Am nächsten Morgen brachte Ludo einen Stapel Leder und was man sonst noch so für einen Sattel brauchte, mit. Anschließend holte er ein Maßband und ich begleitete ihn zu Vito, der wartend in seiner Box stand. Er nahm verschiedene Messungen an Vito vor und diktierte mir die Werte, die ich auf einen Zettel schrieb, den er mir vorher gegeben hatte. Mein Pferd ließ das geduldig über sich ergehen.
Kurze Zeit später saßen wir in dem roten Umkleideraum, in dem Ludo sich am liebsten aufhielt. Er hatte sogar mal sein Pferd mit hinein genommen, wie die tollen Backstagebilder von Nicole damals in Facebook bewiesen hatten. Ludo hatte seinen Sattel geholt und legte ihn, als Vorlage auf einen Stuhl vor uns. Ich kniete am Boden und versuchte, mithilfe einer Schablone, den ersten Teil von meinem zukünftigen Sattel auf das Leder zu zeichnen. Ludo beobachtete mich und arbeitete selbst am nächsten Teil. Wir legten unsere Arbeit erst nieder, als er sich für die erste Show richten musste.
Auch ich fing an, Vito ein wenig herzurichten, damit ich ihn nochmal an die Arena voller Leute gewöhnen konnte. Charly, unser Clown für das Vorprogramm wartete schon auf seinen Einsatz und ich führte Vito am Halfter zu ihm. "Hallo.", begrüßte ich ihn lächelnd und begrüßte mich ebenfalls. "Hi, Hanna. Willst du mit ihm auch in die Arena?", fragte er gleich und ich nickte. "Ja, er muss sich irgendwann daran gewöhnen. Stört es dich? Ich kann das auch nach der Show machen, wobei es mir lieber wäre, wenn ich auch kurz vor der Show schon eine kleine Runde gedreht hätte.", fragte ich, doch Charly nickte. "Klar, wenn du mir nicht die komplette Show stielst!", lachte er. "Nö, nur eine Runde, dann bin ich wieder draußen.", grinste ich und wir warteten zusammen, bis die ersten Besucher hinein strömten. Als kurz darauf die meisten saßen, nickte Charly mir zu und ich führte Vito in die volle Arena.
Sofort wurde der Falbe unruhig und sah sich ängstlich um. "Eine Runde und dann sind wir wieder draußen.", versprach ich ihm und das Pferd nickte ängstlich. Nervös tänzelte er neben mir her, während wir unseren Weg durch den Sand fortsetzten. Einige kleine Kinder standen schon am Geländer und wollten den Hengst anfassen, doch ich schüttelte den Kopf und führte mein Pferd weiter innen, sodass sie keine Chance hatten. Kurz darauf traf ich auch eine Frau, die ein kleines Mädchen an der Hand hielt. "Darf sie mal streicheln?", fragte die Frau und deutete auf ihr Kind. Ich schickte Vito weiter in die Mitte, hinter mich und stellte mich selbst näher an den Zaun, an dem sie stand. "Nee, das geht bei ihm nicht. Er ist noch selbst sehr jung und findet Menschen nicht so toll.", erklärte ich kurz und die Frau führte ihr enttäuschtes Kind weg.
Vito stand in der Zwischenzeit zitternd in der Mitte und wusste nicht genau, wo er hinschauen sollte. Ängstlich blickte er die Menschenmassen an und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Ich kraulte ihm beruhigend den Hals und führte ihn noch ein Stückchen näher zu den Menschen. Doch schließlich reichte es dem Pferd. "Hanna, ich kann das nicht.", murmelte er und stemmte die Beine in den Boden. Flehend sah er mich an. "Ok, dann gehen wir wieder. Wir wollen ja nichts überstürzen.", meinte ich beruhigend und führte ihn wieder in Richtung Ausgang. Erleichtert schnaubte Vito und sah mich dankbar an. "Aber nach der Show gehen wir nochmal kurz hinein, es ist wichtig, Großer, dass du das lernst.", sagte ich sanft, aber bestimmt und mein Pferd nickte geschlagen. Während der kompletten Show führte ich meinen Falben im Hof Schritt und langsam wurde er wieder völlig entspannt.
Dies änderte sich allerdings schlagartig, als wieder vor dem Eingang der Arena standen und geduldig warteten, bis alle Darsteller hinausgeritten waren. Unruhig trat Vito wieder von einem Bein auf das andere und blickte nervös zu dem schwarzen Vorhang, der uns noch zu dem Eingang von der Arena trennte. Schließlich zogen Audrey und Camille den schweren, schwarzen Stoff zur Seite und ich ging mit Vito einen Schritt zur Seite, damit die Reiter auf ihren Hengsten genug Platz hatten.
Es dauerte noch eine Weile, bis sich das Chaos der sieben Pferde gelegt hatte und alle aus dem Weg waren. Dann betrat ich mit meinem Pferd im Schlepptau wieder die Arena. Da jetzt einiges weniger los war als vorher, beruhigte sich Vito schnell wieder. Ganz am Ende, als kaum noch jemand da war, ließ er sich so sogar darauf ein, den spanischen Schritt zu präsentieren. Das kleine Publikum applaudierte fleißig für unser kleines Kunststück, worauf Vito vor Entsetzten erst einmal einen Satz zur Seite machte. "Was ist das?", fragte er ängstlich. "Das machen die Menschen so, wenn ihnen etwas gut gefällt. Also das ist vollkommen positiv, da brauchst du keine Angst haben.", erklärte ich und lobte ihn lachend. Vito sah fordernd zu unserem kleinen Publikum und hob nochmal das Bein zum spanischen Gruß. Lächelnd präsentierte ich ihn und wir bekamen wieder Applaus. "Das gefällt ihnen also.", stellte mein Pferd neugierig fest und wollte noch weitermachen. Doch ich schüttelte lachend den Kopf. "Es reicht jetzt. Morgen darfst du das wieder machen." Immer noch lachend führte ich ihn schließlich wieder die Arena hinaus. Vito schmollte ein wenig, nahm es aber hin.
Anschließend führte ich ihn in seine Box und machte mich auf die Suche nach einem Gebiss, welches Vito passen sollte. Große Auswahl hatte ich nicht, da ich auf gar keinen Fall eine Stange in sein junges Maul machen wollte. Wir hatten nicht so viele gebrochene Gebisse. Schließlich fand ich jedoch ein einfach Gebrochenes, das ganz in Ordnung aussah. Damit ging ich wieder zurück zu meinem wartenden Falben. Dieser blickte das Metallding in meiner Hand misstrauisch an. "Was soll das denn sein?", fragte er argwöhnisch und ich grinste. "Das ist ein gebrochenes Gebiss, das musst du in den Mund nehmen, damit, wenn ich dich später reite, die Hilfen besser wirken.", erklärte ich und zeigte es ihm. Immer noch misstrauisch beschnupperte Vito das Gebiss in meiner Hand und berührte es sogar vorsichtig mit seinen Lippen. "Ihh!", schreckte er zurück, "Das ist ja ganz kalt und hart!"
"Das ist normal so, aber probier es zuerst aus, ich werde dir sowieso ein Neues kaufen müssen, es geht jetzt nur um die Größe, weil nicht alle sind gleich groß.", erklärte ich grinsend und Vito machte breitwillig sein Maul auf. Sanft legte ich das Gebiss an die richtige Stelle und hielt es dort fest. Probeweise kaute der Falbe ein wenig darauf herum, aber es schien ihm keine Schmerzen zu bereiten. "Gansch schön ungewohnt.", nuschelte er durch das Metallteil. Aber es passte ihm einigermaßen. Vielleicht war es ihm auch eine Nummer zu groß. Gut, dann würde ich gleich heute Abend ein Neues kaufen, eine Nummer kleiner. Denn morgen begann wieder das Wochenende, da wusste ich nicht, ob ich allzu viel Zeit hatte. Probeweise holte ich noch ein anderes Gebiss, was mir eine Nummer kleiner erschien.
"Welches gefällt dir besser?", fragte ich schließlich und er deutete auf das Kleinere. "Das ist nicht so breit und dick.", meinte er und ich wusch das Passende ab und steckte es ein. Ich würde eine Vorlage gebrauchen.
Wenn ich es hatte, konnte ich ihn auch endlich vollständig an die Trense gewöhnen. Doch für heute hatte ich eigentlich Arbeit am langen Zügel geplant, damit er mal ein bisschen das "Lenksystem" kennenlernte. So tat ich es auch. Mithilfe zweier Longen führte ich ihn durch die Arena. Vito verhaspelte sich zwar noch ziemlich oft, da er Links und Rechts noch nicht unterscheiden konnte und anders wusste ich nicht, ihm zu sagen, wo er hinmusste. Nebenbei arbeitete ich mit den richtigen Hilfen und am Ende waren wir sogar so weit, dass er fast völlig ohne meine stimmliche Hilfe in die richtige Richtung lief.
Mal wieder wurde mir vor Augen geführt, wie ich von meiner Gabe abhängig war. Es war so einfach. Vito wusste sofort, was ich von ihm wollte, wenn ich es ihm sagte. Allmählich lernte ich, meine Gabe deshalb zu schätzen. Vielleicht war ich ja gar nicht so nutzlos, wie ich immer dachte.
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Moondancer - Pferdemädchen
FanfictionDie Rache der Milady, Arenashow 2013. Eine Geschichte über Pferde, Trickreiten, Mario Luraschis Cavalcade und einem Mädchen, das nicht ganz so normal ist. Ein unvergesslicher Sommer steht Hanna, 17, bevor. Ihr größter Traum beginnt wahr zu werden, a...