64. Romera

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Mit den sanften Tönen der Flying Stars Fanfare wurde ich am nächsten Morgen wach. Die Intromusik vom Europapark zauberte mir, wie immer, ein Lächeln ins Gesicht und innerlich war ich schon wieder an meinem Lieblingsort, dem Europapark. Doch als ich die Augen aufschlug wurde ich wieder zurück in die Realität katapultiert, als ich an die weiße Decke meines Hotelzimmers sah. Seufzend schlug ich die Decke meines gemütlichen Bettes weg und machte mich fertig.

Kurze Zeit später saß ich beim Frühstück und schmierte mir ein Marmeladenbrötchen. Nebenbei dachte ich an mein Pferd. Wie üblich...

30 Kilometer wollten wir heute zurücklegen, so konnten wir es allmählich steigern. Nach Oppenau war es schon ein ganz schönes Stück. Morgen wollten wir die gleiche Strecke zurücklegen und somit direkt nach Straßburg kommen. Dort wartete bereits mein Vater und eine Box für Vito. Meine Mutter war allerdings in Sundheim aktiv, zuerst wurde mir auch ein Platz in diesem Stall angeboten, in dem meine Mutter Vorstand war. Doch die Boxen meines Vaters waren größer und auch ein wenig nobler. Meine Mutter selbst gab in Sundheim hin und wieder Reitunterricht und war Schriftführerin. Gelegentlich lagen sich meine Eltern deswegen in den Haaren. Mein Vater meinte nämlich, sie solle doch mehr für seinen Stall machen, aber meine Mutter dachte etwas sozialer und wollte ihre Arbeit in einen öffentlichen Verein stecken.

Nachdem ich gefrühstückt hatte, packte ich meine wenigen Sachen wieder zusammen und verließ das Hotel. Kurze Zeit später stand ich wieder vor dem Haus von Jasmin und klingelte. Ein kurzer Blick auf meine Armbanduhr bestätigte, dass ich pünktlich war. Gestern hatten wir uns nämlich auf neun Uhr geeinigt und kurz darauf öffnete sie auch schon die Tür.

"Ach, guten Morgen, Hanna.", begrüßte sie mich lächelnd und ich grüßte zurück. "Morgen, Jasmin. Leben alle Vierbeiner noch?", fragte ich gut gelaunt. "Um genau zu sein, ich war ich noch gar nicht hinten. Aber wir können sofort gehen!", schlug sie vor und nahm sich einen Schlüsselbund, der hinter der Haustür hang. Ich folgte ihr. Sie öffnete die Tür zum Stall wieder mit dem Code und zusammen betraten wir die Scheune. Vito stand schon erwartungsvoll an dem Gatter, das zum großen Paddock führte. Wahrscheinlich hatte er mich schon gehört. Simba und Rambo standen dagegen etwas weiter hinten und schlugen sich gegenseitig die Fliegen aus dem Gesicht.

"Hallo, Schönheit. Hast du dich gut erholt?", fragte ich und drückte ihm einen Kuss auf die samtweiche Nase. Er blies mir sanft ins Gesicht. "Natürlich. Ich bin wieder voller Energie.", erklärte er und ich strich ihm liebevoll über den Hals.

Anschließend holte ich einen Liter Kraftfutter aus meinen Satteltaschen und gab es ihm zuerst. Er brauchte die Energie nachher. Danach richtete ich ihn wieder und schon eine gute Stunde später standen wir startklar auf dem Hof. "Danke nochmal für alles, Jasmin.", bedankte ich mich nochmal und zog einen Zwanziger aus meinem Geldbeutel. Doch Jasmin schüttelte den Kopf. "Nee, du. Lass mal stecken. Es war mir eine Ehre, jemanden aus der Arena zu beherbergen.", lächelte sie und ich bedankte mich erneut. Dann verabschiedeten wir uns und ich ritt los.

Heute führte unsere Strecke fast ausschließlich durch den Wald. Das war deutlich angenehmer als gestern. Im Wald war es schattig und kühl und es waren weniger Fliegen unterwegs. Auch nutzte ich die federnden Waldwege um hin und wieder mal Tempounterschiede zu reiten. Am liebsten jagte ich nach wie vor im Galopp durch den Wald und es tat so gut, einfach mal wieder das Gefühl von Freiheit zu bekommen. Auch Vito gefiel es. Er liebte die Geschwindigkeit genauso wie ich. Wenn er nicht gerade zu faul dazu war. Doch wenn man ihn mal überredet hatte, war er nicht mehr zu bremsen.

Wir machten auf einer kleiner Lichtung Mittagspause. Nachdem ich Vito ein wenig Kraftfutter und ein paar Äpfel gegeben hatte, aß ich selbst zu Mittag. Es war nur ein Sandwich und eine Flasche Wasser. In der Nähe fand ich einen kleine Quelle, die mir einen einigermaßen sauberen Eindruck machte. Ich führte Vito dorthin und dieser trank erstmal ein paar Minuten lang das frische, kühle Wasser. Anschließend nahm ich ihm den Sattel hinunter und ließ ihn ein bisschen frei auf der Lichtung herumlaufen. Mein Falbe nutzte dies auch, um sich einmal ausgiebig zu wälzen. Gott sei Dank hatte ich Putzzeug dabei.

Ich zu meinem Teil nutze die Zeit der Pause um ein bisschen im Gras zu liegen und einfach mal abzuschalten. Meine Arme hatte ich hinter meinem Kopf verschränkt und ich beobachtete den Himmel über mir. Im Ohr hatte ich das sanfte Malmen meines Pferdes, der genüsslich das Gras, das hier wuchs, verspeiste. Beinahe wäre ich eingeschlafen, hätte ich weit in der Ferne nicht ein wildes, unkontrolliertes Huftrommeln gehört. Sofort war ich hellwach und auch Vito hatte innegehalten und sah mit aufgerichteten Ohren in die Richtung, aus der es kam. Es kam immer näher zu uns und ich stand wieder vom Boden auf, um ein paar Schritte in die Richtung zu tun. Mittlerweile kam zu den dumpfen Galoppgeräuschen auch ein Knacken der Äste vor uns dazu.

Durch den dichten Wald konnte ich nicht wirklich etwas sehen und so bekam ich es langsam mit der Angst zu tun. Vorsichtshalber trenste ich Vito mit flinken Fingern und kaum war ich fertig, gab es ein gewaltiges Knacken vor uns und ein schwarzes Pferd stürzte aus dem Unterholz vor uns. Anscheinend war es gestolpert und nun strauchelte es heftig. Beinahe wäre es uns vor die Füße gefallen, doch im letzten Moment fing es sich und blieb kurz zitternd stehen. Auf seinem Rücken war ein Sattel befestigt, der schon gefährlich schief hing. Ein Steigbügel war noch da, der andere schien gerissen zu sein. Die Trense schien etwas zerfetzt und auch von den Zügeln war nicht mehr als ein Fetzen am Trensenring übrig geblieben.

Überall dort, wo das Lederzeug am Körper saß, hatte sich weißer Schaum durch die Reibung von Leder auf Schweiß gebildet. Nur einen kurzen Moment stand es verwirrt da, ehe es wieder einen Satz nach vorne tat und wieder losstürmte. Ich zögerte kaum eine Sekunde und war schon auf Vitos Rücken gesprungen. Dieser wartete noch artig auf mein Zeichen, ehe er hinterher stürmte. Da der Rappe schon sehr erschöpft war und Vito mal wieder seine absolute Schnelligkeit bewies, hatten wir das fremde Pferd schnell eingeholt. Vito schnitt dem Rappen den Weg ab und brachte ihn so zum Stehen. Beruhigend streckte ich die Hand aus, doch das Pferd zuckte zurück.

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, hielt mich aber im letzten Moment zurück. Was, wenn sie auch nicht damit klar kommt, dass ich mit Pferden reden kann?, fuhr es mir durch den Kopf. Vito sah mich kurz fragend an, dann schien er zu kapieren. "Hallo. Wir wollen dir nichts tun.", sagte er so sanft wie möglich. Das Pferd sah mich fragend an und mir fiel auf, dass es gar kein Rappe war, sondern ein nassgeschwitzter Dunkelbrauner. Doch jetzt ließ er wenigstens zu, dass ich ihm beruhigend über den Hals strich.

Es sagte nichts. "Also, das ist Hanna. Sie kann mit uns reden!", stellte Vito mich vor. "Hallo.", murmelte ich leise, damit sie nicht sofort damit überrumpelt wurde. Doch das Pferd zuckte nicht einmal mit der Wimper. "Das kenne ich. Mein Mensch kann das auch.", erklärte das Pferd mit einer schönen, hellen Stimme. Eine Stute war es also. Auch Vito merkte das und ein kurzer Ruck ging durch seinen Körper, als er automatisch ein bisschen in Hengstpose fiel. Er richtete sich auf und präsentierte sich stolz. Ich musste ein wenig schmunzeln, doch wurde auch hellhörig. "Was?!", fragte ich schließlich erstaunt, "Warum bist du dann davongerannt?"

"Ich habe mich erschrocken und dann hat das Mädchen auf meinem Rücken so extrem geschrien, dass ich nicht mehr da bleiben konnte. Meine Ohren klingeln immer noch deswegen...", meinte sie trocken. "Na super... Das hast du echt toll gemacht. Wie heißt du überhaupt?", meinte ich sarkastisch.

"Romera. Meistens werde ich aber Rommy gerufen.", erklärte sie. "Und wo kommst du her?", fragte ich weiter. Ich hatte vor, sie zurückzubringen. "Oberkirch. Glaube ich. Zumindest erzählt mir Sylvia immer davon." "Wer ist Sylvia?", unterbrach ich sie. Die Stute holte tief Luft. Und begann dann zu erzählen...

Moondancer - PferdemädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt