Kontrolle

45 2 4
                                    

Langes Kapitel! ;) Nehmt euch Zeit. xD (3350)



Der nächste Tag war... merkwürdig. Ich war mit einem unglaublich schweren Stein im Magen aufgewacht. Das Gefühl eines Alptraums hing in meiner Brust, aber ich konnte mich beim besten Willen nicht an den Inhalt erinnern. Zum Glück, wahrscheinlich. 

Träge machte ich mich an die Arbeiten des Tages. Heute war Donnerstag- der Tag, an dem ich meine AG in der Grundschule anbot. Die Kinder waren toll, aber es fehlte der Schwung. Gleichzeitig kam ich nicht richtig zur Ruhe. Normalerweise vertiefte ich mich in den fremden Romanen und konnte dabei meist alles andere in meinem Kopf ausschalten, aber nicht heute. Immer wieder tauchte nicht Misha in meinen Gedanken auf, sondern Florian und mein Vater.

Verdammter Scheiße- wie sollte ich meinen Bruder nur klar machen, dass ich dieses Wochenende um jeden Preis zu Misha musste? Was war, wenn er es mir verbieten würde? Verdammte scheiße. Diese bescheuerten Bedingungen. 

Den Tag über legte ich mir immer wieder die Worte zurecht. Heute musste ich noch mit ihm reden, egal, wie er drauf war. Wenn ich morgen früh los fahren wollte - und ich hatte schon die Zugfahrkarte gekauft und meine Sachen gepackt - dann musste das Gespräch mit Florian wohl oder übel heute stattfinden. 

Meine Unruhe steigerte sich, je näher der Abend rückte. Und mit der Unruhe und dem Herzrasen kam die Angst. Und mit ihr die Übelkeit und Schweißausbrüche. Die letzte halbe Stunde fühlte sich wie ein ganzer Tag an. Aber dann war er endlich da. Betrunken und nach Zigarettenrauch stinkend, fiel er taumelnd um 10 nach 12 in den Flur. Ich fing ihn auf und half ihm aus seiner Lederjacke. Da warf er mir schon den ersten misstrauischen Blick zu. Alles an meinem Körper zitterte. Meine Stimme, meine Hände, meine Knie. Aber trotz dessen ließ ich mich nicht einschüchtern. 

"Ich war heute einkaufen- das reicht mindestens bis nächsten Mittwoch. Vorgekocht habe ich auch schon. Und...naja- dieses Wochenende bist du ja für Oma und Opa da und ich wollte.."

"Nein.", sagte er und blickte schmunzelnd auf mich hinab. Sein Blick war verschleiert und seine Wangen waren ganz rot.

"Du bist betrunken, Florian. Ich weiß, wenn du nüchtern wärst, dann-"

"Nein.", sagte er noch ein Mal seelenruhig und schlurfte in Richtung seines Zimmers. Zumindest versuchte er es. 

"Du hast mich doch noch gar nicht angehört!", hastig stellte ich mich zwischen ihn und seine Tür. 

"Spielt keine Rolle.", brachte er hervor, packte mich grob und stieß mich zur Seite. Aber ich war schneller zurück, als er reagieren konnte. Jetzt tauchte Wut seine braunen Augen in glühendes Schwarz. 

"Geh' mir aus dem Weg.", zischte er. 

"Misha ist nur noch dieses Wochenende in Deutschland. Und ich dachte, da ich ja Geburtstag habe, wäre das ein schönes Geburtstagsgeschenk."

Er lachte und schob mich beiseite. Trotz seines Zustands konnte ich mich nicht gegen ihn wehren. 

"Ist das wirklich deine endgültige Entscheidung?!", rief ich und achtete nicht darauf, meine Großeltern vielleicht zu wecken. Seine Antwort war ein Türknallen. 

Ich sog zischend Luft in meine Lungen und Tränen brannten in meinen heißen Augen. Nein. Das hätte er wohl gern. Nein! Bedingungen hin oder her- ich ließ mir nicht die Möglichkeit nehmen, Misha ein letztes Mal vor seinem Abflug zu sehen! Sollte er mich doch bestrafen! Das nahm ich liebend gern hin. 

Ich stampfte die Treppen hinauf. Diese Nacht schlief ich nicht, sondern legte mir alles zurecht. Um fünf Uhr verließ ich das Haus. Früh genug, sodass meine Großeltern noch nicht wach waren und Florian erst Recht nicht. Ich zog die Tür so leise ich konnte zu. Ein Kribbeln breitete sich in mir aus. Ein seltsames Gemisch aus panischer Angst und Vorfreude. Als ich die Veranda hinab gelaufen war, drehte ich mich noch ein Mal um. Wenn ich jetzt ging, würde er schlimme Dinge mit mir anstellen, wenn ich zurück kam. Ich würde ihn noch dazu verletzen! Ich war ihm nicht dankbar genug, dass er mich überhaupt mit Misha treffen ließ. Es war ein heftiger Kampf und ich musste rennen, um nicht ins Haus zurück zu laufen. Aber ich schaffte es und saß schließlich im Zug nach München. Zu Misha.

Little AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt