Kapitel 25.2- Bis zu diesem Tag II

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Nachdem ich gestern nach Hause gekommen war, hatte ich versucht Yuuri noch einmal anzurufen, doch mein Anruf war nicht durch gekommen. Und im hinterdrein bereute ich es irgendwie, so mit der Tür ins Haus gefallen zu sein, anstatt einfach abzuwarten. Aber in diesem Moment... Ich schüttelte meinen Kopf, um diese unangenehmen Gedanken zu verdrängen.
,,Hey Vik, alles in Ordnung?'' Vor mir stand Emil. ,,Du siehst heute irgendwie nicht so ganz auf der Höhe aus.'' Anstatt irgendwelche Anstalten zu machen, etwas zu erklären wimmelte ich das Thema einfach mit einem. ,,Ich hab nicht so gut geschlafen." ab.
Obwohl die Pause so gut wie zu Ende war, tummelten sich ein paar Leute um unseren Tisch und unterhielten sich. Doch nahm ich an dem Gespräch nicht mit Teil. Ich starrte einfach nur aus dem Fenster und wartete, dass die nächste Schulstunde anfing. Die zweite Pause wäre fast genauso abgelaufen. Wäre, ist sie aber nicht. Weiterhin vom vorherigen Tag bedröppelt starrte ich durch den Klassenraum, als mein Blick auf eine Silhouette im Türrahmen viel. Es war Yuuri. Doch sobald ich ihn auch ansprechen wollte drehte er sich um, ging und ich konnte nur auf seinen immer kleiner werdenden Rücken starren. Genau in diesem Augenblick fasste ich einen Entschluss.
,,Hey Emil, ich glaube ich komme am Samstag doch nicht mit."

,,Es freut mich, das du doch gekommen bist." Freudig gab Emil mir einen Klaps auf den Rücken. Planlos und unmotiviert stand ich zusammen mit dem "Freizeitparkkomitee" in einer Runde und wartete, dass sich alle zugehörigen der Gruppe zusammenfanden. Dabei hatte ich mich doch dazu entschieden, nicht zu kommen. Emil hatte mich gestern Abend angerufen und versucht mich umzustimmen.
,,Hey Viktor, ich weiß zwar, dass du gesagt hast, dass du morgen nicht kommst, aber kannst du nicht vielleicht doch kommen?" Ich hatte versucht, ihn abzuwimmeln, aber er legte ein Argument drauf. ,,Damit habe ich gerechnet, aber hör mir erst mal zu! Ich hab zwar keinen Plan, was gerade los ist, aber wenn du kommst, kannst du dich wieder mit Yuuri vertragen. ...Anscheinend."
Natürlich hatte ich mich gefragt, wie er davon wusste, weil ich ihm nichts davon erzählt hatte und gleichzeitig wagte ich es auch zu bezweifeln, dass Yuuri herkommen würde, doch letzten Endes war ich trotzdem gekommen.
Langsam wurde es immer voller und die Gruppe immer kompletter. Von Mal zu Mal spickte ich in die Runde, aber meine Erwartungen wurden erfüllt und ich war mir auch ziemlich sicher, dass dies so bleiben würde. Bis dann die letzten zwei eintrafen.
Zuerst blickte ich sie gar nicht an und hörte nur den Erklärungen zu, doch als ich mich dann doch dazu entschied meinen Blick durch die Menge schweifen zu lassen, blieb er an einem etwas ründlerichem Gesicht mit einem blauen Brillengestell und schwarzen Haaren auf dem Kopf hängen. Mein Mund öffnete sich leicht in Unglauben. Aber wieso? Weshalb? Verdutzt und erstaunt zugleich guckte ich meinen stoppelbärtigen Freund an, der mir nur ein Lächeln zurück warf. Ich wusste nicht wie er es gemacht hatte, aber auf jedenfall müsste ich ihm nachher dafür danken.

,,Wie hast du das gemacht?" Emil zog fragend seine Augenbraue hoch.
,,Wie habe ich was gemacht?"
,,Du weißt was ich meine. Yuuri natürlich. Warum ist er hier?"
,,Freust du dich etwa nicht darüber?"
,,Natürlich freue ich mich." Er lachte.
,,Na dann ist gut. Aber ehrlich. Ich habe eigentlich nichts gemacht, außer Befehle zu befolgen. Der eigentliche Drahtzieher ist der Junge neben deinem Herzbuben."
Der Junge neben ihm hatte kurze, schwarze Haare, etwas platter als Yuuris und eine hohe, schmale Figur. Ich hatte ihn zugegeben noch nie in Person gesehen, aber mir war sofort klar, dass es sich um Yuuris Thailändischen Kindheitsfreund Phichit handeln musste.
Emil fuhr fort. ,,Er kam am Freitag in der Pause zu uns in die Klasse und meinte, dass ich sicher stellen müsse, dass du heute kommst. Du hättest mir einfach sagen sollen, dass du Liebeskummer hast anstatt einfach nur so betrübt zu sein."
Diese Bemerkung zur Seite legend, machte ich mir einen Plan, um mich Yuuri zu nähern. Immerhin wollte ich ihn nicht noch mehr verschrecken als ich es schon hatte. Alleine bei dem Gedanken, wie aufdringlich ich gewesen war und wie sehr er sich erschreckt haben muss, biss ich mir unwillkürlich auf die Lippe. Deswegen musste ich es jetzt langsam angehen lassen. Sodass ich ihm diesmal auch wirklich sagen konnte, was ich schon längst loswerden wollte.

Es war ein Disaster! Es hatten sich so viele Möglichkeiten ergeben gehabt, also warum machte mir das Schicksal bei jeder einzelnen einen Strich in die Rechnung und ließ irgendjemanden dazwischen kommen, wenn ich doch schon fast mein Ziel erreicht hatte?
Als wir am Anfang unsere Gruppen aufgeteilt hatten, natürlich hatte Emil schon im Voraus dafür gesorgt, dass ich und Yuuri in einem Team waren, hatte ich mir geschworen noch hier in diesem Freizeitpark mit ihm zu reden. Doch von Attraktion zu Attraktion wurde es immer schwieriger an ihn heran zu kommen und so waren wir nun schließlich bei der letzten angekommen. Selbst hier würde ich nicht zusammen mit Yuuri fahren können, denn anscheinend hatten sich die "Paare" für diese besondere Fahrt schon gebildet und mir wurde gegen meinen Willen jemand anderes als er zugewiesen.
Auf jedenfall hatte ich meine Hoffnung schon so gut wie aufgegeben, als es passierte. Phichit schien es auf einmal nicht gut zu gehen und mit einem viel sagendem Zwinkern und der Ausrede, dass meine Partnerin ihn begleiten müsse, füllte ich die leere Stelle neben Yuuri.

Schon von dem Moment an, in dem Wir uns in den rosa-pink farbene mit Herzchen bestückte Wagen gesetzt hatte, hatte ich gespürt, dass mein Nebenan unruhig war. Gut verständlich, denn an mir ging das schließlich auch nicht spurlos vorbei, auch wenn ich versuchte, so ruhig wie möglich zu bleiben. Was mir aber nur äußerlich gelang, wie ich vermutete.
Es war eine eher ruhigere Fahrt. Hin und wieder blieb der Wagen mitten im kitschig beleuchteten Tunnel an und ein paar der schnulzigsten Liebeslieder spielten, was einen praktisch nur dazu verlockte, seinem Schwarm seine Liebe zu gestehen. Doch so seltsam uns beiden diese Situation auch vorzukommen schien; einer von uns musste den Anfang machen. Und unerwarteter Weise war es Yuuri.
,,Viktor, also wegen der Sache am Mittwoch, ich-'' Was mir nicht passte. Es freute mich, dass er sich mir zuerst öffnen wollte, aber es gab etwas, das ich auf gederben und gebrechen loswerden musste. Etwas, worauf ich schon sehr lange wartete und es deswegen nicht verkraften würde, diese Chance zu verpassen. Etwas, was gesagt werden musste, bevor sich der Spalt zwischen mir und Yuuri noch mehr vertiefte.

,,Bevor du etwas sagst, darf ich was sagen?'' Er nickte. Jetzt musste ich es sagen. Ich holte einmal tief Luft und atmete genauso tief aus.

,,Yuuri, ich bin der Junge von damals.''
,,Mit Junge von damals meinst du etwa..." Eine Pause folgte und das Schlucken fiel mir so schwer, wie noch nie zuvor. ,,Meinst du damit etwa den Jungen von dem Tag, als ich meinen Schülerausweis verloren habe?"
Mit einem leicht verwirrtem Gesichtsausdruck ließ er seinen Kopf zur Seite hängen.
,,Aber das weiß ich doch schon. Wie kommst du überhaupt darauf?" Ich konnte es nicht fassen. Mochte es an dem Einfluss unseres Umfeldes, oder an Yuuris schier unglaublicher Naivität gelegen haben, aber in mir stieg ein Impuls auf, den ich so nicht mit eingeplant hatte.
Ich legte meine Hände auf seine Wangen, schob seine Brillenträger mit meinen Daumen nach oben und im nächsten Moment berührten sich unsere Lippen.
Es war kein wilder oder stürmischer Kuss, er war keineswegs erotisch oder hielt stundenlang an, es war lediglich das berühren unserer Lippen. Und trotzdem fühlte ich dabei soviel. Yuuris Lippen waren weich, viel weicher als ich sie mir je vorgestellt hatte. Ich konnte die Hitze spüren, die von ihm ausging. Konnte spüren, wie sie auf mich überging. Ich schmeckte die süße Schokolade vom Liebesapfel, den er sich vorhin gekauft hatte und erinnerte mich, wie ich ihm einen Schokofleck von der Wange wischen wollte. All das spürte ich in den paar Sekunden, in denen wir vereint waren. Dieser Moment war so unschuldig und trotzdem emotional so intensiv, dass ich danach ein bisschen brauchte, um meine Worte zu koordinieren.
Ich lächelte und sah in das orientierungslose und hoch rot angelaufene Gesicht meines schwarzhaarigen Schwarms. ,,Nein, ich bin der einst kleine Junge, der dich damals aus diesem echt kalten Wasser gezogen hat und dich seitdem einfach nicht vergessen wollte."

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A/N: Too soon?

Yūri! in SchoolWo Geschichten leben. Entdecke jetzt