19. Reiten auf Felicitas

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Die Sonne ging schon ein bisschen auf, als wir den Wald verließen. Ich musste mich beeilen, damit ich vor Sonnenaufgang in de Arena war. Der Himmel war schon leicht mit orangenen Streifen bedeckt und so galoppierte ich den Rest. Meine Hufe flogen nur so über den Weg, während wir immer weiter in Richtung Arena jagten. Die Sonne stieg beharrlich weiter, doch ich zwang mich weiter zu rennen und den Sonnenaufgang nicht zu genießen.

Waren wir solange im Wald gewesen? Die Zeit war so schnell vergangen. Bald kamen wir in der Arena an. Gerade noch rechtzeitig, denn mit dem ersten richtigen Sonnenstrahl, der mein Fell berührte, begann es sich wie von einem Stromschlag getroffen, zurückzuziehen und meiner menschlichen Hülle Platz zu machen.

Marion hatte sich inzwischen auf den Weg gemacht, um meine Kleidung zu holen und nur wenige Minuten später, deutete nichts mehr auf meine Anwesenheit als Pferd. Nur die silberne Strähne an meiner rechten Kopfseite verriet noch, was ich jeden Vollmond war. Allmählich erwachte der Stall zum Leben. „Danke für die wunderschöne Nacht. Es war total magisch.", bedankte sich Marion. Ich lächelte. „Keine Ursache. Schließlich bist du ja nur nebendran gesessen. Was würde ich dafür geben, um mich gesehen zu haben." Sie blickte mir nach, wie ich in Richtung Rangos Box verschwand, um sie zu präparieren.

Die Tür stattete ich mit einem weiteren Hebel aus, damit sie nicht gleich aufging und fügte noch einige Kniffe ein. Da sollte Chris einiges zu tun haben, bis er die Tür aufbekam. Nun ja, wie du mir, so ich dir, hieß es doch. Denn am vergangen Tag hatte er „versehentlich" einen Wassereimer vor meine Füße gestoßen, sodass ich den ganzen Tag nasse Socken hatte. Selbstzufrieden begutachtete ich mein Werk.

Er würde wirklich einiges an Zeit aufwänden müssen. Schließlich sattelte ich Felicitas. Heute würde ich sie zum ersten Mal selbst reiten. Hoffentlich verlor sie dadurch nicht ihren Respekt vor mir. Ich führte sie in die „Halle" und schwang mich gleich darauf auf ihren Rücken. Die Stute war verwirrt. „Was soll das denn jetzt?", fragte sie empört. „Runter von meinem Rücken. Du hast auf mir nichts verloren!", versuchte sie mir zu befehlen, doch ich schüttelte den Kopf. „Vergiss es, ich bin der Reiter und du das Pferd. Ich sag, wann ich runter gehe, nicht du!", erklärte ich ihr gelassen.

Da begann sie zu buckeln. Ich verzog das Gesicht und nahm ihren Kopf mithilfe der Zügel gewaltsam hoch. Jetzt konnte sie nicht mehr den Kopf zwischen die Beine stecken und hinten hoch gehen. Sie wehrte sich mit allen Mitteln dagegen und entschied sich für die Variante steigen. Das konnte ich gut aussitzen. Als auch das nichts half, raste sie wie vom Hafer gestochen los. Sie legte sich mit Absicht weit in die Kurve, damit ich runterfallen konnte. Natürlich dachte ich nicht im Traum daran. Schließlich reichte es mir. „Das reicht jetzt, Felicitas! Hör gefälligst auf, dich so aufzuführen!", schrie ich sie an. Erschrocken rammte sie die Beine in den Boden, sodass ich beinahe über ihren Kopf geflogen wäre. „Haha!", lachte sie mich daraufhin aus.

Ich verdrehte die Augen und nahm die Zügel wieder kürzer. „Es ist genug! Was ist so schlimm daran, von mir geritten zu werden? Alle anderen konnten es ja auch!", fragte ich ruhig. „Alles! DU hast mir die Freiheit geraubt! DU hast mich gezwungen Menschen auf meinem Rücken zu tragen!", erwiderte sie. „ICH habe gar nichts getan. Erstens Mal, welche Freiheit geraubt? Du bist in Gefangenschaft geboren worden! ICH habe dir nur klar gemacht, wo DU in der Rangordnung stehst! Schließlich ernähren und beschützen WIR dich!" Kam von mir der Gegenschlag.

„Ja klar, vor allem, weil ihr mir keine Chance gegeben habt, in der Freiheit zu leben!", warf sie ein. „Weil wir genau wissen, dass du nicht überleben kannst! Unser Land hat sich im Verlauf der Zeit geändert! Die Geschichten, die von alten Pferden erzählt werden, stimmen schon längst nicht mehr! Weil die sie auch nur von älteren Pferden und die wieder von älteren haben!", versuchte ich ihr verständlich zu machen. Doch sie wollte nicht aufgeben. Als sie zum Wort ansetzte, trieb ich sie Vorwärts.

Ohne Nachzudenken lief sie auch. Sie merkte es erst später, dass sie gerade auf mein Kommando gehört hatte. Sobald es ihr bewusst wurde, blieb sie wie angewurzelt stehen. „DU hast mir gar nichts zu sagen!", beschwerte sie sich. „Sollen wir das nochmal in der Rangordnung ausfechten? Du weißt genau, dass ich dir überlegen bin!" Ich verdrehte die Augen.

Daraufhin gab sie schmollend nach. Vor sich hin motzend befolgte sie meine Anweisungen. Ich ritt sie mit all meiner Sanftheit, die ich hatte. So, dass sie sich nicht beklagen konnte. Und das tat sie auch nicht mehr. Irgendwann schien es ihr sogar Spaß zu machen, auf jede noch so kleine Hilfe von mir zu hören. Wenn sie nicht so blöd drauf wäre, manchmal, wäre sie ein total gutes Pferd. Sie hatte wunderbar weiche Gänge und ging taktklar. Es machte richtig Spaß, sie zu reiten.

Ihre ungebändigte Kraft unter mir zu spüren und die starken Muskeln sich bewegen fühlen. Es war ein tolles Gefühl. Ihre lange schwarze Mähne wehte im Takt ihrer Schritte und sie sah richtig edel aus, von meiner Position zumindest. Nachdem wir eine Ewigkeit geritten waren, ich glaube, es waren zwei Stunden, schwang ich mich von ihr herunter und führte sie noch ein bisschen Schritt.

Mittlerweile waren alle da. Doch für Marion würde das heute der letzte Tag sein. Sie sollte wieder nach Kaltenberg, zu dem Ritterturnier. Ludovic und Damien sollten auch mit. Wahrscheinlich würde ich jetzt öfters mal als Darstellerin gebraucht werden, doch nach Marion und Louisas Training, machte ich mir in der Hinsicht keine Sorgen mehr. Solange ich keine Hauptperson spielen musste. Das hieß, ich wollte nie die Milady spielen. Das traute ich mir einfach nicht zu. Schließlich band ich Felicitas an und holte Thorgal. Er war ein sehr ruhiges Pferd im Gelände. Am Halfter nahm ich ihn als Handpferd mit. Ich würde sowieso nur eine kleine Runde im Schritt reiten. Thorgal sollte nur beruhigend auf Felicitas wirken. Was er draußen dann auch tat. Immer wenn Felicitas nervös rumtänzelte und wieder vor einem Vogel erschrak, murmelte er beruhigend auf sie ein. Nach einer anstrengenden, halben Stunde kam ich wieder an der Arena an und wurde von einem grinsenden Christophe begrüßt. „Sag mal, du bist eindeutig zu raffiniert für mich... Ich habe eine Stunde gebraucht, um an mein Pferd zu kommen!", grinste er mich an.

Ich lächelte ihn an und schwang mich von Felicitas runter, warf Marion Thorgals Strick zu und versorgte Felicitas. Bald darauf stand die Stute zufrieden in ihrer Box. „Es ist unglaublich, was du mit ihr geschafft hast.", murmelte Maxime, die gerade Blacos das Heu gab. Grinsend gab ich Felicitas noch eine Möhre und begab mich dann zu Christophe, der aufgebracht Rango für die erste Show sattelte.

Irgendetwas hatte seine Laune von hundert auf null gebracht, in den fünf Minuten, als ich nicht da gewesen war. Rango gefiel die schlechte Laune seines Reiters auch nicht. Immer wieder schlug er ärgerlich mit dem Schweif und schnappte nach seinem Reiter. „Du könntest etwas sanfter mit ihm umgehen, dann würde er auch nicht so extrem reagieren.", schlug ich ihm vor. Er beschoss mich wütenden Blicken. „Warte es nur ab! Gegenschlag folgt!" Jetzt war ich verwirrt.

Gerade eben war er noch richtig gut drauf gewesen. Aber egal. Wie der Gegenschlag wohl wieder aussah? Lächelnd wandte ich mich ab und setzte mich in die Arena, um die erste Show anzusehen.

Moondancer - PferdemädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt