christmas

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Roter Lippenstift auf den Lippen, Maskara, meine dunklen Haare liegen, wie sie gefallen sind und ich trage die Kette meiner Mutter. Es ist eine feine Kette aus Silber mit einem silbernen Anhänger in Form eines Mondes. Ich atmete tief ein und aus und blickte mir in die grünen Augen. Drehte die Musik lauter. 

It's Christmas. Und natürlich liegt kein Schnee. Und natürlich bin ich hier zu Hause und nicht mit Misha in einem niedlichen Haus in den Alpen. Und natürlich ist mein Vater zurück, um mit Florian saufen zu gehen. 

Ich bin allein und ich liebe es. Ein Schmunzeln legt sich auf meine Lippen. Ja, ich bin heiß. Ja, heute liebe ich mich. 

Als ich die Treppe hinunter lief, war es still. Meine Großeltern schliefen noch. 5 Uhr am Morgen war es ihnen auch vergönnt. Unten im Flur angekommen, drehte ich mich ein Mal im Kreis. Mein Blick flog in die aufgeräumte Küche, auf die kahle, weiße Wohnungstür, die leeren Wände und auf die dunkle, geschlossene Holztür, hinter der Florian wohnte. Hinter der Treppe führte eine dritte Tür in Schlafzimmer meiner Großeltern. Direkt daneben war das Bad. Ich schloss meine Augen und sog diese Atmosphäre tief in meine Lungen. Die Ruhe war herrlich. Es war der 23. 12. und heute hatte ich den ganzen Tag Zeit für die Deko. 

Als meine Großeltern um kurz vor 8 Uhr aufwachten, war schon alles fertig. Der Flur erstrahlte im stilvollen Weihnachtskitsch. Lichterketten, Weihnachtsgrün und -kugeln. Aber das wichtigste fehlte noch. Der Weihnachtsbaum. Wie jedes Jahr, schmückte ich ihn gemeinsam mit meinen Großeltern. Ich lief durch die Küche in das Wohnzimmer und blickte den Baum an. Ich hatte ihn ausgesucht und natürlich war er perfekt. Die Kisten mit dem Schmuck waren schon daneben aufgestapelt, meine Großeltern satt und in grässlich schönen Weihnachtspullovern in ihren Sesseln. Ich lief hinüber zur Anlage und drehte die Musik voll auf. Eine Playlist mit Klassikern und naja- modernen Klassikern. In meinem Bauch wurde es warm und niemand konnte mir diese Wärme stehlen. Keine betrunkenen Verwandten, die mich kritisierten, keine blauen Augen. Nein.
They can all go an fuck themselfs.

Der 23. Tag ging herrlich in die Nacht über und ich fiel erschöpft in einen traumlosen Schlaf.  
Der 24. Tag. Heilig Abend.

"Oma! Opa!", rief ich, da war ich noch oben in meinem Zimmer. Ich wusste, sie hörten mich nicht, aber ich verdammt noch Mal! Es war endlich so weit! Wie ein kleines Kind, rannte ich die Treppen hinunter, öffnete vorsichtig die Tür von Florian und stellte fest, dass sein Bett unberührt war. Ein Kreischen entfuhr mir und als ich die fast leere Garderobe sah, konnte ich nicht anders, als laut aufzulachen.

"Es ist Weihnachten!", rief ich und kümmerte mich nicht, um die Nachbarn. Oder irgendwen, außer meinen Großeltern und mir. Lachend schlitterte ich auf den Fliesen in der Küche hinüber ins Wohnzimmer und fand meine Großeltern bereits in ihren Sesseln.

"Ihr seid wach?", brachte ich außer Atem hervor. Sie lächelten mich glücklich an und nickten.

"Dein Vater und Florian waren schon früh wach, und...", begann meine Oma, aber ich hörte ihr nicht mehr zu. Vollkommen egal! Ich fiel ihnen um den Hals und drückte jedem von ihnen einen dicken Kuss auf die Stirn, drehte wieder die Musik auf und rannte in die Küche. Über eine halbe Stunde lang ließ ich mir damit Zeit. Oh jah- was gab es schöneres, als Zeit für sich zu haben.

"Have yourself a merry little Christmas, nicht wahr?", sagte ich mir selbst und grinste breit. Vor mir stand eine dampfende, riesige Tasse mit heißer Schokolade, Schlagsahne, Zimt und natürlich Marshmallows! Ich starrte aus dem Fenster und betrachtete den Weihnachtsschmuck der Nachbarn. Glücklich und mit leeren Gedanken. Und der Tag blieb so! 

Am Abend gab es Geschenke- wie auch immer meine Großeltern es jedes Jahr schafften. Ich hatte 10 Paar dicke Socken bekommen und Bücher. So viele Bücher! Meine Großeltern haben natürlich auch Geschenke von mir bekommen und als ich Abends auf dem Weg in mein Bett war, legte ich Florian auch ein Geschenk vor die Tür. Er konnte so scheiße sein, wie er wollte- auch er hat ein Geschenk zu Weihnachten verdient. Ein kleiner Stich fuhr durch mein Herz, als ich an meinen Vater dachte. Er bekam keines. Aber nein. Er hatte es nicht verdient. 

Mit einem zufriedenem ausatmen ging ich hinauf und fiel in mein riesiges Bett. Auch mein Zimmer erstrahlte im Weihnachtsglanz. Als ich zu meinem Fenster sah, konnte ich gar nicht fassen, wie schön die Lichterkette wirkte, wenn es draußen dunkel war. Schwarz. Hoffnungsschimmer sind am hellsten in der Schwärze. 

Ein Gedanke zuckte durch meinen Kopf, aber ich drängte ihn weg. Doch als ich im Bett lag, starrte ich an die Decke und Tränen schossen mir in die Augen. Der Gedanke wollte und wollte nicht verschwinden!

"Warum, Sarah! Warum kannst du nicht ein Mal nur an dich denken!", brummte ich und setzte mich auf. Ich warf einen Blick zurück zu meinem Fenster und schnaufte. 

-Wenn ich das jetzt nicht tue, dann werde ich nicht schlafen können!- 

Also tat ich es. Ich stand auf und zündete noch die Kerze an. Dann machte ich ein Foto von meinem Fenster und bearbeitete es. 

"Oh holy night..."

Zufrieden mit meinem "Werk", schickte ich es an meine engsten Freunde. Also Laura und Julia. Wow- wirklich viele Freunde. Ich schmunzelte über mich selbst, aber war zufrieden. Mit einem beruhigten Gefühl im Magen, pustete ich die Kerze aus und legte mich ins Bett. Aber nicht lange und das Stechen kam zurück. Wütend über mich selbst, schlug ich wieder meine Augen auf und setzte mich hin. Griff mein Handy und öffnete das Bild von neuem. 

"Ja.", lachte ich bitter, "Have yourself a merry little Christmas." 

Über meine Wangen liefen Tränen. Erst, als sie auf das Display tropften, bemerkte ich sie. Verwundert, aber nicht überrascht wischte ich mir die Tränen von den Wangen und bearbeitete das Bild neu. Es musste der Wein sein, der mich das machen ließ. Oder war ich von dem Weihrauch meiner Großeltern high geworden? Wie auch immer. 

Ich änderte den Text in: "Make my wish come true..." und schickte das Bild ab. Der Empfänger war online und mein Herz schien zu explodieren. Panik stieg in mir auf und ich schmiss das Handy ans Ende meines Bettes. Ich wollte nicht sehen, wie er das Bild sehen würde. Ich wollte keine Antwort haben. Ich wollte nur, dass er wusste, dass ich ihn an ihn dachte.

-Please bring my Misha to me...-

Ich schloss weinend meine Augen und nein... diese Nacht schlief ich nicht. 

Little AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt