Als sich schließlich die Arena geleert hatte, fing ich an, unser Nachtquartier zu richten. Marion schlief kurz darauf auch ein wenig und ich saß bei Vito in der Box und versuchte, mit seiner Hilfe, die Schmerzen auszublenden. Es gelang mir sogar mehr oder weniger.
Mein Hengst und ich unterhielten uns die meiste Zeit über das "Pferd-sein" und irgendwann erreichte der Mond auch seinen Höchststand. Seufzend krabbelte ich aus Vitos Box, ließ meine Kleidung zu Boden fallen und schloss die Augen. Die Schmerzen, die die Verwandlung mit sich zog, tanzten mir wie orangene Flammen vor meinem inneren Augen. Mit zusammengebissenen Zähnen schaffte ich es, keinen Laut von mir zu geben. Ich wollte mein besorgtes Pferd nicht beunruhigen. Die Verwandlung ging rasch voran, sodass ich knapp eine Minute später als Pferd am Boden lag.
Schwankend stand ich auf, der Gang auf vier Füßen war am Anfang immer ungewohnt für mich. Dann lief ich langsam zu Marions Quartier und weckte sie mit einem leisen Brummeln. Als sie müde die Augen aufschlug, erblickte sie mich und lächelte ein wenig. "Hallo, Moondancer.", murmelte sie verschlafen und richtete sich auf.
Sie folgte mir, als ich zurück zu Vitos Box ging. Seine Augen wurden groß, als er mich das erste Mal als Pferd sah. "Wow, Hanna!", sagte er erstaunt, "Du bist echt schön." Lachend wandte ich mich ab. Kurz dachte ich, was wohl wäre, wenn ich die typischen Stuten-Hormone hätte. Morendo hatte mir vor kurzem erst erklärt, dass ich, als Pferd, noch sehr menschlich roch und auch für sie mehr wie ein Mensch wirkte. Grinsend malte ich mir aus, was passieren würde, wenn es nicht so wäre. Als einzige Stute in einem Stall voller Hengste. Ach, du meine Güte...
Zusammen verließen wir den Stall. Marion, die inzwischen wieder Thorgal geholt hatte, ihn aber nicht ritt, Vito, der immer noch vollkommen fasziniert war und ich. Ich bot Marion meinen Rücken an, damit sie Thorgal entlasten konnte und ich mich für ihre Unterstützung bedanken konnte. Wir beide wussten, dass sie es liebte, auf einem "magischen" Tier zu sitzen.
"Genau das habe ich vermisst.", meinte sie, als sie es sich schließlich auf meinem Rücken bequem gemacht hatte und meinen Widerrist kraulte, was ich mit einem wohligen Brummeln quittierte. Sie konnte das unglaublich gut. In solchen Situationen verstand ich Thorgal, der manchmal wie in Trance war, wenn Marion ihn kraulte oder sonst irgendwie liebkoste.
Genüsslich streckte ich den Hals nach vorne und trottete hinter Thorgal und Vito her, die unsere übliche Ausrittstrecke entlang liefen. "Sollen wir eigentlich mal galoppieren?", fragte ich in die Runde und Marion verstärkte automatisch ihren Griff in meiner Mähne. Als ich daraufhin Zustimmung von den anderen Vierbeinern erhielt, grinste ich breit und sofort schossen wir los. Mit Marion auf dem Rücken war ich deutlich langsamer als die zwei trainierten Andalusier vor mir und so hatten sie mich bald abgehängt.
Vorsichtig verband ich meine Energieströme mit der Energie aus dem Boden. Dann verbreiterte ich dieses Band ein wenig und da schoss auch schon die Energie regelrecht in meinen Körper. Marion beugte sich automatisch ein wenig nach vorne, als ich beschleunigte. Meine Hufe trommelten über den Feldweg und ich bewegte meine Beine so schnell, wie ich es noch nie getan hatte. Kurz darauf holte ich die beiden Andalusier ein, die sich ein hartes Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten.
Lachend zwickte ich Vito spielerisch in den Hals, als ich an ihm vorbeizog. Durch die hohe Geschwindigkeit klammerte sich Marion ordentlich mit den Beinen an meinem Bauch fest. Normalerweise hätte ich das kritisiert, aber bei dem Tempo verstand ich es. Sie jauchzte vor Freude einmal kurz auf und ich streckte meine Nase in den Wind. Dieser fuhr in meine Nüstern und füllte mich mit einem Lebensgefühl aus, das kaum zu beschreiben war. DAS war Freiheit.
Jeden einzelnen Muskel konnte ich in meinem Körper spüren. Die Energie aus dem Boden fuhr in sie hinein, sodass sie nicht müde wurden. Jede Faser spannte sich, lockerte sich wieder und das in meinem Galopprhythmus. Meine Sprünge waren nun richtig lang, ich vermutete, ich legte pro Galoppsprung gut vier, wenn nicht sogar fünf oder sechs Meter zurück.
Viel zu schnell kam mir der Wald entgegen und somit die Kurve, in der ich wohl oder übel langsam machen musste. Sonst würden Marion und ich beide auf dem Boden liegen. Unwillig schüttelte ich den Kopf und verlangsamte meine Galoppsprünge, bis sie schließlich langsam und kontrolliert waren. Die anderen beiden Pferde verlangsamten ebenfalls, aber wohl mehr, weil sie nicht mehr konnten. Im ruhigen Schritt, damit wir uns alle von dem wilden Galopp erholen konnten, bewegten wir uns dann in Richtung Sprungstrecke. "Willst du springen?", fragte Marion verwundert.
Ich nickte. "Klar, aber zuerst ohne Reiter. Immerhin bin ich noch nie gesprungen und ich will dir nicht wehtun.", erklärte ich und Marion grinste. "Wie süß.", meinte sie und zog das süß in die Länge. "Nachher landen wir beide im Dreck und ich bin dann die, die sich schlimmer verletzt", fügte ich daraufhin noch lachend dazu. Meine Reiterin streckte mir beleidigt die Zunge raus. Wenig später waren wir auch schon an der Strecke angekommen. Es waren Natursprünge, die irgendjemand mal dort hingebaut hatte.
Zwei der vier Sprünge waren umgestürzte Bäume, ein Sprung war eine niedrige Hecke und ein Sprung war ein alter Bewässerungsgraben für die alten Tabakplantagen, die es hier vor 100 Jahren gab. In der Ortenau, vor allem bei Rust, hatte man früher Tabak in Massen angebaut, aber heute zeugte nicht mehr viel davon. Kaum ein Feld beherbergte noch diese Pflanze.
"Also, Jungs?", fragte ich in die Runde und sah die zwei Hengste neben mir an, "Wer hat Lust auf eine Runde Freispringen?". Vito nickte begeistert aber ich sah ihn tadelnd an. "Die letzten zwei Sprünge machst du mir aber nicht, die sind noch zu groß für dich. Das musst du erst noch trainieren.". Thorgal wägte auch ein bisschen ab. "Ok, ich mache aber auch nur die ersten zwei Sprünge. Ich will nicht, dass mein Bein schon wieder wehtut.".
Ich warf Marion einen bedeutenden Blick zu und sie rutschte breitwillig von meinem Rücken. Dann trabte ich zum Anfang der Strecke, damit ich genügend Anlauf hatte. Denn ich wollte den Anfang machen. Aus dem Stand galoppierte ich an und testete noch im Laufen den Untergrund. Er war fest, sodass ich mich gut abstoßen konnte. Der erste Baum kam immer näher und als ich kurz davor war, schwang ich meine Vorderbeine in die Luft und stieß mich gleichzeitig mit den Hinterbeinen ab.
Kurz fühlte ich die Schwerelosigkeit, bevor ich wieder auf dem Boden aufkam. Ich hatte etwas wenig Schwung gehabt und flog deshalb nur knapp über den Stamm. Das einzige, was mich daran hinderte, den Baum zu streifen, waren meine Beine, die ich ganz fest angezogen hatte.
Die Landung war ziemlich hart, da ich es noch nicht gewöhnt war zu springen, aber ich federte es gut ab. Allerdings stolperte ich ein bisschen und taumelte kurz, bevor ich mein Gleichgewicht wieder gefunden hatte und mit kräftigen Sprüngen auf den Graben zusteuerte. Hier setzte ich mehr in die Weite, sprang aber zu früh ab, sodass ich nur mit viel Strecken meines Körpers, das andere Ende erreichte. Meine Hinterbeine landeten zum Teil im Graben und ich brauchte kurz, bis ich wieder zu meinen gleichmäßigen Galopp zurückgefunden hatte. Beim vorletzten Hindernis schätzte ich den Sprung richtig ein und gekonnt flog ich ohne weitere Zwischenfälle drüber.
Dann kam das letzte Hindernis. Es war der dicke, alte Baum, der mit Moos bedeckt war. So fest ich konnte stieß ich mich vom Boden ab und flog gen Himmel. Es fühlte sich so viel besser an, als das Gefühl, dass ein Reiter je haben konnte. Die Spannung meiner gesamten Muskeln. Das Adrenalin. Die Gewissheit, dass ich selber dafür verantwortlich war. Es reichte nur ein Fehler und schon wäre Schluss mit Lustig. Mich überlief eine Gänsehaut, die man unter meinem weißen Fell aber nicht sehen konnte. Es kam mir vor wie in Zeitlupe, als ich hinüber glitt. Viel zu früh berührten meine Hufe den Boden wieder und ich federte meinen Sprung gekonnt ab. Allmählich wurde ich doch besser. Mit wehender Mähne galoppierte ich schließlich wieder zu meinen Kameraden zurück.
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Moondancer - Pferdemädchen
FanfictionDie Rache der Milady, Arenashow 2013. Eine Geschichte über Pferde, Trickreiten, Mario Luraschis Cavalcade und einem Mädchen, das nicht ganz so normal ist. Ein unvergesslicher Sommer steht Hanna, 17, bevor. Ihr größter Traum beginnt wahr zu werden, a...