Kapitel 42

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Der Unterricht zog sich heute viel zu lang und ich atme erleichtert aus, als ich mich in der Mittagspause an einen der Tische in der Cafeteria fallen lasse. Mein Magen ist wie leergefegt und ich freue mich darauf, endlich was essen zu können.

Ich sehe auf und schaue in die Gesichter meiner Freunde, die von Misstrauen geprägt sind. Ich saß seit einer Woche nicht mehr bei ihnen und habe es vermisst, weshalb ich mich heute dazu entschieden habe, mich wieder an ihren Tisch zu setzen. Der einzige, der mich nicht anstarrt, sondern neben Damian in seinem Essen stochert, ist Lucas. Aber das ist auch keine Überraschung. Ich weiß nicht einmal, ob er irgendetwas von der Aufregung in den letzten Tagen mitbekommen hat und wenn ja, dann scheint es ihn nicht wirklich zu interessieren.

Ich weiß nicht viel über Lucas. Er ist immer still und redet hauptsächlich nur mit Damian. Ich würde ihn zwar gerne besser kennenlernen, aber ich denke ein Gespräch zwischen uns wäre eher peinlich, da keiner von uns wirklich sehr gesprächig ist und es eher in ein langes Anschweigen ausarten würde.

"Hi", murmle ich und ziehe meine Hände tief in meine Ärmel hinein, damit keiner sieht, dass sie zittern. Bei dem Klang von meinen Worten erscheint es mir so, als würde ich meine Freunde aus einer Art Trance wecken. Damian wirft mir ein Lächeln zu, anscheinend ist er nicht sonderlich nachtragend, was mich freut und Anna senkt ihren Blick auf ihr Essen vor ihr ohne noch eine jegliche Emotion in meine Richtung zu zeigen.

Auch Bianca schaut nicht mehr misstrauisch, ihr Gesicht hat jetzt mehr eine blasse Farbe angenommen, was mich daran erinnert, dass ich mir noch irgendwas ausdenken muss, um herauszufinden, was mit ihr los ist. Ich könnte meinen Vater fragen, aber vielleicht merkt er dann, dass Bianca nur ein großer Fehler ist und schickt sie zurück in die Unterwelt - das kann ich nicht riskieren. Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich Chiron fragen soll, aber wer käme denn sonst in Frage?

Reyna vielleicht. Aber ob sie mir helfen kann?

Das ist doch alles viel zu kompliziert.

Nachdem ich bemerke, dass Bianca und ich uns nun seit mindestens einer halben Minute anstarren, werfe ich ihr ein kleines Lächeln, das mehr gezwungen als nett aussieht, zu und stehe auf, um mir an der Essensausgabe etwas zu holen.

Nach dem Essen, dass eher schweigsam vergangen ist, Damian und Lucas haben sich manchmal unterhalten und auch Anna hatte manchmal ein paar Gesprächsfetzen mit eingeworfen, springt Bianca auf einmal auf und verschwindet aus dem Saal. Ich mache Anstalten ihr zu folgen, da es vielleicht ein guter Moment ist, nochmal mit ihr zu reden, aber ich komme nicht weit, da auf einmal Ryan im Schulflur vor dem Essenssaal auftaucht. Auf den kann ich jetzt nur verzichten, was will er jetzt schon wieder?

"Na di Angelo?", fragt er und zieht einen Mundwinkel nach oben.

"Was willst du jetzt schon wieder, Ryan?", frage ich und will weiter gehen, doch Ryan hält mich fest.

"Ich habe von deinem kleinen Geheimnis gehört", meint er und ich ziehe eine Augenbraue nach oben.

"Ach ja", ich versuche mich weiter zu bewegen, doch Ryan drückt mich zu fest an die Wand neben uns.

"Ich dachte, das könnte dich vielleicht interessieren", raunt er mir zu. Was denkt er eigentlich, wer er ist und welches Geheimnis überhaupt?

"Tut es aber nicht, kann ich jetzt durch", frage ich genervt und verdrehe die Augen-

"Jetzt, sei doch nicht so, ich will nur reden", Ryan drückt mich noch fester gegen die Wand.

"Ich habe aber keine Zeit", sage ich.

"Das denke ich schon", Ryan setzt wieder eines seiner überlegenden Lächeln auf.

"Gut, was willst du?", frage ich deshalb und schiebe Ryans Arm etwas von mir weg.

"Ich habe gehört du bist schwul, genauso wie dein kleiner Freund Damian", sagt er und meine Augen weiten sich. Woher weiß er das? Mein Geheimnis wissen hier sonst nur meine Freunde, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Ryan irgendetwas erzählen würden.

"Woher....?", stottere ich deshalb.

"Ist doch egal, was zählt ist, dass ich denke, dass du nicht willst, dass die ganze Schule davon erfährt", lenkt Ryan ab und ich zucke mit den Schultern.

"Das ist mir sowas von egal", das ist es nicht, aber ich will Ryan nicht das Gefühl geben, dass er etwas gegen mich in der Hand hat.

"Hab ich mirs doch gedacht, du willst sowieso nur Aufmerksamkeit", meint er darauf.

"Was hat das denn jetzt damit zu tun", frage ich verwirrt.

"Deshalb hast du dir das ausgedacht. Nur eine Lüge, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber es will ja eh keiner mit dir zusammen sein. Du bist nur irgendein kleiner Junge, der nach Aufmerksamkeit schreit", erklärt Ryan und in diesem Moment höre ich jemanden vom Ende des Flures meinen Namen rufen. Ich schiebe mich an Ryan vorbei, um zu sehen, wer es ist. Zwei blaue Augen umrandet von Sommersprossen und blonden Locken lachen mich an.

Will!

Ich merke, wie sich meine Beine von selbst auf ihn zubewegen und ich ihn in meine Arme schließen, als wir uns endlich begegnen.

"Dir geht es gut", murmle ich in sein Ohr und er nickt.

"Ja, ja das tut es"

"Ich bin so froh, ich habe mir solche Sorgen gemacht", sage ich und lächle.

"Das hat Percy mir auch erzählt, deshalb bin ich sofort hergekommen", meint Will und entfernt sich aus unserer Umarmung, um über meine Schulter zu Ryan zu schauen.

"Macht er dir Probleme?", fragt er und ich schüttle den Kopf.

"Halb so wild", murmle ich, aber Will zieht eine Augenbraue hoch.

"Ist es nicht, warte kurz hier", sagt er und geht auf Ryan zu, der uns beide verwirrt anschaut. Dann packt er ihn am Kragen und drückt ihn gegen die Wand, bevor er ihm etwas ins Ohr flüstert, was Ryans Gesicht blass werden lässt.

"Ja, ja, ich lasse ihn in Ruhe", versichert er Will dann.

Dann schubst Will ihn von sich weg, bevor er zu mir zurück kommt und einen Arm um mich legt.

"Und, was wollen wir unternehmen?", fragt er mich und ich lege meine Stirn in Falten, während ich so tue, als würde ich stark nachdenken.

"Ist mir egal, ich will einfach nur mit dir zusammen sein", antworte ich dann und Will lacht.

"Na gut, wenn das dein Wunsch ist", meint er und wir verlassen die Schule händchenhaltend.

Wenn das Problem mit Bianca nicht da wäre, hätte dies der glücklichste Moment meines Lebens sein können.

Ein kleines Wiedervereinigungs-Kapitel. Ich weiß, ich hatte euch mehr Bianca versprochen, aber ich brauchte einfach ein bisschen Solangelo fluff, sorry not sorry.

Außerdem werden bis zu den Herbstferien nicht mehr ganz so viele Kapitel (also eins vielleicht) kommen. Meine Herbstferien gehen vom 6.10 bis irgendwann zwei Wochen später und ich versuche in dieser Zeit viele Kapitel zu schreiben. Aber ich bin gerade leider in einer kleinen Klausurenphase vor den Herbstferien (die dann auch nochmal vor den Weihnachtsferien kommen wird), deshalb ist das updaten im Moment etwas schwer.

Umbrakinesis - Nico di AngeloWo Geschichten leben. Entdecke jetzt