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Langes Kapitel!


Ich verbrachte die Nacht damit, mein Zimmer irgendwie in Ordnung zu bringen und stellte fest, wie erleichternd die Arbeit war. Natürlich brach ich immer wieder in Tränen aus und Hass baute sich in mir auf. Hass gegen meinen Vater, gegen den Tod meiner Mutter, gegen Florian. Hass und Liebe vertrugen sich nicht und trotzdem schafften sie es, gleichzeitig in mir zu leben. Florian ließ mich allein und in dieser Nacht kümmerte er sich um meine Großeltern, ohne ein Wort zu sagen. Der Morgen dämmerte schon, da lag ich mit brennenden Augen in meinem Bett und starrte an die weiße Dachschräge. Es kamen längst keine Tränen mehr heraus. Ein Lächeln zuckte über mein Gesicht. Ich hatte meinen eigenen Körper überlistet.
-Was machst du jetzt, huh? Wenn du nicht mehr weinen kannst?-
Ich schaute zum 20. Mal auf meine Armbanduhr und beschloss, dass es jetzt spät genug war, Misha zu schreiben. Ich hievte meinen ausgelaugten Körper in die Höhe und holte mein Handy hervor.
'Guten Morgen, Mr. Collins.'
Ich steckte das Handy in die Hosentasche und machte mich wankend auf den Weg ins Bad. Okay- der fehlende Schlaf machte meinem Körper offensichtlich zu schaffen. Ich war die Treppe schon hinunter gelaufen, als mir träge in den Sinn kam, dass ich noch in den Sachen von gestern steckte. Genervt aufseufzend lief ich nach oben und klaubte sauber gebliebene Sachen hervor, checkte meinen Hals nach der Kette ab und lief wieder hinunter ins Bad. Florian begegnete mir auf dem Flur. Stumm standen wir ein paar Sekunden voreinander und betrachteten uns. So wie er aussah, hatte er auch nicht geschlafen.
"Siehst scheiße aus.", brachte er hervor. Ich nickte, war aber zu müde, um zurück zu feuern. Also drängte ich mich einfach an ihm vorbei und verschwand im Bad. Kleidung aus, Wasser an. Fuck- kalt. Ich überlegte eine volle Sekunde, ob ich mir die Mühe machte, eine angenehme Temperatur zu finden. Schließlich blieb ich einfach unter dem Eiswasser stehen. Es war überraschend angenehm. Brachte Gefühle und den Scheiß zurück, den ich brauchte, wenn ich Misha gegenüber trat.
Es hämmerte an die Tür und ich zuckte zusammen. Beinahe wäre ich ausgerutscht.
"Beeil dich."
Ich verdrehte die Augen, stellte das Wasser ab. Zähne putzen, Kleidung an, Haare geföhnt - fertig. Gerade wollte ich aus dem Bad, als es mir noch einfiel. Lieber jetzt aufs Handy schauen.
'Guten Morgen, die Dame.'
Schmunzelnd tippte ich: 'Hast du heute Zeit?'
'Ja, abends.'
'Gut. Dann führe ich dich um 9:00 Uhr aus.'
'Das lässt wohl keine Widerrede zu.'
Etwas baute sich in mir auf und ich liebte das Gefühl. Auch wenn ich mir noch nicht sicher war, was es genau war. Es hob mein Kinn und streckte meine Schultern.
'Auf keinen Fall, Mr. Collins. Wir haben wichtige Dinge zu besprechen. Ein späterer Zeitpunkt wäre nicht akzeptabel.'
Es dauerte eine Weile, bis er antwortete und ich hatte einen kurzen Moment des Selbstzweifels. Ob er es noch als Spaß verstand? Er würde doch nicht glauben, ich würde tatsächlich so mit ihm reden?
"Sarah!", rief es und Florian hämmerte wieder gegen die Tür. Wütend trat ich dagegen.
"Verpiss dich, Florian!"
Ich hörte, wie er scharf Luft holte. Und eigentlich hatte ich mit einer Drohung gerechnet. Aber es kam nichts. Er lief einfach davon. Offenbar hatte das Gespräch in der Nacht mehr gebracht, als ich erhofft hatte.
'Wie Sie wünschen, Madame.'
Wieder löste er das Gefühl in mir aus und meine Müdigkeit flog dahin. Ich verließ das Bad und sah Florian nicht in die Augen, als ich hinauf in mein Zimmer lief. Er saß auf der Treppenstufe und verdammt, das war unser Platz. Wenn wir offen füreinander waren, wenn wir verletzbar und echt waren. Auf diesen Stufen waren alle Regeln ausgesetzt. Auf diesen Stufen waren wir Geschwister, die von ihrem Vater misshandelt wurden. Ich stand schon oben, als ich mich noch ein Mal zu ihm umwandte.
"Vater ist weg.", sagte ich laut und mit starker Stimme. Ich wollte für Misha da sein, mich ihm öffnen können. Da war kein Platz, für Florians Schmerz. Aussperren! Er wandte sich zu mir um, ohne aufzustehen.
"Wovor hast du Angst, Florian?"
Seine Augen waren rot und seine Unterlippe begann zu zittern. Ich biss mir auf die Unterlippe und löste den Blickkontakt zu ihm. Es zerriss alles in mir.
"Glaubst du, das hindert ihn daran, mich zu bestrafen?"
Nein- das zerriss mich. Ich war mir nicht mehr sicher, ob überhaupt etwas in dieser Familie mich nicht zerriss.
Was? Was wollte er von mir? Ich sah ihm in die braunen Augen und blickte purer Angst entgegen und hatte keine Worte für ihn übrig. Ich hatte ihm schon alles gesagt, meine Entscheidung getroffen. Und offenbar wusste er es. Seine Augen wurden wieder kalt und stumpf, dann wandte er sich wieder um. Ich atmete aus und versuchte, den Schmerz von mir zu stoßen.
"Du hast keine Ahnung, was du da los trittst.", murmelte er leise, fuhr sich durch die Haare und stand von der Treppe auf. Ich wollte gerade in mein Zimmer. Zum Glück hatte ich schon alle Tränen verbraucht. Da wandte er sich mir wieder zu. Tja- die Magie der Treppe war dahin. Seine Augen sprühten vor Kälte und Feuer. Stark und von sich überzeugt, stand er da. Sah zu mir hinauf, als wäre er 100 Meter groß.
"Du triffst ihn hier, sodass ich euch im Auge habe, oder gar nicht."
Ich öffnete meinen Mund, aber sein Blick verbot jede Widerrede. Erst als er weg war, stieß ich einen Schrei aus. Ich stampfte in mein Zimmer, überwältigt von Gefühlen. Wollte die Tür schmeißen, aber sie lag ordentlich neben dem offenem Viereck an der Wand.
-Okay, Sarah. Beruhige dich. Das ist alles zu regeln. Veränderungen passieren langsam.-
Ich stieß zitternd die brennende Luft aus meinen Lungen und sah mich in diesem Zimmer um, dass das einzige in diesem Haus war, was zeigbar war. Was für eine Ironie. Nein- hierher würde ich Misha nicht bringen. Niemals.
-Langsam und schmerzvoll.-
Als ich wieder hinunter ging, schoss mir die Tatsache durch den Kopf, dass die Schüler zum Glück noch Ferien hatten und ich als Lektor relative Freiheit hatte. Anders hätte das alles um einiges länger gedauert. Ich suchte Florian und fand ihn in seinem Zimmer. Für Florian war sein Zimmer das gleiche, wie mein Zimmer für mich. Und genau deshalb musste er hier raus. Er lag auf dem Bett und sah mich unbeteiligt an. Als ich auf ihn zu ging, lächelte er sogar. Jetzt bedarf es meinen ganzen Mut und meine gesamte Stärke. Ich packte ihn am Kragen und warf ihn auf den Boden. Nur der Überraschungseffekt hatte mir das ermöglicht. An den Haaren ziehend, beförderte ich ihn auf die Beine und als ich ihm in die Augen sah, wusste ich, dass ich ab jetzt vollkommen ausgeliefert sein würde. Gut. Hastig wandte ich mich um und wich seiner Hand aus. Ich stürzte aus dem Zimmer und rettete mich auf die Treppe. Erst, als ich seine Schritte auf dem Holz hörte, blieb ich stehen und wandte mich um. Er packte mich am Pulli und warf mich zur Seite gegen die Wand. Es tat weh, sicher, aber es hielt sich in Grenzen. Er sah mir direkt in die Augen.
"Du hättest mich einfach fragen können.", zischte er.
"Hätte ich das?"
Ein paar Sekunden dauerte es, bis er mich los ließ. Sein Atem ging heftig, aber schließlich setzte er sich und ich mich neben ihn. Erleichtert wischte ich mir über das Gesicht und begann die Verhandlungen. 

Little AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt