Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin | Kapitel 1

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Die Sonne schien warm in mein Gesicht und ich legte den Kopf auf meine Hände. Langsam schloss ich die Augen und wurde sofort von einem Gefühl der Geborgenheit umfasst. Leises Vogelgezwitscher war zu hören, sogar ein Spotttölpel stimmte eine Melodie an. Die Blätter raschelten leicht in den Bäumen und trugen dadurch etwas zum Klang des Waldes bei. Dem Wald, meinem Zuhause. Es gab keinen Ort an dem ich lieber war, an dem ich mich wohler oder sicherer fühlte. Vermutlich wäre ich den ganzen Tag hier liegen geblieben, am besten auch noch die ganze Nacht und den nächsten Tag, doch leider ging das nicht.
„Woran denkt du?“, fragte mich plötzlich Treen während er sich neben mich ins Gras fallen ließ.
„Daran wie plötzlich der Wald verstummt ist als du rüber getrampelt kamst.“, gab ich zurück und grinste ihn frech an, jedoch ohne dabei meine Augen zu öffnen.
„Sehr witzig. Wieso hast du nicht gesagt wo du hin gehst?“, erwiderte er und musterte mich von der Seite.
„Ich wollte Ruhe.“, antwortete ich.
„Und die hast du mit mir nicht?“, fragte er und verzog schmollend die Lippen, was bei seiner Statur und seinem Auftreten unglaublich lächerlich aussah.
„Nein, die habe ich mit dir nicht mal ansatzweise.“
„Soll ich gehen?“, fragte er etwas gekränkt, doch ich schüttelte den Kopf. Das hier war unser Lieblingsplatz. Ich wusste, dass er kommen und mich hier finden würde. Hätte ich seine Gesellschaft nicht gewollt, dann hätte ich mir einen anderen Ort gesucht.
Zufrieden lächelte er mich an, danach legte er sich ebenfalls auf den Rücken und begann wie ich in den Himmel zu starren. Eine Zeit lang sagte niemand etwas, ich konnte also wirklich für ein paar Minuten noch meine Ruhe genießen, bis Treen es wieder einmal nicht länger aushielt und deshalb zu sprechen begann.
„Morgen ist es wieder so weit.“, begann er und seine Stimme klang dabei völlig ernst. Natürlich wusste ich sofort wovon er sprach. Morgen war die Ernte. In wenigen Wochen würden die 67. Hungerspiele beginnen. Danach würden wieder 23 Menschen, darunter zwei aus unserem Distrikt tot sein, so wie all die Jahre zuvor auch.
„Ich weiß. Aber ich will nicht darüber reden Treen, also sei still.“, sagte ich sofort. Ich hatte wirklich keine Lust darüber zu reden, mir Gedanken darüber zu machen ob es mich oder ihn vielleicht erwischen könnte. Außerdem brachte es nichts wenn man sich deshalb die ganze Zeit den Kopf zerbrach. Entweder man wurde gezogen oder nicht. Wenn es passierte würde ich es sowieso nicht ändern können. Ich musste damit klarkommen und das würde ich auch. Aber erst wenn es wirklich soweit war.
„Warum nicht? Uns beide könnte es erwischen, deshalb wäre es vielleicht sinnvoll wenn wir uns eine Taktik überlegen.“, ließ er nicht locker und setzte dabei einen unglaublich ernstes Gesichtsausdruck auf. Sofort prustete ich los.
„Hör auf zu lachen Johanna, das ist mein Ernst! Ich hab mir für dich sogar schon etwas überlegt.“
„Ach tatsächlich?“, fragte ich noch immer grinsend. „Dann lass mal hören.“
„Du bist nicht allzu groß und machst auch nicht den stärksten Eindruck, man könnte sogar meinen du bist schwach.“
Ein Schlag gegen die Schulter ließ ihn inne halten.
„Sag mal geht’s noch? Wir beide wissen dass ich alles andere als schwach bin! Ich kann perfekt mit der Axt umgehen, schleudere sie Meter weit und treffe immer! Du hast mich schon einen Baum fällen sehen! Wie kannst du behaupten, dass ich schwach wäre?“ Wütend funkelte ich ihn an.
„Mensch Johanna, das weiß ich doch, aber die anderen wissen es nicht! Deshalb ist die perfekte Taktik für dich sich schwach zu stellen.“, erklärte er seine Worte, während er sich die Schulter rieb. Tja, schwach war ich nun eben wirklich nicht.
„Das ist bescheuert Treen.“, antwortete ich.
„Nein ist es nicht! Mach auf schwaches, hilfloses Mädchen und niemand wird dich beachten. Danach schlägst du zu.“
„Ich werde keine Punkte und somit auch keine Sponsoren bekommen.“, merkte ich an. Niemand konnte ohne Sponsoren lange überleben. Das Füllhorn gehörte meistens den Karrieros.
„Die brauchst du auch nicht. Du bist schlau und schnell. Und die Zuschauer werden bald merken welches Spiel du spielst und dich mit Geschenken überschütten.“
Ein Grinsen erschien in seinem Gesicht. Das Grinsen, das bedeutete, dass er von sich absolut überzeugt war. Ich verdrehte die Augen.
„Ich weiß nicht. Aber ich werde eh nicht gezogen, also brauche ich mir darüber auch keine Gedanken zu machen.“, beschloss ich ganz einfach. „Aber was ist mit dir? Du siehst aus wie ein Bär, das hilflose Mädchen wird bei dir leider nicht funktionieren.“
„Diese Taktik ist auch nicht für mich. Meine lautet alle anderen einschüchtern und sie mir dadurch vom Leib halten. Wenn sie vor mir Respekt haben meiden sie mich und ich arbeite mich dann langsam vor bis hin zum Siegerstuhl.“, sagte er und streckte seine Brust dabei übertrieben weit heraus.
Kopfschüttelnd sag ich ihn an, musste aber grinsen. Er war komplett durchgeknallt. Aber genau deshalb mochte ich ihn. Normal konnte jeder sein und das war ziemlich langweilig.
„Ich werde es mir überlegen. Und jetzt sei leise, ich will die Ruhe die mir noch bleibt genießen. In den nächsten Wochen werden wir davon nicht mehr viel haben, wenn die Spiele erst einmal losgegangen sind. Andernfalls schicke ich dich doch noch weg.“
Treen überlegte ob er noch etwas sagen sollte oder nicht, doch am Ende entschied er sich doch dafür, seine Klappe zu halten, was ich ihm hoch anrechnete. Vor allem, da er es die meiste Zeit nicht schaffte.
Doch jetzt, da es so still war, zumindest kam es mir plötzlich unglaublich still vor, konnte ich natürlich nicht anders als doch über die Hungerspiele nachzudenken. Es brachte auch nichts Treen dafür zu verfluchen, da meine Gedanken immer wieder auf dasselbe Thema zurückkamen. Aber am Ende schaffte ich es doch mich selbst wieder zu beruhigen. Ich war eine Mason. Eine Mason wurde noch nie gezogen. Warum also sollte es mich erwischen? Mein Name war nur vier Mal in der Lostrommel, im Vergleich zu manch anderen war das gar nichts. Es konnte mich also nicht erwischen.

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