chasing

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"Misha!", rief ich, meine Beine zitterten so stark, dass ich mich auf das Bett setzen musste. Mein Herz raste.

Seit dem Abend bei den Ackles, hatte sich meine Hand nicht mehr beruhigt. Ich war mir so sicher gewesen, dass es etwas mit Misha zu tun hatte. Dass ich diese Fähigkeit nur hatte, weil ich Misha retten sollte, aber da hatte ich mich wohl geirrt. 

"Misha!!", rief ich noch ein Mal. Beinahe hysterisch. Ich konnte den Blick nicht vom Laptop lösen. Ein paar Sekunden später, stürzte Misha ins Zimmer und setzte sich sofort neben mich. Ich zeigte mit zitternder Hand auf die E-Mail. 

"Laura hat geschrieben. Sie.. Er... mein Vater und.."

"Sarah.", Misha nahm mein Gesicht sanft in die Hände und zwang mich, ihm direkt in die Augen zu sehen. Es half- ich beruhigte mich.

"Was ist los?", fragte er mit ruhiger Stimme. Ich leckte mir über die Lippe und schluckte. der Kloß in meinem Hals tat höllisch weh. 

"Mein Vater ist seit einer Woche wieder da und er weiß, was passiert ist."

"Und? Das ist doch okay.", gab Misha verwirrt zurück. Ich fasste nach seiner Hand.

"Du verstehst nicht!", keuchte ich, "Mein Vater weiß zwar davon, dass Florian dich verprügelt hat, aber das wird ihn nicht weiter stören. Er glaubt, dass Florian mich geschlagen hat! Irgendjemand muss ihm erzählt haben, dass ich seinetwegen abgehauen wäre."

"Aber das stimmt doch alles.", Misha runzelte die Stirn. 

"Mein Vater glaubt viel schlimmeres und das bedeutet..." Mir blieb die Luft weg. "Er wird ihn töten, Misha."

"Sarah. Ich glaube kaum, dass-"

"Du hast keine Ahnung, wie mein Vater sein kann! Florian musste schon immer für alles hinhalten, seit wir klein waren! Und..." Ich konnte nicht mehr reden, so sehr stieg die Angst in mir auf. Trieb mir die Galle in den Mund. Ich war taub! Und erst, als Misha meine Hände von meinen Unterarmen weg zog, merkte ich, wie tief ich schon gekratzt hatte. Rote Striemen zogen sich über meine gerade heil gewordene Haut. Aber das spielte keine Rolle. Hastig löste ich den Blick von mir und starrte auf die schwarzen Buchstaben auf dem grellen Untergrund. Konzentration!

"Ich muss ihm helfen!", brachte ich erstickt hervor.

"Du vergisst, von wem du redest.", versuchte mir Misha ins Gewissen zu reden.

"Er ist mein Bruder!", rief ich aus und stand auf. Klappte den Laptop zu und zog meinen Koffer unter dem Bett hervor.

"Jetzt..Sarah- jetzt hör mir erst Mal zu!", rief Misha und hielt mich fest. 

"Nein.", ich stieß Misha von mir, "Er ist ein Arschloch. Arschloch trifft es nicht mal annähernd! Aber er ist mein Bruder und mir hat er nie etwas angetan, er..."

Er verzog sein Gesicht- war offensichtlich anderer Meinung.

"Er wollte mich doch nur beschützen und..", Bilder von einem zermatschten Florian schossen mir in den Kopf, "Scheiße!"

Ich begann zu packen. Sinnlos flog ein Kleidungsstück nach dem anderen in den Koffer.

"Lass uns doch bitte erst mal darüber nachdenken."

"Wenn ich nicht fliege, ist er tot!"

"Du würdest zu spät ankommen!", rief Misha. 

Ich hielt in meinen Bewegungen inne und starrte ihn an. Er hatte recht. Mein Kloß im Hals wurde größer und ich brach in Tränen aus. Sofort zog mich Misha in die Arme.

"Er braucht Hilfe."

"Ja. Ich weiß..."

"Es ist mein Vater!"

"Ich weiß.."

"Seinetwegen tut Florian das alles."

"Shhh...."

Es vergingen ein paar Tage, in denen Misha und ich die Lage besprachen und ich engen Kontakt mit Laura hielt. Ich hatte sie darum gebeten, ihn raus zu holen und ihn zu verstecken. Vor meinem Vater und dessen Freunden. Sie hatte nichts detailliertes gesagt, aber es hörte sich schlimm an.

'Sarah... er sah wirklich schlimm aus. Er saß auf seinem Bett und.. Ich habe ihm angeboten, zu mir und Patrick zu kommen. Jetzt schläft er im Keller meiner Eltern. Sie sind gerade im Urlaub.'

Danach überzeugte ich meinen Vater, einen Pflegedienst für meine Großeltern zu organisieren und Florian brachte ich 200 Kilometer entfernt bei einem Maler unter.

"Wir haben keine anderen Verwandten, Florian hat keinen Freund, der ihn bei sich wohnen lassen würde- sie kennen alle meinen Vater. Und auf der Straße kann er auch nicht Leben. Für ein Hotel fehlt ihm das Geld und.."

"Sarah..." Misha sah mich stirnrunzelnd an, "Jetzt beruhige dich."

Ich nickte und setzte mich.

"Ich könnte Laura Geld überweisen und sie würde es dann ihm geben. Er müsste dann unter einem falschen Namen einchecken."

Misha schnaufte und runzelte die Stirn. Er sah mich etwas ungläubig an.

"Was?", fragte ich, "Du glaubst noch immer nicht, dass mein Vater zum Mord fähig wäre..."

"Doch!", sagte er und schmunzelte leicht, "Ich glaube nur nicht, dass er es wirklich tun würde."

Ich schüttelte den Kopf: "Misha... Du hast keine Ahnung..."

"Nein!", rief er und ich zuckte zusammen. Hastig entschuldigte er sich und nahm mich in den Arm.
"Weil du mir nichts erzählst, Sarah.."

Ich schnaufte, schloss meine Augen und genoss die Stille, die folgte, bevor ich langsam und träge begann. Ich erzählte von meiner Vergangenheit mit meinem Vater. Wie oft Florian seinetwegen schon im Krankenhaus war und zwei Mal kurz vor dem Tod stand. Misha zog meine Hände nicht von meinen Armen.

"Wie kann es sein, dass niemand etwas gemacht hat?", murmelte Misha ungläubig. Ich zog nur die Schultern hoch.

"Das tut mir Leid, Sarah..." Er zog mich fester in den Arm. Eine Weile lag ich noch so da und weinte still, bis ich mich beruhigt hatte und das Blut an meinen Fingerkuppen getrocknet war.

"Meine Hand kribbelt seit dem letzten Besuch bei den Ackles."

Little AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt