the price you pay

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"Oh mein Gott.", hörte ich Misha aufkeuchen, "Sarah!"
Sofort tauchte sein aschfahles Gesicht über mir auf und er zog mich auf die Beine. Kurz darauf landete ich in seinen Armen. Er drückte meinen Kopf gegen seine Schulter. Noch ganz benommen vom Aufprall, suchte ich Halt und krallte mich an ihn. Das Dröhnen wurde zu einem lauten Fiepen.
"Es tut mir so Leid, das wollte ich nicht."
Er tastete meinen Hinterkopf ab. Schob meine Haare hin und her, aber schien nichts zu finden. Weinend drückte er mich an sich.
"Schon gut..", murmelte ich. Meine Zunge tonnenschwer. "Mir tut es Leid."
Ich schob mich von ihm und wollte mein Gleichgewicht finden, als ein Auto mit quitschenden Reifen am Ende der Straße hielt. Als ich es erkannte, fluchte ich laut auf und sah auf meine Uhr.
"Zu spät!"
Ich sah Misha geschockt an. Sofort raste mein Herz und jede Wut gegen Misha war verschwunden.
"Ich komme zu spät nach Hause!"
Misha rollte mit den Augen: "Das kann doch nicht sein Ernst sein. Wie alt bist du?"
"Das spielt keine Rolle!", hastig sah ich mich nach meiner Jacke und der Tasche um.
"Sarah!", rief Florian. Mein Bruder zündete sich gerade eine Zigarette an und blickte zwischen mir und Misha hin und her. Ein paar Sekunden lang herrschte vollkommene Stille. Sowohl ich als auch Misha waren starr, wie Stein. Florian nahm einen kräftigen Zug an der Zigarette und kam dann auf uns zugelaufen. Wieder trug er seine Lederjacke und aus dem Auto schallte Rapmusik.
"Misha..", brachte ich hervor, während ich hastig meine Sachen zusammen klaubte. Misha kam auf mich zu, aber ich schüttelte den Kopf.
"Geh einfach, okay?", sagte ich und lief auf meinen Bruder zu.
"Sarah.", sagte Misha mit einem belustigten Schmunzeln auf den Lippen, "Komm schon."
"Nein!", sagte ich heftig, aber leise, "Geh!" Und als er keine Anstalten machte, zu gehen, fügte ich flehend hinzu: "Bitte.."
Jetzt verschwand sein Schmunzeln und er zog die Augenbrauen zusammen. Er kannte Florian und meine Situation zwar, aber er schien sich Florian gegenüber überlegen zu fühlen. Oh- er hatte ja keine Ahnung!
"Sarah!", rief Florian wieder und ich wandte mich nun ihm zu.
"Es- es tut mir leid.", brachte ich hastig hervor und hob schon die Hände, um ihn zu beruhigen, aber er packte meinen Oberarm und wandte sich an Misha.
"Hey!", rief der und kam nun auch auf uns zu, "Lass sie los."
Florian antwortete nicht, sondern zog nur wieder an seiner Zigarette.
"Lass sie los.", sagte Misha jetzt wieder. Er stand direkt vor Florian und griff nach meinem anderen Arm. Mein Bruder grinste nur. Sie waren etwa gleich groß und trotz des Altersunterschiedes, hatte Misha keine Chance.
"Ist schon gut.", sagte ich hastig und sah zu Misha auf, aber der löste nicht eine Sekunde den Blick von Florian. Also wandte ich mich Florian wieder zu und legte flehend eine Hand an seine Brust: "Bitte, Misha wollte mich gerade nach Hause bringen, wir-"
Aber er schlug meiner Hand weg und ließ Misha nicht aus den Augen.
"Sie hat geweint." Er legte den Kopf etwas schräg. Misha runzelte die Stirn. Aber gab keine Antwort.
"Sie. Hat. Geweint.", wiederholte Florian eindringlich und in seiner Stimme klang etwas mit, was mir gar nicht gefiel. Oh mein Gott.
"Du hast getrunken, Flo..", keuchte ich geschockt und wollte ihn gleichzeitig von Misha wegdrücken, "Bitte lass uns einfach nach Hause fahren."
Aber er hörte nicht auf mich. Stattdessen zog er mich mit einem heftigen Ruck aus Mishas Griff und verfrachtete mich hinter sich.
"Sarah..", brachte Misha hervor, bevor Florian ihn am Kragen packte.
"Du solltest besser auf sie aufpassen, Misha.", zischte Florian und warf die Zigarette weg. Misha schlug seine Hand weg.
"Lass sie in Ruhe, Florian. Sie ist erwachsen."
Florian lachte nur laut auf und kurz darauf flog seine Faust in Mishas Gesicht. Ich erstickte meinen Schrei hinter einer Hand. Meine Jacke und meine Tasche fielen zu Boden. Während Misha noch zurück taumelte, rannte ich auf Florian zu. Wollte ihn zurück ziehen, aber er stieß mich zu Boden.
"Mit dir rede ich später noch!"
Vor Angst zitternd, sah ich zu Misha, der wieder etwas zu sich gekommen war. Er warf mir einen verzweifelten Blick zu und dann trat der pure Hass in seine Augen. Und er richtete sich gegen Florian. Ich konnte es nicht aufhalten. Misha ging auf Florian los, aber der wusste sich zu wehren. Nach ein paar Schlägen in Florian's Magen und ins Gesicht, wobei er nur die ganze Zeit über gelacht hatte, bekam Misha seine Wut zu spüren. Oder eher gesagt dessen Wahnsinn. Misha bekam einige Schläge im Gesicht ab, sodass er taumelnd zurück fiel. In dem Moment packte ihn Florian an den Haaren und zwang ihn auf die Weise auf die Knie. Misha war zu benommen, um sich richtig wehren zu können. Unbeholfen zerrte er an Florians Armen, aber er hatte keine Chance! Mein Körper war so angespannt, dass er zitterte und meine Augen brannten höllisch. Aber ich konnte nicht wegsehen. Florian lachte wild auf. Blut spritzte aus seinem Mund und traf Misha im Gesicht.
"Du hast keine Ahnung, mit wem du dich anlegst.", lachte Florian. Wahnsinn. Der pure Wahnsinn klang darin wider. Nein! Mein Reflex holte mich auf die Beine und ich lief auf Florian zu. Ich musste ihn unbedingt aufhalten! Bevor-... aber es war zu spät. Florian zerrte Misha dichter an ihn heran. Positionierte dessen Kopf wie einen Golfball. Und dann rammte er ihm das Knie ins Gesicht. Das Geräusch von brechenden Knochen raubte mir jede Kraft aus dem Körper und ich erstarrte. Die Luft blieb mir weg. Nicht in der Lage, meinen Körper zu kontrollieren, musste ich dabei zusehen, wie Misha zu Boden sackte. Er konnte sich nicht halten. Nur wage blinzelte er zu Florian auf. Das Gesicht Blut überströmt. Meine Tränen versperrten mir die Sicht, aber verschwommen sah ich, wie Florians Fuß mehrere Male Mishas Brust und den Bauch traf. Misha keuchte auf und nur ein leises Stöhnen entwich seinem Mund. Alles in mir zog sich zusammen und meine Knie drohten, nachzugeben.
"Misha..", brachte ich atemlos hervor. Mir wurde schwindelig und ich konnte mich nicht mehr halten. Fiel überwältigt von zerreißendem Schmerz auf die Knie. Aber kein Schrei kam über meine Lippen. Nichts entlastete den Druck. Mit jeder elend langen Sekunde, die verstrich, zog sich meine Brust immer enger zu. Ich bekam keine Luft! Misha verschwamm vor meinen Augen und nur wage nahm ich wahr, dass Florian auf mich zu kam. Grob packte er mich am Arm und zerrte mich auf die Beine. Es tat nicht weh- mein Körper war taub.
"Ich vertraue dir, Sarah. Aber nicht ihm.", zischte er mir zu. Es fühlte sich an, als steckte Watte in meinen Ohren. Ich blinzelte heftig. Während mich mein Bruder hinter sich her schliff. Als wir Misha Meter für Meter blutend und womöglich bewusstlos hinter uns ließen, bewegte sich etwas in mir. Mein Magen wallte und als würde mein eiskalter Körper von einem warmen Wasserstrahl getroffen, taute ich auf. Schmerzvoll, langsam, innerlich brüllend.
"Misha..", brachte ich nur hervor. Florian lachte auf.
"Misha! Du und dein Misha! Was glaubst du, wer er ist?" Er blieb stehen und zerrte mich herum. Packte mich im Nacken und richtete meinen Blick auf den Körper, der dort verloren und reglos auf der Straße lag.
"Sieht so ein Ritter aus, der uns aus den Fängen des Drachens befreit?" Florian lachte wieder auf, "Das sind deine Freunde, mit denen du geworben hast?"
Tränen rannen über meine Wangen und jedes Wort von Florian schnitt mir tiefer in mein Herz. Schluchzer kamen über meine Lippen und ich bebte!
"Sieh dir an, was passiert, wenn du dich wehrst, Sarah!" Sein Griff wurde fester und jetzt spürte ich den Schmerz. Ja- ich sah es mir an. Ich sah mir an, was meine Unfähigkeit auslöste! Aber eines hatte Florian noch nicht begriffen. Meine Tränen verdampften in lodernder Wut. Meine Finger kribbelten und es breitete sich in meinem ganzen Körper aus. Ich war wach.   
"Sieh dir an, was passiert, wenn du aus Vaters Zwängen fliehen willst!", schrie er, "Das macht alles noch schlimmer!"
Adrenalin schoss jetzt wie ein Stromschlag durch meinen Körper und ich riss mich von meinem Bruder los. Überrascht blickte er mir entgegen und jetzt sah er mit seinem blutverschmiertem Gesicht nicht mehr wahnsinnig, sondern lächerlich aus.
"Lass mich in Ruhe!", brüllte ich ihm entgegen und ohne ihm Zeit für eine Reaktion zu lassen, schlug ich ihm mit der Faust ins Gesicht. Er taumelte einen Schritt zurück und sofort wich die Verwirrung aus seinen Augen und Wut trat an ihre Stelle. Mit geballten Fäuste wandte er sich mir zu, aber nein! Nicht dieses Mal!
"Nein!", schrie ich und als er dicht genug war, trat ich ihm zwischen die Beine. Röchelnd und fluchend ging er zu Boden. Sofort drehte ich mich um und rannte auf Misha zu, der noch immer am Boden lag.
"Das wirst du bereuen, Miststück!", schrie er mir hinterher. Ich drehte mich zu ihm um und blieb für einen Moment stehen. Wartete, bis er mir in die Augen sah. Alles in mir schrie, aber ich musste ihm in den Rücken fallen. Er hatte es nicht anders gewollt und heute auch nicht anders verdient. Niemand rührt ungestraft meine Liebsten an.
"Wenn du Misha oder mich noch ein Mal berührst, dann wird Vater alles erfahren."
"Er ist in Afghanistan!", lachte er, bevor er wieder röchelte und Blut aus seinem Mund spuckte. Lächelnd ging ich zu ihm zurück und hockte mich vor ihm hin.
"Glaubst du, das hindert ihn daran, dich zu bestrafen?"
In Florians Augen trat jetzt die pure Angst und er tat mir schon fast Leid. Aber das musste sein. Mit einem Stein im Magen, lief ich zu Misha und zog ihn auf die Beine. Wir mussten hier so schnell wie möglich weg. Hastig zog ich ihn mit mir.
"Sicher, dass du diese Familie willst?", brachte ich hervor. Misha warf einen Blick über seine Schulter und spuckte Blut, bevor er mir antwortete.
"Wir fliegen Morgen."
Ich schluckte, während mir Tränen über die Wangen liefen. Ich wusste ganz genau, worauf er anspielte. Er meinte damit nicht nur das Wochenende.
"Misha, ich kann nicht..", brachte ich erstickt hervor, "Ich arbeite hier. Meine Freunde sind hier. Meine Großeltern. Ich..."
Ich wusste nichts mehr zu sagen und Misha konnte nicht sprechen. Erst im Taxi auf dem Weg zum Krankenhaus, als ich mir sein geschundenes Gesicht besah, sagte er: "Nur für ein paar Wochen. Bis er keine Gefahr mehr ist, Sarah."
Ich lächelte ihn gequält an.
"Du musst noch nicht entscheiden, ob du mit mir zusammen ziehen willst. Keine Sorge.."
"Ich liebe dich, Misha..", brachte ich hervor und küsste seine Stirn.

Little AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt