It's Misha!

72 5 6
                                    

Misha lehnte sich in seinem Sitz zurück. Scheinbar hin- und hergerissen zwischen lachen und weinen. Oder ich bildete mir letzteres nur ein. Schließlich beugte er sich vor und entschied sich für ein "WTF-Grinsen". Er schüttelte leicht seinen Kopf, sah mir direkt in die Augen und runzelte die Stirn, als könne er nicht glauben, was er sah. Oh- mir ging es nicht anders.

Ich biss die Zähne zusammen. Mein Herz raste nicht-  es lief einen Hürdenlauf und fiel alle paar Meter zusammen mit der Hürde auf den harten Boden. Meine Augen brannten, weil ich nicht wagte, zu blinzeln. Mein Hirn versuchte noch immer zu verstehen, was da passierte. Die Begegnung auf der Straße mit dieser hier in Einklang zu bringen. Es war unmöglich. 

"Hallo..", sagte er schließlich und lächelte mich an. Sah auf das Bild und dann wieder zu mir. 

Ich blieb stehen, wo ich war. Irgendetwas hielt mich davon ab, dichter an ihn heran zu gehen. Meine Arme lagen an meinen Körper gepresst und meine Knie wackelten gefährlich.

 "Ein schönes Bild.", sagte er und setzte den Stift an. Hielt inne, um mich noch ein Mal mit gerunzelter Stirn anzusehen und schrieb dann mit einem lächelnden Kopfschütteln weiter. 

Ich schluckte. Ein Film legte sich über meine Augen und ich konnte nicht anders, als blinzeln. 

Er biss sich auf die Unterlippe. Oh- diese Lippen. Der Dreitagebart. Scheiße.

Misha nahm das Bild in die Hände und sah darauf, ohne es anzusehen. Sein Blick hing irgendwo anders. Dann schüttelte er sich, räusperte sich und sah wieder zu mir hinauf. Etwas lag in seinem Lächeln, in diesem Blick, in der leicht vorgebeugten Haltung, was mich erschaudern ließ. Wie ein kleiner Junge, sah er mir direkt in die Augen. Ich konnte nicht benennen, was mir darin den Atem geraubt hatte. 

"Du bist-" Er brach ab, lachte leise und winkte mich zu sich heran. Mein Magen überschlug sich. Wieso wollte ich das nicht? Wieso wollte ich diese Begegnung nicht? Meine Füße trugen mich zu ihm, ohne dass ich es wollte.

 Ich roch ihn, spürte seinen Atem in meinem Gesicht. Er war direkt vor mir. Seine blauen Augen bohrten sich in meine. 

"Du-" Er brach wieder ab. Offensichtlich kämpfte er mit den richtigen Worten. 

Ich zitterte. Am ganzen Leib. Langsam, ohne zu verstehen, was gerade geschah, nickte ich. 

Sein Lächeln entkrampfte sich und als er zurück in seinen Stuhl fiel, seufzte er beinahe. 

"Das ist verrückt.", murmelte er, als er leise lachend noch etwas auf das Bild schrieb, "Verrückt."

Er drückte es mir in die Hände und schmunzelte mich an. Ich wusste nicht, was ich tun sollte- als wäre ich an Ort und Stelle angewachsen. Nichts in mir bewegte sich. 

Außer das Herz, das schrie. Und der Magen, der sich überschlug. 

"Aus dem Weg!", rief Julia lachend und stieß mich weiter. 

Misha lächelte mich ein letztes Mal sanft an und in seinem Blick lag eine merkwürdige Gewissheit, bevor er sich der giggelnden Julia zu wandte. Es dauerte einen Moment, bis er sich wieder fand und in ein Gespräch über ihr Kostüm verwickelt war. 

Ich betrachtete sie wie in Trance, bis mich ein Mann in Schwarz sachte, aber bestimmt weiter drängte und ich Misha aus den Augen verlor. Wirr glitt mein Blick über die Menschenmenge und ich lief auf nicht vorhandenen Beinen zu einer Wand. Als wäre ein Stoß durch meinen Körper gefahren und hätte alles durchgeschüttelt, fühlte ich mich nun taub. Ich griff mir an die Brust, die auf ein Mal eiskalt wurde. Mir war nicht bewusst gewesen, dass sie vorher warm war. Meine rechte Hand umklammerte das Bild und zerknickte es.

Kurz bevor ich an der Wand zusammenbrach, tauchte Julia vor mir auf und grinste mich breit an. Sie packte meinen Arm und zog mich weiter. Taub. Ich war taub. Hörte nichts, außer das Wummern und Rauschen in meinen Ohren und das weit Entfernte aufgeregte Reden von Julia.

Irgendwie- ich weiß nicht wie- gelangten wir in eine Art Bar. Julia verfrachtete mich auf ein Sofa. Vor mir stand ein kleiner runder Tisch und wir hatten einen der hintersten Plätze. Sie grinste und verschwand. Meine Hände zitterte, als ich sie auf meinen Schoß legte. Da bemerkte ich, dass ich noch das Bild hielt. Schwach blinzelnd sah ich darauf hinab. Ich sah nur die Hinterseite und die schwachen Linien, die durchgedruckt waren. Gerade wollte ich es umdrehen, als Julia wieder auftauchte und sich vor mich auf den Stuhl setzte. Ein riesiges Glas mit bunter Flüssigkeit tauchte vor mir auf. 

"Ich dachte, du kannst einen Drink vertragen." 

Sie stieß ihr Glas an meines und nahm einen Schluck aus ihrem. 

"Holy shit, ist das stark."

Ich zuckte zusammen. Holy shit.

"Was ist denn mit dir los, verdammt!" 

Ich sah sie fragend an.

"Du bist blass wie eine Leiche!" Sie runzelte die Stirn, "Wenn du einen Geist gesehen hast, sagst du mir das lieber gleich. Ich hab Salz dabei."

Ich atmete tief ein und aus und schüttelte langsam den Kopf. Als ich meine Hände hob, konnte ich das Zittern noch immer nicht unterdrücken. In Julias Augen trat jetzt ernsthafte Sorge.

"Hat es was mit deinem Bild zu tun?", fragte sie verwirrt, "Fanden sie es zu hässlich, um es zu unterschreiben?"

 Sie nahm mir das Bild aus der Hand und ich wehrte mich nicht. 

"Nein.", brachte ich hervor, "Mir ist gestern was passiert und-" 

"Ach du scheiße!", unterbrach sie mich. Sie sah mich mit riesigen Augen an. "Sag mir bitte, dass das irgendein Scherz ist!"

Ich runzelte verwirrt die Stirn. "Ich weiß nicht, was du meinst."

Sie blinzelte und hielt mir das Bild direkt vor die Augen. Jensens Autogramm ganz links, elegant. Hübsch. Jareds Unterschrift war etwas wild und irgendwie durcheinander, aber das konnte sie nicht gemeint haben. Und dann war da ganz rechts Mishas Unterschrift. Ein Grinsen huschte über mein Gesicht und mein Herz machte zusammen mit meinem Magen einen Hüpfer. Aber auch an seiner Unterschrift war nichts außergewöhnliches. Außer natürlich, dass sie von ihm war. 

"Siehst du es nicht?", rief sie und ihr Finger wanderte an der rechten Seite herunter bis zum Boden. In der Ecke stand ein "Thanks" und darunter... 

"Nein.", stieß ich hervor und fiel zurück in die Polster, nur um kurz darauf wieder hervor zu schnellen und ihr das Bild aus den Händen zu reißen.

"Du bist mir eine Erklärung schuldig." 

Julia nahm einen großen Schluck von ihrem Drink und ich tat es ihr gleich. Es schmeckte sehr gut, aber darauf achtete ich gar nicht. Alles in mir war so angespannt, dass ich kurz vor einer Explosion stand. 

"Ich träume doch, Julia.", keuchte ich. 

Aber sie schüttelte den Kopf. 

"Das kann doch nicht wahr sein!", rief sie, "Da gibt dir Misha Collins seine Nummer- ich meine, seine richtige!- und du kriegst es noch nicht mal mit!" 

Den Kopf weiter schüttelnd, trank sie ihren Cocktail zur hälfte aus- wie auch immer sie das anstellte. Sie rülpste, wischte sich den Mund ab und blinzelte von ihrem schon schweren Kopf zu mir hinauf. Ihr Zeigefinger hob sich und sie sagte in einem ernsten Ton: "Du weißt schon, dass du jetzt am Arsch bist?"

Ich zog meine Augenbrauen hoch und sah sie fragend an. Ihre Hände knallte flach auf den Tisch und sie sah mich mit riesigen Augen an. Einen Moment lang erkannte ich echte Angst darin.

 "Es ist Misha!", rief sie aus und nahm dann teilnahmslos noch einen Schluck aus dem Glas.
 

Little AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt