Gleich am nächsten Tag war mein Vater verschwunden. Und ich konnte nicht besser gelaunt sein. Sofort rannte ich die Treppen hinauf, bog scharf nach links in mein Zimmer und benutzte zum ersten Mal seit 6 Jahren wieder meinen Schlüssel. Gerade rechtzeitig hatte ich ihn im Schloss umgedreht, da ging die Türklinke schon ruckartig hinunter. Ein Kribbeln fuhr mir in den Nacken und mein Magen krampfte.
"Sarah!", rief Florian wütend und hämmerte jetzt gegen die Tür, "Ich warne dich! Wenn du etwas mit diesem Misha anfängst, bist du tot!"
Ich lachte auf und Tränen der Freude schossen mir in die Augen. Nein- ich hatte keine Angst vor ihm, die anderen Gefühle überwogen einfach zu heftig! Hastig zerrte ich meinen Rucksack unter dem Bett hervor. Er war schon fertig gepackt und lag, wie der Schlüssel, 6 volle Jahre unberührt unter dem Bett. Zum Glück war ich seit dem nicht mehr gewachsen, sonst hätte ich die Kleidung austauschen müssen. Ich steckte das Ladekabel ein, checkte, ob ich die Kette meiner Mutter um hatte, stopfte mein Tagebuch, mein Notitzbuch, mein Lieblingsbuch und eine Schneekugel in den Rucksack und den Laptop in seine Tasche und lief entschlossen Richtung Fenster. Wenn Florian tatsächlich in meinem Zimmer wüten sollte, hätte ich alles wichtige dabei. Trotzdem wandte ich mich sicherheitshalber noch ein Mal um.
Links stand mein Bett an der Wand, rechts mein Kleiderschrank und an der Wand, wo die Tür war, hingen die Regale mit den Schneekugeln und Büchern. Okay- die zurück zu lassen, tat weh. Aber sie mitzunehmen, hätte zu lang gedauert und abgesehen davon, wären sie viel zu schwer gewesen.
Mit rasendem Herzen stieg ich auf die Fensterbank. Das Hämmern wurde immer lauter und inzwischen beschimpfte er mich heftig. Gerade war ich auf das Dach der Garage gesprungen, als die Tür krachend aufsprang und Florian hochrot in mein Zimmer stürmte. Ich winkte ihm noch zu und kletterte dann die Leiter aus Eisen am Rand der Garage herunter.
"Sarah! Wage es nicht, jetzt zu verschwinden!", schrie er, da war ich schon auf dem Weg durch den Garten. Ich steuerte das Hintertor an. Ein Schauer lief mir über den Rücken, aber nur, weil es so kalt war. Ich hatte vergessen, mir die Jacke mit zu nehmen. Aber jetzt zurück zu gehen- nein.
"Sarah!", brüllte er jetzt aus vollem Leibe. Ich meinte darin eine Art Angst zu hören, aber ich ignorierte das Stechen in meiner Brust. Nein- wenn ich jetzt nicht gehen würde, hätte ich mit Sicherheit seine Konsequenzen zu spüren bekommen. Bei dem Gedanken an das letzte Mal, als ich einen Freund hatte, der mit mir weg ziehen wollte, wurde mir übel. Nicht, weil ich ihn so sehr geliebt hätte oder so. Ich wäre eh nicht mit ihm umgezogen. Aber es gab einen Grund, weshalb ich seit dem einen Rucksack unter dem Bett zu liegen hatte.
Ich rannte weiter, wollte mich so schnell wie möglich in Sicherheit wissen. Ich rannte in den Start in ein neues Leben. Worauf ich schon mein Leben lang gewartet hatte. Auf den Moment, der jetzt gekommen war! Das spürte ich in jeder Pore. Und Grund dafür, war Misha Collins.
Die Tränen auf meinen Wangen waren gefroren und ich zitterte am ganzen Leib, als ich an die Holztür klopfte. Laura öffnete mir und als mich ihre braunen Augen begutachteten und ich die wachsende Sorge in ihrem Blick sah, lachte ich laut auf und fiel ihr um den Hals.
"Verdammt, Sarah...", brachte sie hervor und zog mich in ihre Wohnung. Nur umständlich bekam sie die Tür zu. Ich hielt sie erbarmungslos fest.
"Was ist denn mit euch los?", wollte ihr Verlobter wissen. Seine tiefe warme Stimme löste Wohlbehagen in mir aus. Der Duft in ihrem Haus, die Wärme, die in jeder noch so kalten Ecke steckte. Verdammt, war ich glücklich hier zu sein!
Erst, als mich Laura auf das Sofa mit einer Decke, Wärmflasche und heißem Tee verfrachtete hat, kam ich langsam zur Ruhe. Laura und Patrick saßen vor mir in großen Sesseln und hatten beide den selben Gesichtsausdruck in ihren müden Gesichtern. Verwirrung. Erst jetzt bemerkte ich, dass es noch morgens war. Der erste Tag im Jahr war eigentlich für niemanden ein guter Start. Es sei denn, es gab außergewöhnliche Dinge. Außergewöhnliche Dinge, wie Misha.
"Wirst du erzählen, was passiert ist, oder nicht?", wollte Laura wissen und ihr Blick flog zu meinem Rucksack. Sie kannte ihn und wusste, was er zu bedeuten hatte. Wieder schossen mir die Tränen in die Augen und ich versuchte, meine Stimme zu finden. Noch immer raste mein Herz.
"Könnte ich für zwei oder drei Tage hier bleiben?", wollte ich zuerst wissen. Laura und Patrick sahen sich an und zogen beide die Schultern hoch und nickten schließlich.
"Natürlich.", sagten beide gleichzeitig.
"Wir haben immer Platz, das weißt du doch.", meinte Patrick lächelnd. Ich lächelte dankend zurück und atmete jetzt tief ein und aus. Der Geruch von Schnee hing mir noch immer in der Nase und mischte sich nun mit dem fruchtigem Duft des Tees in meiner Hand. Die Wärme kribbelte durch meine Finger und bahnte sich einen Weg in meine Brust. Ich blickte auf die rote Flüssigkeit hinab, als ich begann zu erzählen.
"Ihr wisst ja beide, wie es bei mir zu Hause läuft. Mein Vater ist weg und Florian hat nicht so viel Mut, hier ohne Befugnis herein zu kommen. Nach drei Tagen wird er sich wieder beruhigt haben und dann werde ich zurück gehen."
"Warum?", wollte Laura heftig wissen, "Warum ziehst du nicht aus? Den ersten Schritt hast du doch scheinbar schon hinter dir!"
"Weil..", begann ich langsam und ordnete zuerst die Worte in meinem Kopf. Die Situation zu Hause, die Beziehung zu meinem Bruder und meinem Vater- ich konnte es nicht besonders gut in Worte fassen. Es war eher ein Gefühl.
"Du fühlst dich verantwortlich. Weil sie deine Familie sind.", half mir Laura und ich nickte dankend. Aber sie war noch nicht fertig. Rückte in ihrem Sessel weiter vor.
"Du glaubst, dass dich dein Vater und dein Bruder finden würden, wenn du ohne einen triftigen Grund ausziehst."
Wieder nickte ich und ein Kribbeln fuhr durch meinen Magen. Sofort tauchte Misha in meinen Gedanken auf.
"Sarah!", rief Laura heftig, sodass ich etwas zusammen zuckte, "Du kannst nicht ewig dort festsitzen! Jetzt ist scheinbar die Chance gekommen! Du hast unsere Unterstützung." Sie lehnte sich wieder zurück und warf mir ein sanftes Lächeln zu.
"Wir werden dir helfen!"
Auch Patrick nickte und ich zweifelte nicht daran. Und trotzdem hatte ich ein "Aber".
"Ihr habt Recht.", gab ich zu. Die Worte fühlten sich komisch in meinem Mund an und beide hatten offensichtlich nicht damit gerechnet, dass so etwas aus meinem Mund kommt.
"Aber..", begann ich und redete schnell weiter, bevor Laura mir dazwischen funken konnte, "Ich kann das auf eine Weise regeln, dass weder Florian noch ich in Gefahr wären."
"Achso?", wollte Patrick mit hochgezogenen Augenbrauen wissen. Ich lächelte breit und nickte heftig.
"Ich habe jemanden kennengelernt und selbst, wenn es nicht funktionieren sollte..." Ich machte eine Pause und mein Magen stach heftig. Etwas baute sich in mir auf, was ich nicht richtig beschreiben konnte. War das Zuversicht?
"Ich bin mir absolut sicher, dass er der Grund sein wird, weshalb ich dort raus komme!"
Laura und Patrick tauschten wieder Blicke und sahen mich an, als hätte ich gerade von einem Ufo gesprochen. Und ich konnte sie verstehen! Ich war nie ein Mensch, der auch nur in irgend einer Form an Schicksal oder an ähnliche Dinge gedacht, geschweige denn geglaubt hat. Aber gerade in diesem Moment, als ich den Satz ausgesprochen hatte, flogen meine Gedanken zurück auf die Straßenüberquerung in Washington. Zu dem Moment, als die Zeit für Misha und mich allein gestoppt hat. Und aller Logik zum Trotz, meine Gefühle waren sich in dem Moment bis heute einig: Diese Begegnung hat etwas ins Rollen gebracht.
(Passendes Bild kommt! Wenn ihr etwas findet: Sehr gerne! :P Schickt mir einfach eine Nachricht oder so!)
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Little Angel
أدب الهواةPAUSIERT Eingesperrt. Sarah war eingesperrt. Familie, Freunde, Arbeit- das alles hatte eine andere Bedeutung für sie. Mit 26 Jahren begab sie sich zum ersten Mal in die Weite der Welt, nur um feststellen zu müssen, dass die Größe Washingstons nichts...