Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin | Kapitel 9

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Die Menge jubelte und schrie die unterschiedlichsten Namen, während wir fuhren. Meiner war nicht dabei, doch das überraschte mich nicht. Allerdings waren es sowieso hauptsächlich die Namen der Karrieros, weshalb auch andere, vermeintlich schwächere Tribute nicht beachtet wurden. Sehr auffällig war es bei 12, da der Jubel, sobald sie erschienen, langsam etwas abnahm. Vielleicht lag es daran, dass sie das Schlusslicht bildeten und man sich schon zuvor halb heiser geschrien hatte. Oder es lag daran, dass sie erst 12 waren und nicht den Hauch einer Chance hatten. Möglicherweise lag es aber auch an ihren Outfits, denn sie waren vollkommen nackt und nur mit Kohlestaub bedeckt. Dagegen war unser Kostüm noch ein wahres Meistwerk, denn immerhin bestand es aus festem Material.

Während wir den Weg entlang fuhren machte ich mir nicht die Mühe so dämlich zu winken wie Charly. Ich hätte es nicht getan wenn ich anders aufgetreten wäre, doch jetzt, so als eingeschüchtertes Mädchen, passte es auch ganz gut, wenn ich es nicht da. Ich hatte einfach Angst, so konnte man es zumindest interpretieren. Dass es in Wirklichkeit etwas mit Verachtung zutun hatte, mussten sie ja nicht wissen.

Ein Päckchen mit Taschentüchern landete plötzlich auf unserem Wagen und ich zog überrascht die Augenbraue hoch, ehe ich es mit dem Fuß auf die Straße kickte. Die konnten sich ihre Tücher sonst wohin stecken. Lieber würde ich alles voll rotzen, als ein dummes Geschenk eines Menschen anzunehmen, welcher sich auf den Tod von 23 von uns freute.

Unser Wagen ruckelte einmal ganz kurz und reflexartig hielt ich mich fest, was ich als Chance nutzte wieder etwas verunsichert zu wirken. Ich klammerte mich an den Arm von Charly, der überrascht zusammenzuckte, ihn jedoch nicht abschüttelte. Vermutlich hatte auch er Mitleid mit mir.

Wir erreichten den zentralen Platz und unser Wagen kam zum Stehen. Ganz von allein, als wenn die Pferde wüssten, wann und wo sie halten müssten. Mit Sicherheit waren es irgendwelche Mutationspferde.

Ich versuchte einen Blick auf die Karrieros zu erhaschen, immerhin stand der Wagen von Distrikt 4 nicht weit von uns entfernt, doch die Tribute aus 6 und 5 versperrten mir die Sicht. Meine erste Live-Einschätzung musste also noch warten.

Noch ehe ich mich darüber aufregen konnte wurde es plötzlich still und ich richtete meinen Blick auf den Balkon. Präsident Snow war erschienen und bedeutete der Menge ruhig zu werden. Danach begann er mit seiner Rede und begrüßte uns Tribute, so wie er es jedes Jahr machte. Manchmal fragte ich mich, ob er überhaupt selber sprach oder ob es nur eine Tonaufnahme war und er passend die Lippen dazu bewegte. Jedes Jahr waren es exakt dieselben Worte, wie Treen und ich bei den letzten Spielen belustigt feststellten.

Anschließend setzte sich unser Wagen wieder in Bewegung und wir fuhren in eine große Halle. Der Wagen kam zum Stehen und Janson nahm uns in Empfang.

Er half mir vom Wagen herunter und klopfte mir dann leicht auf die Schulter.

„Gut gemacht Johanna.“, flüsterte er mir leise zu und ich lächelte zufrieden.

Plötzlich tauchte Charly neben mir auf und sah mich an. War das etwa ein besorgter Blick?

„Alles in Ordnung mit dir? Sollen wir hochgehen?“

Wir? Wieso wir? Und was ging es ihn an ob mit mir alles in Ordnung war?

Doch dann fiel mir wieder ein, dass auch ihn dieses schlimme Schicksal ereilt hatte und er in die Spiele musste. Auch er wollte das nicht, hatte sich nicht freiwillig für diesen Wahnsinn gemeldet. Ich würde mich zwar nie mit ihm verbünden, denn ich schloss Verbündete aus, doch ich konnte einen normalen Umgang mit meinem Distriktpartner pflegen. Zumindest solange wir noch nicht in der Arena waren.

„Mir geht es gut, danke. Und ich würde liebend gerne von hier verschwinden.“, antwortete ich deshalb.

Er nickte, danach legte er mir die Hand auf die Schulter und wies mich durch die versammelten Menschen.

Ich spürte einen Blick auf mir ruhen und sah nach links, direkt in seegrüne Augen. Mist, dieser verflixte Odair! Ich hatte aus irgendeinem Grund das Gefühl, er kaufte mir die Nummer nicht wirklich ab. Doch warum sollte er nicht? Ganz Panem schien es mir zu glauben, warum also sollte ausgerechnet er zweifeln? Ich litt wohl schon unter Verfolgungswahn und das noch vor der Arena!

„Dein Vogel rutscht.“, sagte Charly plötzlich lächelnd und holte mich damit wieder aus meinen Gedanken.

Na toll. Dass ich immer beschissen aussah wenn dieser verdammte Fischer zu mir herüber sah?

Ich zerrte an dem blöden Papierteil und warf es dann achtlos zu Boden, ehe ich mit schnellen Schritten Richtung Aufzug eilte. Charly folgte mir, nun ebenfalls ohne Kopfbedeckung, und drückte auf die 7.

Er wirkte sehr sympathisch und sah, was ich zugeben musste, auch gar nicht so schlecht aus. Unter anderen Umständen konnten wir uns vielleicht wirklich gut verstehen, doch nicht hier. Nicht im Kapitol, nicht kurz bevor wir in die Arena mussten. Am Ende standen wir uns noch gegenüber und dann musste ich ihn töten, was ich dann vermutlich nicht konnte, wenn wir uns anfreundeten. Oder ich konnte es, musste dann aber mit schlimmeren Schuldgefühlen leben als wenn es ein unbekannter Tribut war.

In unserem Appartement angekommen verschlug es mir erst einmal die Sprache. Dieser Luxus hier oben war kaum zu beschreiben und machte mich wie gesagt sprachlos, doch auch wütend zugleich. Während wir in den Distrikten unter ärmsten Verhältnissen lebten war hier alles der pure Luxus. Mit Sicherheit hatte auch das Klopapier Fasern von echtem Gold vorzuweisen.

„Zieht euch um, danach treffen wir uns im Speisezimmer zum Abendessen. Trödelt nicht, ihr müsst früh ins Bett, morgen ist bereits der erste Trainingstag.“, wies uns Camilla zurecht, die plötzlich hinter aus aufgetaucht war, und stöckelte dann in eines der Zimmer.

Auch ich begab mich zu meinem Zimmer, auf dessen Tür Johanna Mason eingraviert war, denn ich konnte es nicht erwarten, endlich aus diesem Briefumschlag zu kommen.

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