Johanna Mason - Geschichte einer Siegerin | Kapitel 6

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Das Essen war einfach nur unbeschreiblich. So gut und köstlich hatte ich in meinem bisherigen Leben noch nie gegessen! Es gab so viele unterschiedliche Sachen zwischen denen ich mich nicht entscheiden konnte, deshalb probierte ich einfach von allem. Zwar war es vielleicht falsch, da die Menschen in den Distrikten hungerten, doch bevor es wegeschmissen wurde landete es doch lieber in meinem Bauch.

Nachdem ich ihn mir so voll geschlagen hatte, dass ich das Essen nur mit Mühe in mir behalten konnte, hatte uns Camilla in einen separaten Waggon geführt, in dem sich ein Sofa und ein Fernseher befanden. Fernseher war vermutlich die falsche Bezeichnung, da es eigentlich nur ein kleiner Kasten war, der die Bilder an die Wand warf, doch ein anderes Wort hatte ich nicht und Camilla fragen wollte ich auch nicht.

Still setzte ich mich zwischen meinem Mentor und meinem Mittribut. Achja, mittlerweile wusste ich auch wie er hieß, nämlich Charly. Er war 16 Jahre alt, wirkte nicht sehr kräftig und auch ziemlich mager. Auf dem ersten Blick also kein Konkurrent, aber man wusste ja nie. Ich würde ihn also für alle Fälle im Auge behalten.

Wir waren viel zu früh dran und obwohl Camilla andauernd sagte, dass es bestimmt gleich losgehen würde, lief stattdessen nun zum dritten Mal eine Werbung über ein neues Haarspray, was mich genervt aufstöhnen ließ. Wenn diese verdammte Wiederholung nicht gleich anfing dann würde ich durchdrehen, und das noch bevor wir das Kapitol überhaupt erreicht hatten.

Ich wollte mich gerade laut beschweren, meinen Frust rauslassen, da stieß mir Jason mit dem Ellenbogen in die Rippen. Wütend drehte ich mich um und funkelte ihn an, wollte ihm Beleidigungen an den Kopf werfen, da sah ich wie er kaum merklich den Kopf schüttelt. Mist. Stimmte ja, ich war das schwache, ängstliche Mädchen.

Immer noch genervt, aber immerhin schweigend, richtete ich meinen Kopf wieder nach vorne, als endlich diese dumme Wiederholung losging.

Wieso ich sie mir überhaupt ansehen sollte wusste ich im Grunde eigentlich nicht. Damit ich einschätzen konnte, ob sie gut waren? Das konnte man doch nie anhand der Ernte sehen! Ich war wohl der beste Beweis dafür. Außerdem, man durfte nie einen Gegner unterschätzen, egal wie alt er war. Das Beispiel schlechthin war hier Finnick Odair, ein Tribut aus Distrikt 4, der vor zwei Jahren im Alter von nur 14 Jahren die Spiele gewann. Als jüngster Sieger in der Geschichte. Er war tödlich und gefährlich, und das obwohl er so jung war!

Die Hymne wurde eingespielt, danach wurde zumindest gleich die erste Ernte gezeigt, die logischerweise die von Distrikt 1 war.

Hier gab es zwei Freiwillige, beide waren 18 Jahre alt und, wie es sich für Karrieros gehört, sehr gut trainiert. Ähnlich war es in Distrikt 2 und 4, wo es auch Freiwillige gab. Die Tribute aus diesen Distrikten waren leider immer die Stärksten, mit ihnen musste man am meisten rechnen. Die Sieger der letzten Jahre stammten fast alle aus einem dieser Distrikte.

Meine eigene Ernte war mir mehr als peinlich und am liebsten hätte ich umgeschaltet, doch ich versuchte mich zu beherrschen und stattdessen so mitgenommen wie möglich zu blicken. Ich hatte Erfolg, es funktionierte.

 Camilla kam sofort auf mich zu und drückte mir ein Taschentuch in die Hände. Sie war schon eine komische Frau. Doch Gleichzeitig eröffnete sie mir damit eine unglaubliche Chance wie ich dem ganzen hier entfliehen konnte!

Wieder steigerte ich mich so hinein, dass ich zu weinen begann, nur um mir dann das Taschentuch vor das Gesicht zu halten und aus dem Abteil zu rennen. Schnell sauste ich in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir.

Mit einem zufriedenen Lächeln wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht, ehe ich mich aus meinen Klamotten schäle und unter die Dusche ging. Ich blieb solange darunter bis meine Haut runzelig wurde, danach schlüpfte ich in die frischen Klamotten die man mir bereit gelegt hatte und kuschelte mich dann unter die Lacken. Die ganze Heulerei hatte mich irgendwie müde gemacht, weshalb es auch nicht lange dauerte und ich eingeschlafen war.

Am nächsten Morgen schlug ich die Augen auf und fühlte mich so ausgeruht wie noch nie. Das Bett war so unglaublich bequem, ich wäre am liebsten nie aufgestanden. Doch dieser Wunsch wurde nur wenige Minuten danach zunichte gemacht, als Jason gegen die Tür hämmerte und mich zum Aufstehen aufforderte.

Seufzend schlug ich die Bettdecke zur Seite und stand auf, da ich befürchtete, dass er es mit meiner Sturheit aufnehmen konnte.

Ich wühlte im Schrank herum und nahm mir das erstbeste, das ich in die Finger bekam. Es war ein rosa Kleid mit kleinen Blümchen. Es war scheußlich und überhaupt nicht nach meinem Geschmack, doch um das hilflose Mädchen zu spielen war es geradezu perfekt.

Als ich fertig war machte ich mich auf in den Speißewagon zum Frühstück. Eigentlich war ich noch so voll vom Abendessen, doch ich beschloss trotzdem wieder so viel zu essen wie möglich. Ich wusste nicht ob ich in der Arena leicht an Nahrung kam, ein wenig Speck zur Sicherheit konnte also nicht schaden.

Dort angekommen ließ ich mich auf einen Stuhl nieder und begann deshalb gleich dort, wo ich gestern aufgehört hatte. Eine halbe Stunde und drei Teller später war ich wieder so voll wie gestern, doch gleichzeitig auch zufrieden. Solange, bis Camilla aufgeregt angestöckelt kam.

„Wir sind gleich da, schnell hopp hopp, hoch mit euch.“, rief sie quiekend und ich verdrehte die Augen.

Schnell erhoben wir uns und folgten ihr gehorsam zur Tür. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Zug tatsächlich langsamer geworden war und nun gleich zum Stillstand kommen würde.

Zwei Minuten später hielt er auch schon an und die Türen schwangen auf, ehe lauter Jubel in meine Ohren drang. Die Menge wartete also schon auf uns, worüber ich innerlich nur aufstöhnen konnte. Na toll, jetzt durfte ich wieder heulen.

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