|| Kapitel 48 ||

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|| Kapitel 48 ||

- Marco -

Von einen Tag auf den anderen, kann sich dein Leben schlagartig verändern. Es muss nur eine Kleinigkeit sein, die deine Welt in tausend Teile zerbrechen lassen kann. Gerade war alles noch in Ordnung und dann kam dieses Arschloch namens Schicksal und machte dir das alles wieder zu Nichte. Alles was du aufgebaut hattest, mit Schweiß und Blut, über all die Jahre. Einfach wie eine Seifenblase zerplatzt. Mein Leben zersprang vor meine Augen in tausende Teile, genau wie der Spiegel vor mir, in dem ich mit voller Wucht rein schlug. Ein bittersüßer Schmerz durchzog meine Fingerknöchel. Aber gleichzeitig war in der Sekunde, in dem der Spiegel zersprang eine kleine Erleichterung, die schnell zunichte gemacht wurde, als die letzte Scherbe auf den Fliesenboden landete.
Ich lehnte mich am Rand des Waschbeckens fest, ich hatte Schweißausbrüche, bekam viel zu wenig Luft und hätte am liebsten gekotzt, aber ich konnte es zurück halten. Blut sickerte aus den Wunden zwischen meinen Fingerknöcheln, über meine Hand in dem Waschbecken mit den Scherben, in den ich immer wieder mein verheultes Gesicht erkennen konnte. Für einen kurzen Augenblick kniff ich meine Augen zusammen, um dann wieder auf meinen Arm zu blicken. Dieses Mal nicht auf die frische Wunde auf meiner Hand, sondern in meine Ellenbeuge, wo das braune Pflaster meine Aufmerksamkeit erhaschte. Da wo mir vor ein paar Stunden Blut abgenommen wurde, auf der Hoffnung mit meinem Blut meinen Sohn wieder auf die Beine zu helfen. Der Arzt hatte mich eine Stunde nach der Blutabnahme zu einem Vieraugengespräch gebeten und mir dann erklärt, dass ich meinen eigenen Sohn mit meiner Blutgruppe AB kein Blut spenden kann, da er die Blutrgruppe 0 hatte. Was ihn verwirrt hatte. Meine Frau hatte Blutgruppe A und ich AB. Kane hätte dementsprechend nur die Blutgruppe AB, A, oder B haben. Aber hatte er nicht. Er war sich nicht sicher und hat nochmal von May und mir Blut abgenommen und den Vorschlag gemacht auch noch mal Kanes Blut zu überprüfen. Vor einer halben Stunde, hatte er mir gesagt, dass sich an den Blutgruppen nichts geändert hat und das ich mich mal dringend mit meiner Frau unterhalten sollte, da es doch ziemlich ausgeschlossen wäre, dass ich der Erzeuger von Kane bin. May hatte Blutgruppe A und Kane 0. Also müsste ich eigentlich Blutgruppe 0 oder A oder B haben. Hab ich das? Nein hab ich nicht. Ich hatte Blutgruppe AB. Und wie gesagt, wenn man Mays und meine Blutgruppe zusammenmischt, dann müsste Kane entweder Gruppe A, B, oder AB haben. 
Da ich wegen diesen bescheuerten Blutgruppen, wirklich am Nachdenken war, bekam ich ziemlich schnell Kopfschmerzen. Ich lehnte mich neben dem Waschbecken an die Wand und seufzte nur.
Wie kann das sein? Wie konnte ich nicht der Vater von Kane sein? Ich hab den all die Jahre aufgezogen. Er war doch wie ich. Von der Art her. Vom Aussehen her. Wie kann er nicht mein Sohn sein? Das macht doch alles überhaupt keinen Sinn. Aber so gar nicht.
Es war mir einfach alles zu viel. Einfach alles. Sei die beschissene Kündigung von Aki Junior und Sebastian zum Saisonende nach hinten gestellt, aber dass mir hier gerade klar gemacht wurde, dass Kane nicht mein Fleisch und Blut ist, machte mich einfach nur noch fertig.
May konnte sich das auch nicht erklären. Oder vermutlich wollte sie mir das nicht erklären, um den Schaden gering zu halten. Vermutlich hatte sie einfach keine Lust jetzt mit mir zu streiten, während mein Sohn... ich meinte Kane, auf der Intensivstation liegt und dringend eine Blutspende braucht, da er sonst nie wieder über den Berg kommen würde.
Oh Gott. Was ist, wenn sich ein Spender findet. Was ist, wenn sich wirklich ein Spender findet und Kane herausfindet, dass ich nicht sein Vater bin, sondern wer auch immer.
Es war gar nicht weiter in Worte zu fassen, was ich gerade für eine Abneigung gegenüber meiner Frau empfand, die mich all die Jahre kackendreist ins Gesicht gelogen hatte. Ich wollte sie nicht sehen. Ich wollte ihr Gesicht nicht sehen. Sie sollte mir einfach nicht mehr unter die Augen treten. Egal, was unsere Töchter sagen, wenn Mina und Aleyna auch mein Fleisch und Blut sind. Man kann ja nicht wissen. Moralapostel May, macht andere Leute gerne wegen Untreue und den Scheiß die Hölle heiß, ist aber kein Deut besser als andere Personen.
"Vallah, Marco, was hast du gemacht?", hörte ich Jemanden fragen. Ich schaute auf und blickte auf die verschwommene Silhouette von Nuri, der sich neben mich kniete. Er legte eine Hand auf mein Knie und blickte mich an. "Nimmt dich das so hart mit deinem Sohnemann mit?"
Ich schnaubte nur, traute mich aber gar nicht, Nuri die Wahrheit zu erzählen. Dem würde genau wie mir ebenfalls ein Ei abfallen.
"Ich hab kein Medizin studiert und kenne mich damit nicht aus", fing Nuri an. "Aber wieso können weder du noch May Kane kein Blut spenden?"
Wieder schnaubte ich. Da musste ich ihn wohl aufklären. Außerdem war er einer meiner besten Kumpels. Er erzählte mir doch auch alles.
"Ich hab Blutgruppe AB und May Blutgruppe A", fing ich an. "Die beiden Blutgruppen zusammengemischt ergeben entweder Blutgruppe A, B, oder AB. Aber Kane hat Blutgruppe 0. Blutgruppe 0 entsteht nur, wenn die Eltern selber beide die 0 haben, oder 0 und A, B und 0, A und A, A und B, und B und B."
"Warte, willst du mir gerade sagen, dass es sein kann, dass Kane nicht dein Sohn ist?", fragte Nuri.
"Genau, dass will ich dir damit sagen."
"Das ist ein Witz, oder?"
"Ich wünschte es wäre alles hier ein Witz, oder ein Traum."
"Das geht doch nicht", platzte es aus Nuri raus. "Er kam von der Art völlig nach dir. Wie zum Henker kann das alles sein? Es macht kein Sinn. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass May dich hintergangen hat."
"Ich hab kein Plan", sagte ich und deutete auf meinen Kopf. "Das Ding ist völlig auf Durchzug. Ich weiß nicht, was hier gerade abgeht. Aber ich weiß eins, dass ich May erstmal nicht sehen will."
"Hat sie sich nicht erklärt?"
"Sie weiß auch nicht, wie das sein kann. Angeblich, oder nicht. Mir ist das gerade relativ."
"Ich bring dich zum Arzt, der die Wunde mal anschaut", sagte Nuri und stand auf. "Gott, ich bin zu alt", bemerkte er nachdem etliche Gelenken bei ihm am knacken waren. Dann zog er mich auf die Beine und aus dem Herrenklo raus.

{3}»Kane♥« ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt