Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das. Durfte. Jetzt. Nicht. Wahr. Sein.
„Liebes, komm nach oben.“
Liebes? Hatte sie mich wirklich gerade Liebes genannt? Sofort wurde ich wütend, als mir plötzlich Treens Worte wieder in den Sinn kamen. Ich sollte mich schwach stellen. Das war doch verrückt! Der Plan war so bescheuert und würde nie aufgehen! Aber was, wenn er doch funktionierte? Wenn mich dadurch niemand beachtete und ich somit mein Leben schützen konnte, bis sich die Karrieros gegenseitig getötet hatten? Ich hatte keine Zeit mehr länger darüber nachzudenken, deswegen traf ich eine Entscheidung. Sollte es nicht funktionieren, würde ich ihn umbringen.
Ich schloss die Augen und dachte an die schrecklichsten Dinge, die mir spontan einfielen. Ich malte mir aus wie ich unter qualvollen Schmerzen starb und wie Treen und meine Familie ihr Leben ließen. Es dauerte überraschenderweise wirklich nicht lange und ich spürte wie mir Tränen in die Augen stiegen. Sehr gut, jetzt musste ich nur noch ganz hilflos dabei aussehen, was für mich unmöglich klang.
Ich schlang die Arme um meinen Körper und begann hemmungslos zu weinen und zu schluchzen. Ein Raunen ging durch die Menge und ich merkte dass es tatsächlich funktionierte.
Kraftlos sank ich zu Boden und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Damit man das Lächeln, das in mein Gesicht huschte, nicht sehen konnte. Sie kauften mir das allen Ernstes ab!
Es dauerte nicht lange und ich hörte schwere Stiefel auf dem Asphalt. Friedenswächter. Hände legten sich um meine Taille und zogen mich nach oben. Eigentlich hätte ich mich sofort frei gestrampelt, da die Vorstellung, dass die dreckigen Hände dieser Mistkerle mich gerade berührten, doch ich musste in meiner Rolle bleiben. Deshalb ließ ich mich von ihnen auf die Bühne bringen, wo ich anschließend sofort wieder zu Boden sank.
Ein männlicher Tribut wurde gezogen, doch da es sich nicht um Treen handelte, interessierte es mich auch schon nicht weiter. Er würde sterben wenn ich überleben wollte. Umso weniger Gedanken ich mir um ihn machte umso besser war es.
Nachdem Camilla noch ein paar abschließende Worte an das Publikum gerichtet hatte, die ich durch ein paar Schluchzern immer wieder kurz unterbrochen hatte, wurde ich wieder hochgehoben und in das Justizgebäude gebracht. Angst machte sich in mir breit, doch schnell verdrängte ich sie wieder. Ich war eine Mason, die hat keine Anst. Die weinte seit Neuestem und machte sich vor ganz Panem lächerlich.
Die Röte schoss mir augenblicklich ins Gesicht. Was wenn ich gleich am Füllhorn starb? Dann ging ich in die Geschichte ein als das Mädchen, das vor Angst und Verzweiflung geheult hatte. Sofort bereute ich meinen Entschluss und fragte mich, wie dämlich ich eigentlich war. Ich hätte nie auf Treen hören dürfen, das war schon unter normalen Bedingungen oft ein Fehler!
Schnell wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht, während ich überlegte ob es schon zu spät war auf stark und selbstbewusst zu machen. Doch ehe ich zu einem Entschluss gelang wurde die Tür aufgerissen und meine Familie kam herein.
Als sie mich sahen, wie ich mit entschlossenem und nicht weinendem Gesicht vor ihnen stand, scheinen sie, bis auf meine Schwester Mary, etwas überrascht zu sein.
„Was? Johanna? Wieso heulst du jetzt nicht?“, fragte Marc und ich verdrehte die Augen. So eine Frage konnte nur von ihm kommen.
„Wäre es dir lieber ich würde dir jetzt was vorheulen?“, fragte ich ein wenig verärgert.
„Was sollte das vorhin? Welches Spiel spielst du?“, fragte Mary misstrauisch, während meine restliche Familie überhaupt nichts zu verstehen schien. Zumindest konnte ich meiner Mutter deutlich ansehen dass sie überlegte, ob sie mich jetzt trösten oder ermutigen sollte.
„Das gehört alles zur Taktik.“, erklärte ich und versuchte dabei so cool und gelassen wie möglich rüber zu kommen. Vielleicht überzeugte ich mich ja dann auch selbst mal davon, dass es schon irgendwie funktionieren würde.
„Taktik?“, wiederholte sie und klang skeptisch. Na toll, es war doch bescheuert.
„Ja Taktik. Ich weiß was ich tue, vertraut mir.“, erwiderte ich trotzdem und zog sie dann zu einer kurzen Umarmung an mich.
Die restliche Zeit mit meiner Familie verging schnell und verlief zum Gröstenteils schweigend. Vermutlich weil die Worte, die sie sich nach meinem Heulkrampf ausgedacht hatten, nun nicht mehr richtig passten. Oder einfach weil sie nicht wussten was man seiner Tochter und Schwester sagen sollte, die in eine Arena gebracht wurde, in der nur einer von vierundzwanzig lebend wieder heraus kam. Was es auch war, ich war froh darüber. Ich hätte kein „Alles wird gut!“ oder ein „Wir glauben an dich!“ ertragen.
Nachdem ich von jedem noch einmal kurz umarmt wurde, kamen auch schon zwei Friedenswächter um sie wieder nach draußen zu bringen. Ich hoffte dass es nicht das letzte Mal war, dass ich meine Familie sah.
Unruhig lief ich nun auf und ab, als auch schon die Tür aufschwingt und Treen das Zimmer betrat.
„Johanna!“, sagte er und in seiner Stimme schwang etwas mit das ich nicht deuten konnte.
Sofort rannte ich auf ihn zu und bohrte ihm den Zeigefinger in die Brust.
„Treen ich schwöre, wenn das nicht funktioniert dann bringe ich dich um!“
„Es wird funktionieren, es muss!“, meinte er schnell.
„Wenn ich am Füllhorn sterbe und damit als der größte Schwächling in der Geschichte der Hungerspiele eingehe dann… Ich schwöre du wirst nie wieder froh! Und wenn ich dich als Geist heimsuchen muss, ich lasse dich das büßen!“, knurrte ich.
„Ja das ist mir klar. Du bist lebendig schon manchmal unheimlich, als Geist will ich dich auf keinen Fall erleben.“, gestand er und begann zu schmunzeln.
Es war aus irgendeinem Grund ansteckend, weshalb sich auch meine Lippen zu einem schwachen Lächeln verzogen.
„Gut, dann wäre das geklärt.“
„Hast du Angst?“, fragte er plötzlich und sah mich besorgt an.
Sofort kam ein ungutes Gefühl in mir hoch, doch ich verdrängte es. Ich wusste, dass ich es schaffen konnte. Ich war stark.
„Nein eigentlich nicht.“, antwortete ich und war überrascht wie sicher meine Stimme klang.
„Na klar, wieso frag ich auch? Jo du hältst dich einfach an unseren Plan. Und in der Arena zeigst du dann was du kannst. Du schnappst dir am Füllhorn eine Axt, dann ist das Schicksal der Anderen eh schon besiegelt. Und wenn das die Sponsoren sehen kannst du dich vor Geschenken nicht mehr retten. Du kommst heim, ich weiß es.“
Ich nickte ihm zu, woraufhin er plötzlich etwas tat, was er zuvor noch nie getan hatte. Er nahm mich in den Arm.
Etwas unbeholfen stand ich da, wusste nicht was ich tun sollte, doch dann klopfte ich ihm einfach spontan leicht auf den Rücken.
„Ich komme heim, versprochen. Und jetzt lass mich wieder los.“
Er lockerte die Umarmung und sah mich dann lächelnd an. Genau in dem Moment als die Tür aufschwang und die Friedenswächter kamen um ihn von mir wegzubringen.
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Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin
FantasyJeder weiß, wie sie die Spiele gewonnen hat. Jeder kennt sie. Oder glaubt sie zu kennen. Doch wer ist sie wirklich? Wie wurde sie zu der Frau, die sich vom Kapitol nichts mehr bieten lässt? Was ist die wahre Geschichte der Johanna Mason? Die Geschic...