-42- Lange Bank

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Nein, ich habe es David immer noch nicht gesagt, gebe ich Sarah mit meinem Blick zu verstehen. Sie verdreht die Augen, das heißt: Komm schon, du Pussy. Aber ich kann nicht, ich weiß, ich würde sofort zurückrudern. Wir haben noch zwei Tage zusammen. Verdammt, nur noch zwei Tage

Dann schaut sie mich anerkennend an, das bedeutet: süßes Kleid. Wir sind nämlich wieder mal auf einer Gala, diesmal in L.A. Es ist schrecklich warm und David ist seit einigen Stunden verschwunden. Wenn er nicht demnächst mal auftaucht, verpasst er die unheimlich wichtige Eröffnungsrede dieser unheimlich wichtigen Charity-Gala, die nur dafür da ist, den Ruf aller Anwesenden zu verbessern.

„Mir ist langweilig.", meckert Jake. „Soll ich dir meine Titten zeigen?", erkundigt sich Sarah. Er lacht und ich denke mir: „Warum bin ich mit einem solch merkwürdigen Mädchen befreundet?" Dann zwinkert er sie an und ich denke mir, dass das Schicksal schon sehr merkwürdige Menschen zusammenbringt. Nicht, dass sie jetzt zusammen sind. Oder doch? Keine Ahnung. Wenn, dann haben sie auf jeden Fall weniger lang gebraucht als David und ich, denke ich mir ironisch.

Die Beziehung zwischen den beiden ist schwer zu durchschauen, Sarah betont zwar regelmäßig, wie schlecht Jake küssen kann, andererseits küssen sie sich, dafür, dass er angeblich so schlecht küsst, ziemlich oft. Wer weiß, wie viel davon nur Show ist, aber auch im Hotelzimmer habe ich dieses Phänomenen einige Male beobachten können. Außerdem witzeln die beiden ständig herum und quatschen den lieben langen Tag, ich komme mir fast vor wie das fünfte Rad am Wagen... In den nächsten Tagen, sollte ich sie mal darauf ansprechen, nehme ich mir fest vor.

Eine Millionärsgattin Mitte 40 räuspert sich vernehmlich. Alle setzen sich auf ihre Plätze und das Geschnatter beruhigt sich. Wo ist David bloß? Georgina beäugt im 10-Sekunden-Takt erst die Tür, dann ihr Handy und zuallerletzt ihre Uhr. Was macht dieser Kerl denn? Mit einem „Bis später!", ist er gegen 3 Uhr nachmittags nach der Bandprobe verschwunden, ohne richtig mit mir zu reden und seither fehlt jede Spur.

Aber seit ich den Flug gebucht habe, haben wir uns gar nicht mehr gestritten. Wie könnte ich auch diese letzte Woche mit ihm so verschwenden? Und obwohl ich weiß, am Ende werde ich gehen, kann ich nichts dagegen tun, dass ich mich Tag für Tag mehr in David verliebe. Oh, Mist. Ich habe mich eine schreckliche Situation hineinmanövriert.

Über Zukunft haben wir seither nicht mehr gesprochen, wie auch? Wir tapsen vorsichtig an Zukunft, Studienplätze, weitere Touren und generell allem, was nach der Tour passiert, vorbei. Doch auch David merkt, dass etwas nicht ganz richtig ist, so gut, wie wir uns kennen ist das ja auch kein Wunder. Also fragt er mich jeden Tag, was los sei, und jeden Tag muss ich lügen, weil ich nicht die Eier habe, ihm von meiner Entscheidung zu erzählen.

Das heißt jetzt nicht, dass wir überhaupt nicht reden, man kann unheimlich gut mit David reden! Wir denken ähnlich über die Welt, das Leben, das Leben danach, Politik und ja, man kann auch super mit ihm lästern, aber das ist eher Sarahs Job. Manchmal lagen wir auch bis spät in der Nacht wach, weil wir uns in irgendeinem Thema verquatscht hatten. Einmal waren es Kissenbezüge. Warum auch immer.

Zurück in der Gegenwart begrüßt uns die Millionärsgattin freundlich und eröffnet das Buffet. Okay, dass David jetzt nicht da ist, ist wirklich merkwürdig! Er würde niemals freiwillig das Buffet verpassen. Und oh mein Gott, was machen Sarah und Jake da? Ich schaue die beiden an, wie sie mit mehr vollgehäuften Tellern wiederkommen, als sie Hände haben. Dafür hat sich das jahrelange Kellnern sarahseits wohl gelohnt... Ich schätze ich muss wohl nicht mehr aufstehen, um an Essen zu kommen.

Die heutige Charity-Gala wird live auf allen social-media accounts übertragen, denn Stars versteigern persönliche Gegenstände und Menschen aus aller Welt dürfen mitbieten. Der Erlös wird zur Bekämpfung der Hungersnot im Yemen verwendet, weswegen wir uns nun erstmal ein gleichermaßen erschreckendes, wie trauriges Video anschauen dürfen. Die Band spendet übrigens fünf Paar unterschriebene Unterhosen.

Plötzlich kommt mir der Gedanke, dass Berühmtsein gar nicht so schlecht ist, wenn man damit etwas gutes bewirken kann. Dann jedoch, als ich die unzähligen Dom-Pérignon-Flaschen und Kaviarschälchen sehe und mir überlege, wieviel Geld dafür ausgegeben wurde, bin ich angeekelt angesichts dieser Verschwendung.

Wie paradox es doch ist, für eine Hungersnot Spenden zu sammeln, während sich die Gäste darüber beschweren, dass die Soße zum Hummer zu wenig Weißwein enthielt.

Ich schüttle nur den Kopf, nein, hier kann ich definitiv nicht bleiben. Ich schmunzle über die ältere Dame mit dem Facelifting, die sich gerade beim Kellner beschwert, dass sie den falschen Jahrgang Dom-Pérignon haben. Ein älterer Herr unterhält sich mit seiner Frau darüber, dass es total sinnlos ist zu spenden, denn diese Islamisten zetteln doch gleich die nächste Revolution an und dann verhungern noch mehr Menschen, wenn man in Gold investiert, ist das Geld wenigstens sicher angelegt. Eine andere Frau erzählt ihrer Freundin unter Tränen dramatisch, wie schrecklich es sei, dass in China Hunde gegessen wird, während sie ein medium-rare Steak isst.

Die Band quatscht über ihre Unterhosen und Georgina schaut immer noch auf ihre Uhr. Sarah setzt sich zu mir und holt mich aus meinen Gedanken. „Hey, Jo. Was geht ab?", sagt sie und lässt sich auf Davids Platz nieder. „Ich wundere mich, wo David ist.", überlege ich. „Ach, der wird schon auftauchen.", sagt sie leichthin. „Ja, ich glaube auch. Aber erzähl mir mal bitte von deinem neuen Lover, küsst er jetzt besser?" „Ja, es steigert sich. Aber wir machen circa in drei Monaten „Schluss", ich will auch irgendwann wieder nach Hause, pünktlich zum Wintersemester.", erklärt sie. „Weiß er das schon?" „Ja, klar! Ich hab Eier, im Gegensatz zu dir.", lacht Sarah. „Sarah.", sage ich nur. „Sorry, das war gemein. Ich weiß, es ist schwer. Tut mir Leid, das, du weißt, meine große Klappe, ich, sorry. Es tut mir wirklich wirklich Leid. Wirklich.", entschuldigt sie sich abermals. „Ist schon okay.", sage ich, ich kann ihr nie lange böse sein.

Also quatschen wir fröhlich weiter über ihre neue Nicht-Beziehung. Ganz durchschaut habe ich es noch nicht, sie finden sich anscheinend ganz nett, schlafen aber (noch) nicht miteinander, Sarah beharrt, dass da keine Chemie ist, aber dafür zwinkern sie sich viel zu oft an und selbst Georgina findet, sie übertreiben es mit ihrem Schauspiel.

Wir haben einen unheimlich witzigen Abend und David kommt gerade pünktlich zur Versteigerung der Unterhosen, wobei das nicht mal der skurrilste Gegenstand war. Es gab Marilyn Monroes Einkaufsliste, die Asche irgendeines Filmstars und das Gebiss des Beasts von der Verfilmung von Beauty and the Beast.

Falls es jemanden interessiert, die fünf Unterhosen sind für 26 700 Dollar weggegangen. Irgendein exzentrischer reicher Mann hatte eine Tochter, die ein riesen Beast-Fan war.

„Oh Jolie...", murmelt David in mein Haar als wir der Jazzband zuhören und träge unser Mousse au Chocolat essen. „Hm?", frage ich zurück. „Mit dir ist alles so viel schöner...", sagt er und gibt mir einen Kuss auf den Kopf. Ich schmiege mich eng an ihn, doch das schlechte Gewissen überfällt mich.

Und plötzlich ist der Abend alles andere als schön.






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ach, die welt ist so traurig. hoffentlich seid ihr glücklich, dass ich weitergeschrieben habe :)

danke fürs cover -chaesthetic :)

x alterade

Love Songs For MeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt