46. Unfair

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Marion hatte sich an mich gelehnt und starrte traurig in die Leere. Ihr Blick schien Löcher in die Wand, uns gegenüber, zu bohren. "Was soll ich bloß ohne ihn machen, Hanna?", murmelte sie leise. "Noch haben wir Zeit mit ihm, Marion. Und die gilt es zu genießen. Lebe für den Tag, sonst verpasst du noch so viel schöne Zeit mit ihm.", versuchte ich sie aufzumuntern. Meine Freundin antwortete nicht. Ihr Blick war absolut leer und emotionslos. Es tat mir selbst weh, sie so zu sehen. "Soll ich es Thorgal sagen?", fragte ich schließlich leise und sah sie fragend an.

Sie nickte mechanisch, doch seelisch war sie nicht wirklich hier. "Komm.", murmelte ich sanft und zog sie sanft hoch. Wie in Trance folgte sie mir und wäre ich nicht so geduldig und verständnisvoll gewesen, hätte ich ihr schon längst eine saftige Ohrfeige verpasst, damit sie endlich aufwachte. Aber ich verstand sie in ihrem Zustand. Immerhin war ich in einem ähnlichen Gefühlsloch gewesen, als Vito verschwunden war.

Vor Thorgals Box wollte Marion jedoch wieder gehen, die Augen tränengefüllt, doch ich hielt sie fest. Der blonde Hengst sah nachdenklich von ihr zu mir und wieder zurück. "Was ist los?", fragte er vorsichtig, ängstlich vor der Antwort. Ich atmete einmal tief durch, bevor ich es ihm sagte. "Du musst gehen, Thorgal. Du hast eine schlimme Krankheit, bis Ende der Sommerferien musst du weg. Es tut mir so leid.", flüsterte ich und hasste dabei jedes einzelne Wort, was ich aussprechen musste. Entsetzt sah er mich an. "Nein.", murmelte er, "Das kann nicht sein. Mir geht's doch vollkommen gut, es ist alles gut. Ich kann hier bleiben. Ich werde die Zähne zusammenbeißen, wenn mein Bein wieder wehtut. Ich mache alles, aber bitte, lasst mich hier.", flehte er mit einem Ausdruck in den Augen, den ich nicht deuten konnte.

"Deine Knochen bauen sich ab, Thorgal. Das kann man nicht heilen. Wir würden dich nur umbringen, wenn wir dich länger hierlassen würden. Aber glaube mir, Marion geht es mit dieser Vorstellung auch nicht gut. Es ist das Beste für dich, Thorgal. Du wirst jetzt Medikamente bekommen, damit wir deinen Fortgang länger heraus zögern können. Und du musst viel Calcium zu dir nehmen, damit deine Knochen sich stärken." Doch der Hengst wollte mir nicht glauben. Er warf den Kopf nach hinten und seine blonde Mähne peitschte nur so durch die Gegend als er begann, sich mächtig aufzuregen.

"Ich bleibe hier! Ihr könnt mich nicht einfach wegbringen! Ich werde mich weigern und keinen Schritt vom Hof machen!", schrie er schon fast vor Verzweiflung. Meine Augen wurden nun auch feucht. Dass ein Pferd selbst so sehr an der Arena hing, hatte ich nicht gedacht.

Leise erklärte ich Marion, was Thorgal gesagt hatte und ging, um die Beiden alleinzulassen. Mein Weg führte mich zu Vito. Es war unfair, das wusste ich. Es konnte doch nicht sein, dass ich jetzt mit meinem eigenen Pferd so glücklich war und Marion zur selben Zeit so leiden musste.

Still setzte ich mich zu ihm in die Box und mein Pferd kam sofort zu mir. "Alles klar?", fragte er mich besorgt. Stumm schüttelte ich den Kopf. "Thorgal muss uns verlassen.", sagte ich trocken. "Oh.", machte Vito nur. Er kannte den anderen Blonden noch nicht so gut. Leise seufzte ich, stand dann wieder auf und machte mich daran, ihn zu putzen. Der Goldfalbe stand absolut ruhig da und döste vor sich hin. Er genoss es richtig, wie ich mit sanften Strichen über sein glänzendes Fell bürstete.

Als ich endlich ausgeglichen genug war, um den Verlust von Thorgal nicht versehentlich in das Training einzubauen, begann ich, Vito zu satteln. Ich tat es nur, damit das Pferd sich an das merkwürdige, harte Teil, wie er es nannte, zu gewöhnen. Zuerst sah er mich ängstlich an, doch als ich ihm ausführlich erklärte, was ein Sattel ist, gab er Ruhe.

Vorsichtig legte ich den Sattel schließlich auf seinen Rücken. Vito beäugte ihn neugierig, aber auch ängstlich. "Keine Sorge, Großer, ich werde ihn noch nicht festmachen. Es geht nur darum, dass du dich daran gewöhnst.", entschied ich mich schließlich um und kraulte ihm beruhigend den Hals. Der Sattel von Hidalgo passte ihm sowieso nicht so richtig. Arnaud musste meinen Hengst dringend vermessen, um ihm einen eigenen zu machen. Oder Ludovic. Der machte zwar nur leidenschaftlich gerne Kopfstücke, konnte mein Pferd aber trotzdem vermessen. Und Sattler hatten sie alle gelernt. Es gehörte zu der Ausbildung eines Stuntreiters dazu. Irgendwann würde ich es auch noch lernen müssen, das wusste ich.

Schließlich führte ich mein Pferd an der Longe in die Arena, weil da einfach mehr Platz war, als auf dem kleinen Sandplatz, den ich sonst als benutzte. Er hatte jetzt einen Longiergurt drauf, denn den kannte er schon besser als den Sattel, hatte ich festgestellt. Ich longierte meinen Vierbeiner ein Weilchen ausgebunden bis ich von Ludo, mal wieder auf dem Sandmobil, hinaus gescheucht wurde. "Gleich ist wieder eine Show!", rief er mir zu und ich verlegte meine Arbeit ins Gelände.

Immer noch mit Longiergurt, aber die Ausbinder baumelten nur locker an der Seite, begann ich ein wenig mit ihm spazieren zu gehen. Vito war im Gelände nun deutlich ruhiger als früher. Er erschrak sich wirklich kein einziges Mal und ich war mächtig stolz auf ihn.

Als ich wieder kam, war die Show kurz vor dem Ende und sobald alle Reiter und Pferde aus der Arena draußen waren, kam ich hinein. Mein Falbe sollte so früh wie möglich an die Menschen gewöhnt werden.

Kaum sah Vito die ganzen Menschen, wurde er nervös. "Keine Angst, Großer.", lächelte ich, "Die kommen nicht zu dir hinunter. Außerdem, sie verlassen doch alle die Arena, oder nicht?", grinste ich. Langsam nickte mein Hengst. "Ja, schon. Trotzdem sind es viele Menschen...", murmelte er und schaute ängstlich in alle Richtungen. Seine Ohren waren komplett aufgerichtet und seinen Kopf hatte er in die Höhe gestreckt. Lächelnd lehnte ich mich ein bisschen an ihn und sah zu, wie, vor allem kleine Kinder, mich ehrfürchtig ansahen.

Plötzlich machte ich rötliche Haare aus, die Nicole gehörten. Die Showfotografin winkte mir grinsend zu. Ich kam näher an den Zaun, der mich von den Zuschauern trennte. "Hallo.", lächelte sie mich an. Ich lächelte zurück und sah sie fragend an. "Dein Blick sagt mir schon wieder, dass du auch Bilder von jedem neuen Pferd aus der Arena haben willst.", grinste ich und Nicole nickte bestätigend. "Hast du Zeit?", fragte sie zuerst und ich nickte bestätigend. "Ja, denke schon. Haben wir Zeit, Vito?", fragte ich mein Pferd grinsend. Er nickte und ich tat es ihm gleich. Nicole lachte und schüttelte den Kopf. Dann holte sie ihre Kamera heraus und schoss ein paar Fotos von mir und Jovito.

Nach ein paar Minuten, Nicole hatte selbst nicht allzu viel Zeit, war das kurze Shooting beendet und ich übte noch ein bisschen spanischen Schritt mit Vito. Der Falbe wurde wirklich immer besser. Anschließend zeigte ich ihm das Hinlegen. Vito gefiel es und er vertraute mir mittlerweile auch recht gut, um solche Sache für mich zu tun. Lachend spielte ich mit ihm, wie er so am Boden lag. Lief um ihn herum und legte mich überall auf ihn drauf und neben ihn.

Jovito fand das ziemlich lustig und am Ende lagen wir beide lachend im Sand. "Du kannst dich echt nicht konzentrieren!", grinste ich und kraulte ihn ein wenig. Anschließend versorgte ich ihn und musste mit Überraschen feststellen, dass mit Jovito die Zeit viel zu schnell verging. Also ging ich wiederwillig nach Hause.

Moondancer - PferdemädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt