Der Sprung ins kalte Wasser.

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TRIGGER-GEFAHR!



Der nächste Tag und auch der Abend kamen schneller, als gedacht. Das besondere Abendessen für mich und Misha musste natürlich ich vorbereiten. Dieses Mal nahm ich es aber sehr gern hin, denn es lenkte mich ab. 

Vielleicht wäre ich alle 10 Minuten in Ohnmacht gefallen, hätte ich mich nicht an der Anrichte festhalten können. Hätte ich mich nicht darauf konzentrieren müssen, die Rezepte so perfekt, wie möglich umzusetzen. Ich war noch immer nicht besonders gut darin, zu kochen. Seit meine Mutter sich das Leben genommen hatte, hatte ich ihre Arbeit übernommen und trotzdem- ich war einfach keine Hausfrau. Ob es dafür auch etwas, wie den "grünen Daumen" gab? Ich besah mir meinen Daumen, der - weil Vater die gelben Handschuhe weggeschmissen hatte (Mutter hatte auch nie welche benutzt) - ganz schrumpelig war. Vielleicht gab es ja ein Sprichwort über schrumpelige Hände und Hausfrauen? Wer weiß!

"Hey!", rief Florian hinter mir und unterbrach meine absolut sinnlosen Gedanken. Zum Glück wohl. 

Er kam gerade von draußen und ein Schwall frischer Frühlingsluft wehte mir entgegen. Aber mein Lächeln verschwand bei seinem Anblick sofort. Sein Gesicht war so sehr angeschwollen, blau und blutig, dass ich ihn fast nicht mehr erkannte. Geschockt lief ich zu ihm hinüber, aber er hob eine Hand und schüttelte den Kopf. 

"Mach deine Arbeit.", er klang beinahe müde. Mein Gott! Er war zu müde, um mich dafür zu bestrafen, dass er bestraft wurde.  

"Vater erwartet den gedeckten Tisch, wenn er in einer Stunde nach Hause kommt."

"Flo!", brachte ich hervor und meine Augen brannten, "Was hat er dir wieder angetan."

Er presste seine zerrissenen Lippen aufeinander, wich meinem Blick aus und verschwand in seinem Zimmer. Kurz darauf schallte laute Rapmusik in die Küche. 

Alles in mir zerriss in kleine Fetzen. Jetzt war Misha gekommen, brachte mir die Möglichkeit, uns alle zu retten- aber was brachte es?! Es machte alles nur noch schlimmer! Jetzt zweifelte ich ganz stark daran, ob ich Misha nicht lieber von mir stoßen sollte. Aber nein. Nein! Es war zu spät. Nicht nur Misha, sondern auch Laura und Patrick und Julia würden die Polizei einschalten, würde ich mich merkwürdig verhalten. Und was dann passieren würde- nein. Das konnte ich nicht zulassen. Für uns war es das beste, so weiter zu machen, wie bisher. Ja. 

Hastig machte ich mich an die Arbeit. Viel Zeit blieb mir nicht mehr, bis Vater und Misha kamen. Aber ich schaffte es rechtzeitig und bekam sogar ein dankendes Lächeln von Florian. Wenn man das Verzerren seiner Lippen als Lächeln bezeichnen konnte. 

Als Vater und Florian schon am Tisch saßen, das Essen heiß und die Kerzen angezündet waren, wurde ich dann doch nervös. Schwindel und Übelkeit packten mich und im Sekundentakt warf ich einen Blick hinüber zur Tür. 

"Leg die Schürze ab und setz dich, Sarah.", sagte Vater und lächelte mich gönnerhaft an, "Dieser Abend gilt schließlich dir und Misha."

Ich brachte nur mühsam ein Lächeln hervor und setzte mich auf die vorderste Kante des Stuhls. Wir saßen auf unseren gewohnten Plätzen. Das hieß, dass Misha mit sehr viel Abstand zu mir mir gegenüber sitzen würde. Keine Möglichkeit für nicht sichtbare Berührungen unter dem Tisch. Jede Bewegung würde unter der Beobachtung von Vater stehen. 

Ich schluckte und musste mich bemühen, nicht in Tränen auszubrechen. Dieser Druck war unbeschreiblich schmerzhaft. An diesem Abend lag alles in meinen Händen. Es lag in meinen Händen, ob ich Florian und mich aus den Fängen von Vater und seinen Freunden befreien konnte, oder ob Vater Misha doch noch für unwürdig hielt. Mein Gott... Bei der Vorstellung, was dann passieren würde, konnte ich mich kaum noch auf dem Stuhl halten. 

Little AngelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt