Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin | Kapitel 27

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Als es im Wungel wieder leise wurde, mal abgesehen von den Geräuschen der Tiere, machte ich mich auf den Weg um etwas Essbares zu suchen. Auf die Suche nach anderen Tributen wollte ich nicht gehen, eine Begegnung am Tag reichte mir.

Nach einer Weile konnte ich ein paar Beeren auftreiben, welche ich glücklicherweise an den Trainingstagen, sie waren wohl doch zu etwas gut, kennen gelernt hatte. Sie waren also ungiftig und ich konnte sie ohne weiteres essen. Das tat ich unterwegs dann auch, während ich versuchte mit Fallen noch irgendwelche Tiere zu fangen. Doch nicht ein Einziges ließ sich blicken und kam auch nur in meine Nähe. Entweder die Dinger wurden schlauer oder sie lebten nicht in diesem Teil des Wungels.

Ich wechselte an diesem Tag noch zweimal den Umschlag, wodurch meine Hand am Abend schon relativ gut abgeheilt war. Zwar konnte man immer noch die Stellen erkennen, an denen mich die Spinnen gebissen hatten, doch ich rechnete damit, dass sie sowieso als Narben zurückblieben.

Als es langsam dunkel wurde beschloss ich mir wieder einen Baum zu suchen, auf den ich übernachten konnte. Ich machte es mir bequem und aß noch etwas von meinem Brot, ehe ich darauf wartete, dass bald die Hymne eingespielt wurde und das Gesicht des Jungen am Himmel erschien. Immerhin waren die Mücken schon da, lange konnte es also eigentlich nicht mehr dauern.

Was diese Viecher betraf so war ich dieses Mal schlauer gewesen und hatte mir, als Ausgleich für den Verlust meines Schlafsackes, große Blätter irgendeiner dieser Wungelpflanzen mitgenommen, um sie als Schutz zu verwenden. Ich deckte mich damit zu und es half sogar besser als erwartet, auch wenn ich trotzdem immer wieder eine Mücke erschlagen musste.

Es musste gerade die Fünfte ihr Leben lassen, als die Musik eingespielt wurde. Ich blickte nach oben und sah direkt in das Gesicht des Jungen aus Distrikt 9, der ein leichtes Lächeln auf seinen Lippen hatte. Es dauerte nicht lange und er war wieder verschwunden und der Himmel wurde schwarz, doch ich starrte immer noch auf die Stelle.

Er war meinetwegen gestorben. Hätte ich ihn nicht getötet, wäre sein Bild jetzt nicht am Himmel erschienen. Vermutlich hätte meine Familie dann meines betrauern können, da er mich mit Sicherheit getötet hätte. Ich hatte also nur mein Leben verteidigt, wie bisher auch. Es gab also keinen Grund jetzt besonders darüber nachzudenken oder irgendwelche Gefühle zuzulassen. Trotzdem war es dieses Mal anders.

Die Hoffnung seiner Familie und Freunde war zu diesem Zeitpunkt bestimmt schon riesengroß gewesen, immerhin standen seiner Rückkehr nur noch drei Tribute im Weg. Er war deshalb schon fast am Ziel, sie hätten ihn also beinahe schon wieder in ihre Arme schließen können. Doch daraus wurde jetzt nichts mehr, denn er war tot. Kurz vor dem Ziel war er doch noch gescheitert, und zwar an mir.

Ich wusste, dass diese Gedanken lächerlich waren. Jeder Tod hier in der Arena war zu bedauern, sogar, wenn auch nur ein kleines bisschen, der der Karrieretribute. Da war es doch egal, zu welchem Zeitpunkt man starb. Jede Familie hatte wohl die Hoffnung, dass ihr Kind wieder nach Hause kam, auch wenn die Chancen nicht so gut standen. Außerdem, was brachte es mir wenn ich jetzt Gewissensbisse bekam? In der Arena war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Und er hatte den Sperr zuerst geworfen.

Ich verbat mir nun an den Jungen und dessen Familie zu denken. Stattdessen dachte ich an meine, die erleichtert waren, mich nicht am Himmel gesehen zu haben, sondern in Nahaufnahme wie ich auf meinem Baum saß.

Oh mein Gott, Nahaufnahme!

Eitel wie ich war konnte ich nicht anders, als schnell durch meine Haare zu fahren. Sie waren unglaublich zerzaust und ich glaubte sogar ein wenig verfilzt. Wie schmutzig mein Gesicht war, wollte ich gar nicht erst wissen. Vor allem wenn man bedachte dass ich am Dauerschwitzen war. Es musste also mit Dreck verschmiert aussehen.

Kurz zusammen gefasst, ich sah mit großer Sicherheit schrecklich aus. Eine Nahaufnahme war doch da wirklich alles andere als sehenswert. Vielleicht fanden das die Spielmacher jedoch auch und sie zeigten mich nur aus sicherer Entfernung. Ehrlich gesagt, hoffte ich auf diese Möglichkeit. Denn sollte ich gewinnen, würde mich Treen deshalb bestimmt immer wieder aufziehen. Wie schafften das eigentlich immer diese Mädchen aus Distrikt 1? Die sahen beinahe immer perfekt aus, egal wie lange sie schon in der Arena waren. Scheinbar lag das in ihren Genen. Dort schien wohl alles zu glitzern oder zu schimmern.

Ich zog eines der Blätter ein wenig weiter in mein Gesicht und beschloss dann, mein Aussehen ebenfalls auf die Liste der Dinge zu setzten, an die ich jetzt nicht mehr denken wollte und sollte. Da ich nicht wirklich wusste, woran ich sonst denken sollte, konnte ich eigentlich genauso gut schlafen. Immerhin brauchte ich meine Kraft, denn wie man letzte Nacht gesehen hatte, Gefahren lauerten überall und am Ende musste ich wieder rennen.

Die Theorie war also ganz einfach. Zurücklehnen, Augen schließen und einschlafen. Funktionieren tat es allerdings nicht. Mit einem Mal war ich hellwach. Komisch, wenn man bedachte, dass ich die vergangene Nacht kaum geschlafen hatte und den ganzen Tag nur unterwegs gewesen war. Trotzdem verspürte ich nicht die geringste Müdigkeit. Stattdessen überschlugen sich meine Gedanken förmlich bis mir verspätet in den Sinn kam, dass wir nur noch zu dritt waren.

Normalerweise fand das Finale oft nur zwischen zwei Tributen statt, doch manchmal, um die Spannung noch ein wenig zu erhöhen, waren es nur drei. Ich hatte keine Ahnung, was sie in diesem Jahr geplant haben, doch eines konnte ich mit Sicherheit sagen. Das Finale der 67. Hungerspiele konnte jeden Moment beginnen.

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