Kapitel 1.1.

335 7 1
                                    

Sommer, 2004

Es war an einem Dienstag Morgen, und die Sonne heizte die Dächer und die Straßen der Stadt bereits auf wie in einem riesigen Kessel. Von draußen hörte man dumpf das Rauschen des Großstadtverkehrs, während drinnen, im Schulgebäude, die Luft stickig, geradezu erdrückend geworden ist. Es war erst kurz nach elf Uhr an diesem Tag, und der Schulunterricht zog sich bereits unbarmherzig in die Länge. Schwitzend und stöhnend saßen wir auf unseren wackeligen Stühlen und versuchten krampfhaft, den Worten unserer Deutschlehrerin zu folgen. Konzentration war bei dieser Hitze sowieso unmöglich geworden, und diese Gedichtsinterpretation von Schiller war durchaus keine Alternative, um sich nicht etwas anderes vorzustellen, was nicht mit Abkühlung zu tun hatte. Wie gerne wäre ich in diesem Moment irgendwo anders gewesen, irgendwo am Wasser an der frischen Luft - die Hauptsache nicht in diesem stickigen Klassenzimmer. 

Mein Blick schweifte aus dem Fenster nach draußen und blieb an den Häusern gegenüber hängen, deren Fenster den Schein der Sonne zurück warfen, dahinter erhoben sich die Hochhäuser von Mannheim. Was mich wohl jedoch in diesem Augenblick am meisten frustrierte war wohl die Tatsache, dass die Sommerferien zwar immer näher rückten, jedoch die Zeit davor noch Unterricht sein sollte und sich anfühlen würde wie ein komplettes Semester...

"Ich weiß, ich weiß. Die Temperaturen hier im Saal setzen euch zu, aber würde auch Herr Maurer seinen Blick wieder in das Buch richten? Danke!" hörte ich plötzlich die Stimme der Lehrerin meine Gedanken unterbrechen. Ihre Augen waren mahnend auf mich gerichtet. Erschrocken sah ich ihr ins Gesicht und steckte darauf meine Nase wieder in das Buch zurück, welches aufgeschlagen vor mir lag. Schillers Gedicht, darüber nachdenken müssen, Hitze - grässlich.

Es dauerte jedoch keine zehn Minuten, ehe ein Gong durch die Lautsprecheranlage hallte und die säuselnde Stimme der Schulsekretärin verkündete, dass sich die Schulleitung dazu durchgerungen hat, den Unterricht nach der vierten Stunde ausfallen zu lassen aufgrund der hohen Temperaturen.
Ein erleichtertes Aufatmen und freudiges Raunen des Wortes "Hitzefrei!" ging durch die Reihen, gegen welches selbst die Deutschlehrerin und Schillers Ballade nicht mehr ankommen konnten. Das hieß also, nur noch eine viertel Stunde sich durch den Unterricht quälen, bis uns alle dann der Schulgong erlöste.

Voller Elan packten ich und Daniel, welcher neben mir saß und schon seit undenkbaren Zeiten mein bester Kumpel war, das Zeug in die Schultasche, schwangen sie uns über die Schulter und verließen, wie der Rest von unserem Haufen, fluchtartig den Saal in Richtung Bahnhaltestelle. Nun lag noch ein gutes Stück Weg vor mir, bis ich zuhause war, denn seit ich und meine Familie in der Süden der Stadt gezogen sind, musste ich täglich eine gefühlte Weltreise hinter mich bringen.

Schulkinder drängten sich bereits an der Station. Ihr Lärmen und die freudigen Gesichter, dass sie für heute vom Unterricht erlöst waren, strahlten beinahe heller als der warme Sonnenschein selbst.
"Wir sehen uns morgen dann vor der Schule?" fragte Danni, welcher neben mir stand. Seine Linie fuhr gerade ein, denn er wohnte am anderen Ende der Stadt in entgegengesetzter Richtung.
"Na klar doch!" schrie ich über die Leute hinweg und verabschiedete meinen Kumpel, welcher nun, zusammen mit vielen anderen, in die Bahn einstieg und seinen Weg nach Hause antrat.

Nicht lange, und auch meine Linie kam und hielt direkt vor mir. Zusammen mit den anderen quetschte ich mich in das stickige Gefährt hinein und ergatterte einen der noch letzten freien Sitzplätze in einer Viererbank bei einer alten Dame, welche mit so vielen Plastiktüten dort saß, als hätte sie einen ganzen Laden geplündert.

Dicht gepackt standen um mich rum die Leute beisammen, als die Bahn sich in Bewegung setzte, und ich spürte, wie langsam aber sicher mein Hemd an meinem Rücken fest klebte, und eins wurde mit dem Sitzpolster.

Und es war Sommer... (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt