihm streiten und irgendwann feststellen, dass du ihn dafür hasst, dass du dein Leben aufgegeben hast oder willst du ihn immer in guter Erinnerung behalten und deinen Träumen eine Chance geben?", fragt mich Sarah fordernd. „Das zweitere.", gestehe ich, „Oh Gott, warum hat David mich denn hierher geholt, ich war doch beinahe über ihn hinweg." „Halt die Klappe, Jo. Kein Was-wäre-wenn mehr, kein warum -habe-ich-dies , warum-hat-er-das mehr. Was zählt ist, was du jetzt machst.", dominat sie, ja, ich habe so eben einen Neologismus gebildet (Wortneuschöpfung, Stilmittel).
„Okay. Du hast Recht. Besser es ist eine gelungene Beziehung, die aber leider nicht ein ganzes Leben dauert, als eine schreckliche, die ein ganzes Leben dauert.", fasse ich mich. Aber, oh Gott. Ich könnte es nicht ertragen, wenn ich David mit irgendeiner Neuen in der inTouch sehen würde, ich könnte nicht noch einmal all diese Fragen beantworten, nicht all die Bilder löschen, nicht aufhören, ihn zu lieben. Eine Welle der Angst überrollt mich. Ich kneife die Augen fest zusammen.
Aber andererseits kann ich es nicht ertragen, David eines Tages zu hassen, ich kann das Starleben nicht ertragen, ich kann die Paparazzi nicht ertragen, ich kann all das nicht mein ganzes Leben lang ertragen. Und vor allem könnte ich es nicht ertragen, meine Träume für ihn aufzugeben. Bedeutet es, dass ich ihn nicht wirklich liebe? Ich glaube nicht. Ich glaube, ich wäre einfach nicht mehr ich, wenn ich meine Träume aufgeben würde. Und ich glaube nicht, dass ich mich selber dann noch lieben könnte.
Und sagt man nicht immer, nur wer sich selbst liebt, kann andere lieben?
Ich weiß was ich tun muss und es wird das schwerste sein, was ich jemals tun musste, bis auf das eine Mal, wo ich einen ganzen Sack Reis von der U-Bahnstation bis nach Hause tragen musste. Und das im strömenden Regen, ohne Regenschirm und Gummistiefel.
Ich weiß, was ich tun muss. Ich muss David loslassen.
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findet ihr den Kapiteltitel auch so geil wie ich?
x alterade
P.S.: klar ist das für dich, anrevo.
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Love Songs For Me
HumorLiebeslieder? Hört man doch jeden Tag. Aber was würdest du tun, wenn du im Radio plötzlich ein Lied über dich hören würdest? Dieser Frage muss Joëlle sich stellen, als ihr Exfreund David, ein Austauschschüler aus Amerika, ihr Jahre später ein Li...