Nur wenige Sekunden nach dem Treen gegangen war wurde die Tür erneut aufgerissen und Friedenswächter tauchten auf um mich zum Bahnhof zu begleiten. Ich stand auf und folgte ihnen, bis mir wieder einfiel, dass ich ja nun ein verängstigtes und schwaches Mädchen war. Schnell zwang ich mich wieder dazu zu heulen und es gelang mir überraschend schnell. Vielleicht sollte ich, falls ich gewann, als Talent das Schauspielern angeben?
Als wir den Platz zum Bahnhof betraten schlang ich die Arme um mich und begann wieder zu schluchzen, was mir mitleidiges Gemurmel der Menge einbrachte. Krampfhaft musste ich ein Augenverdrehen unterdrücken. Wie sollte ich das nur die ganze Zeit aushalten?
Die Türen wurden aufgerissen und ich betrat den Zug, wo ich sofort von Camilla in Empfang genommen wurde. Sie legte den Arm um mich und redete beruhigend auf mich ein, während sie mich zu meinem Abteil führte. Mein Verschwinden dort hinein kam einer Flucht gleich, vor allem da ich schnell die Tür schloss. Noch länger hätte ich ihr Getue nicht ertragen, vor allem da ich deutlich merkte, dass sie mich nicht mochte. Eine Kämpferin wäre ihr eindeutig lieber gewesen. Ich hätte mich auch lieber als eine solche präsentiert.
Ich musterte mein Abteil kurz, wobei mein Blick auf dem riesigen Bett hängen blieb. Nicht einmal meine Eltern hatten eins in dieser Größe und ich sollte ganz allein darin schlafen! Was für eine Platzverschwendung.
Ich trat näher und ließ mich dann einfach in die weichen Laken fallen. Doch gerade als ich mich ein wenig entspannen wollte, klopfte es an meiner Tür und Camilla sah herein. Schnell vergrub ich mein Gesicht im Kissen.
„Möchtest du ein Glas Milch? Warme Milch wirkt wahre Wunder, damit wird es dir sicher besser gehen.“
Mein erster Impuls war es nein zu sagen, doch dann kam mir ein anderer Gedanke. Wenn ich schon die Heulsuse geben musste, dann konnte ich wenigstens auch die Vorteile davon genießen, oder etwa nicht?
„Gerne.“, schniefte ich deshalb, woraufhin sich Stöckelschuhe mit lautem Geklapper wieder in Bewegung setzten.
Leider dauerte es nicht lange und die Tür öffnete sich wieder, doch als ich in das Gesicht der Person blickte die nun herein sah, weiteten sich meine Augen vor Überraschung. Das Glas wurde mir zwar gebracht, doch nicht von Camilla sondern von Jason. Er kam auf mich zu und setzte sich zu mir auf mein Bett.
„Alles klar bei dir Kleines?“
Wie bitte, Kleines? Wieso nannten mich die Menschen seit neuestem Kleines?
Meine Augen verengten sich reflexartig und ich funkelte ihn an. Nur ein paar Sekunden, dann merkte ich was ich tat und ich riss mich wieder zusammen. Doch natürlich hatte er hat es sofort bemerkt.
Erstaunt hob er die Augenbrauen und sah mich dann musternd an. Ich hasste es, wenn mich jemand so ansah. Und noch mehr hasste ich es, wenn ich nicht sagen konnte, dass er gefälligst damit aufhören sollte.
„Lass das.“, zischte ich am Ende doch und nahm das Glas Milch entgegen, wobei ich beinahe etwas über das Bett gekippt hätte.
„Welches Spiel spielst du Johanna Mason?“, fragte Jason mich mit zusammengekniffenen Augen.
„Keines.“, antwortete ich und versuchte dabei so unschuldig wie möglich zu klingen.
„Johanna ich bin dein Mentor! Ich kann dir nur helfen und dafür sorgen dass du überlebst, wenn du ehrlich und offen zu mir bist.“
Eine Weile starrte ich ihn an. Sollte ich es ihm sagen? Konnte ich ihm vertrauen? Wobei, wenn ich nicht mal meinem eigenen Mentor vertrauen konnte, wem dann? Ich seufzte und gab mich dann geschlagen.
„Das gehört alles zur Taktik.“, erklärte ich.
„Zu welcher Taktik? Hast du dir schon eine überlegt? Siehst du, genau so etwas muss ich wissen!“
„Meine Taktik ist es mich schwach und hilflos zu stellen, was ich in Wirklichkeit aber natürlich nicht bin.“, fügte ich schnell hinzu. „Wenn ich schwach erscheine, nehmen mich die Anderen nicht als Gegner wahr, ignorieren und übersehen mich. Und wenn sie das tun schlage ich zu.“
Ich rechnete schon damit, dass er zu lachen begann, mir sagen würde, wie dumm diese Idee war, doch er sagte einfach gar nichts. Sekunden verstrichen, bis plötzlich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht erschien.
„Das ist gut, sehr gut sogar. Und ich glaube auch, dass es funktionieren könnte, du bist sehr überzeugend. Ich hab dir die Nummer voll und ganz abgekauft!“, gestand er mir.
Jetzt war ich es, die die Augenbrauen nach oben zog. Er fand es tatsächlich gut? Treens Idee kam bei meinem Mentor gut an, konnte also vielleicht wirklich funktionieren. Das durfte ich ihm nie erzählen, darauf würde er sich viel zu viel einbilden.
„Wie alt bist du? 14, 15?“, fragte er nun wieder ernster.
„15.“, sagte ich schnell.
„Gut 15. Man könnte tatsächlich annehmen dass du schwach und hilflos bist. Das ist wirklich genial Johanna!“, lobte er mich und grinste, wobei er einen Daumen nach oben hielt. Es sah dämlich aus, aber ich wusste, dass es wohl eine gut gemeinte Geste sein sollte und lächelte deshalb.
„Was meintest du mit zuschlagen? Was kannst du gut, womit können wir arbeiten?“, begann er weiter mit seinem Mentorenjob.
„Ich kann perfekt mit der Axt umgehen, treffe damit immer ins Schwarze.“, erzählte ich ohne rot dabei zu werden. Es war schließlich die Wahrheit.
„Sehr gut Johanna, sehr gut! Und jetzt trink deine Milch und bereite dich dann vor, es gibt bald Abendessen und danach sehen wir uns die Erntewiederholung an.“, meinte Jason, ehe er mir eine Frage stellte. „Willst du mit deinem Mittributen zusammen arbeiten?“
„Nein.“, antwortete ich entschlossen. Ich war allein einfach besser dran.
„In Ordnung. Dann bleibt deine Taktik unser Geheimnis.“, versicherte er mir und stand dann auf, ehe er ohne ein weiteres Wort den Raum verließ.
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Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin
FantasiJeder weiß, wie sie die Spiele gewonnen hat. Jeder kennt sie. Oder glaubt sie zu kennen. Doch wer ist sie wirklich? Wie wurde sie zu der Frau, die sich vom Kapitol nichts mehr bieten lässt? Was ist die wahre Geschichte der Johanna Mason? Die Geschic...