|| Kapitel Sechsunddreißig ||

957 79 6
                                    

|| Kapitel Sechsunddreißig ||

~ Kane ~

"Wieso freust du dich nicht, dass wir ein Zimmer haben?", fragte Jonas mich.
"Ich weiß nicht, Jonas. Vielleicht weil du mein Handy als persönliches Eier-Kratz-Gerät missbraucht hast?"
"So schlimm ist das jetzt auch nicht", sagte er. Ich drehte mich von seinem Koffer weg und fluchte auf. "Lass die Kante von der Kommode in Ruhe, du Ekel."
"Dieses Jucken macht mich aber verrückt."
"Nicht nur dich macht es verrückt. Hör auf damit und schmiere eine Schicht Bepanthen drauf."
"Hilft das?"
"Ja", seufzte ich. "Mir ging es genauso, als ich mich das alle erste Mal rasiert hatte. Ist Gewöhnungssache."
"Hm", machte er. "Wo kriege ich die Creme her?"
"Hier ist sicherlich irgendwo eine Apotheke. Oder unser Teamarzt hat die."
"Hömma, hast du eine Ahnung, ob diese schnuckelige Helferin hier ist?"
"Siehst du die hier irgendwo. War die im Flugzeug?"
"Nein."
"Dann ist die nicht hier. Wieso fragst, du ob Saskia hier ist."
"Woher weißt du ihren Namen?"
"Sie ist irgendwie die beste Freundin meiner Freundin."
Plötzlich stürmte Jonas auf mich zu und packte mich am Kragen. "Was weißt du über Saskia. Name? Alter? Geschlecht?"
Verdutzt blickte ich Jonas an. "Nicht viel und wieso flippst du so aus?"
"Du musst mir einen Gefallen tun."
"Muss ich das?"
"Ich bitte dich darum. Von Kumpel zu Kumpel."
"Ausnahmsweise", gab ich nach.
"Mach mich gegenüber der Perle schmackhaft. Rede über mich in guten Tönen. Die denkt ich bin geistig behindert und hat mich mit Pfefferspray bedroht. Bitte, bitte, Kane. Bitte leg für mich ein gutes Wort bei Saskia ein."
"Wenn ich die das nächste Mal sehe. Kannst du mich bitte mal los lassen?"
"Sorry, Alter", sagte er und ließ mich los. "Machst du das wirklich?"
"Ja, das hab ich dir doch versprochen."
"Oh, Alter. Du hast was gut bei mir. Eigentlich zwei Dinge, da du mir mit meinen juckenden Eiern und der Perle hilfst."
Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn und schmiss sich dann auf sein Bett.
"Was auch immer", meinte ich. "Ich bin mal kurz telefonieren."
"Rufst du Saskia an?"
"Nee", sagte ich und schnappte mir mein Handy. "Erst meine Mom und dann meine Freundin. Kann dauern."
"Leg schon mal ein gutes Wort bei der Freundin von Saskia ein. Das bringt auch was."
"Ja, okay", sagte ich und verließ das Zimmer.

"Hi, Mom", sagte ich.
"Hallo, Sohn."
"Papa? Wo ist Mama?"
"Ich sage jetzt mal Duschen."
"Ah. Okay. Wollte nur sagen, dass ich lebendig angekommen bin."
"Das ist doch gut. Was machst du jetzt?"
"Mit dir telefonieren."
"Ich werde alt. Sorry. Und welchen Spacken musst du als dein Bettnachbar ertragen?"
"Jonas Durm."
"Ah. Okay. Wie gehts sonst so?"
"Alles okay, soweit. Und bei dir?"
"Läuft, meine Leiste macht wieder Probleme und ich habe da eine Zerrung. Selbst beim Meckern verletze ich mich. Ist ja fast wie mein Verletzungspech wie vor zwanzig Jahren."
"Wird schon wieder", sagte ich aufmunternd. "Was machen meine Schwestern?"
"Aleyna liegt mit Schnupfen krank im Bett und Mama ist bei ihr. Mina versucht eine Kurzgeschichte zu schreiben. Nico hilft ihr zwar..."
"Der ist bei euch?"
"Ja, er wurde rausgeschmissen. Weißt du doch. Und bevor du Beleidigungen los wirst, überleg es dir zweimal. Ich warne dich."
"Will ich nicht. Ich weiß, dass es Blöde war."
"Sag es nicht mir, oder deiner Mutter. Du musst dich bei deinem Cousin entschuldigen."
"Jo", meinte ich. "Kann es sein, dass Mama so sauer auf mich ist, dass sie dir das Handy gegeben hat. Nur um nicht mit mir zu reden?" Papa seufzte. Das hieß ja. "Sauer ist sie nicht. Nur dermaßen enttäuscht von dir, wegen dem Verhalten gegenüber deinem Cousin."
"Oh man."
"Du kennst sie doch. Sie hasst Intoleranz."
"Ich eigentlich auch. Aber Papa, dass ist mein Cousin. Da ist das nicht gerade einfach."
"Für mich war das auch ein Schock. Aber ich bin drüber hinweg. Das ist mein Neffe. Du hättest mal seinen Vollpfosten-Vater erleben sollen. Der ist ausgeflippt. Ich war kurz davor ihn eine rein zu hauen. Er hat über Nico gesprochen als wäre er ein widerliches Etwas."
"Oh man."
"Was glaubst du was Mama gemacht hat, als sie sich die beiden vorgeknöpft hat? Die hat die ganzen Gartenzwerge kaputt getreten vor Wut. Und wenn deine Mutter Nico nicht aufgenommen hätte, würde er auf der Straße sitzen."
"Ich hasse mich."
"Sag sowas nicht", mahnte Papa. "Wenn du wieder im good old Ruhrgebiet bist, kannst du ja mal mit Nico in Ruhe reden, okay?"
"Hatte ich eh vor. Ich wollte das erst mal abkühlen lassen."
"Gut. Noch was?"
"Nein. Doch. Mama will wirklich nicht mit mir reden?"
"Sorry, nein."
Ich seufzte. "Kann man nichts machen."
"Zwingen bringt nichts. Mama ist eh genervt von Aleyna. Jedes Mal wenn es ums Nasenputzen geht ist hier Terror. Sie schreit wie am Spieß."
"Aleyna oder Mama."
"Aleyna", meinte Papa. "Fast so schlimm, wie du damals beim Haare waschen." Er hielt inne. "Hilfe, Hilfe, Polizei!"
Ich lachte. "Oha."
"Mama und ich sind eben nur mit geistig behinderten Kindern gestraft."
"Und ich mit geistig Behinderten Eltern."
"Touché."
"Ich muss auch auflegen. Es gibt gleich Abendessen und joah, ich muss noch meine Sachen auspacken."
"Mach das. Ist vermutlich zu viel verlangt, aber kannst du für deine Schwestern ein paar Muscheln vom Strand sammeln?"
"Wenn ich es zum Strand schaffe. Vor allen Dingen bei dem Wetter hier. Es pisst aus Kübeln."
"Willkommen in Norddeutschland", sagte Papa und legte einfach auf.
"Okay?", fragte ich und blickte auf den Bildschirm. Ja. Tatsächlich. Aufgelegt.
Gerade als ich Solin anrufen wollte, rief Fabian und zum Abendessen. Toll. Nach dem Essen noch die Besprechung. Und dann werde ich sicherlich todesmüde ins Bett fallen.
      Während der Besprechung am Abend, schrieb ich Solin einfach. Es war das typische Smalltalk-Chat Gelaber, bis sie damit anfing, dass sie wieder Stress zu Hause hatte. Dieses Mal soll es heftig geknallt haben. Magdalena hatte einfach den ganzen Kleiderschrank meiner Freundin ausgeräumt, um negative Klamotten aussortieren und den Flüchtlingen zu spenden. Soso ist daraufhin so ausgeflippt, dass sie Magdalena an den Haaren aus der Wohnung rausgezerrt und deren Kram gleich hinter her geworfen. Als sich Jacky eingemischt hatte, ist diese auch rausgeflogen. Jacky hatte sich zwar gewehrt, hörte dann aber auf, als Solin mit der Bratpfanne auf sie zustürmte. Während dieses Kopfkinos, hatte ich erstmal einen Lachanfall während der Besprechung.
"Hat der 'nen Schlaganfall?", fragte Fabian in die Runde.
"Alles gut", sagte ich und wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln.
Ich schob mein Handy unauffällig in die Hosentasche, als Fabian auf mich zu kam. Und schon kassierte ich ein Nacken-Kotelett. Ich hörte auf zu lachen und räusperte mich.
"Bleib doch mal ernst, Jonas", sagte ich streng.
"Meine Eier Jucken!", rief er erschrocken.
Fabian seufzte. "Ich hab's hier nur mit Idioten zu tun, oder?"
"Große Idioten ziehen kleine Idioten an. Also ja", grinste ich.
"Zurück zum Punkt, was auch immer der war", sagte Fabi und ging seine Unterlagen durch. "Ah ja, da steht's. Ihr seid behindert."

~ Mina ~

"Wie hast du das eigentlich gemerkt?", fragte ich meinen Cousin. Ich blickte von meinen Hausaufgaben auf und zu Nico, der sozial war und mit bei Deutsch half. Wenigstens einer hier in der Familie.
"Wie hab ich was gemerkt?", stellte er nachdenklich die Gegenfrage.
"Das du anders liebst, als die anderen Männer?"
Nico seufzte nur. "Ich hatte das schon immer gemerkt. Irgendwo ganz weit versteckt in mir. Ich dachte, dass es wieder weg geht, wie ein Pickel an Arsch, aber so war es nicht. Die ganzen Freundinnen die ich hatte- ich dachte die würden das bei mir ändern. Aber ich hab's aufgegeben, normal zu sein. Und mich der Tatsache gestellt."
"Du denkst, du bist nicht mehr normal?", fragte ich ihn.
"Ich bin nicht mehr normal. Ja. Ich bin unnormal."
"Nein, bist du nicht. Auch, wenn du nicht mehr auf uns nervige Mädchen stehst, bist du trotzdem noch normal. Nur weil du schwul bist, bist du nicht gleich behindert. Und jeder der was anderes behauptet und dich deswegen fertig macht und hasst, hat es nicht verdient auf der Welt zu sein. Was bringt der Hass, außer das es Menschen verletzt. Nichts."
"Ja, mag sein. Für einige in meiner Familie bin ich gestorben. Vor allen Dingen für meine Eltern. Und dein Bruder, der meinte, dass ich wieder normal sein soll."
"Ich kann dir sagen, woran das liegt, Nico", meinte ich.
"Woran denn, Kleine?"
"Die sind nicht normal", sagte ich und kniff meinen Cousin in die Wange "Na komm. Wir sind hier gleich fertig und dann zocken wir ein wenig. Du kannst dich dann da richtig schön abreagieren."
"Okay", sagte Nico und klatschte in die Hände.
"Ich finde es cool, dass du zu dir stehst. Du hast meinen Respekt."
Nico blickte zu mir und schmunzelte leicht. "Danke. Schön das zu hören."

***
Noch ein kleines Kapitel zum Abend hin.
Meinungen wie immer erwünscht 😊
Schönen Start ins Wochenende und nicht unterkriegen lassen, Soso. Die Gurken Truppe steht hinter dir  🥒❤️

{3}»Kane♥« ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt