Kapitel 4.6.

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"Mein Schatz! Du bist zurück!" rief meine Mutter freudig und kam mir mit ausgestreckten Armen entgegen.

Augenblicklich erhellte sich meine Miene.

"Verzieh' dich, Eugen! Lass den Jungen in Ruhe!"
"Wie du willst... Schatz!" meinte er. Das letzte Wort spuckte er schon förmlich aus. Er ging zum Wagen, stieg ein und brauste die Einfahrt raus, wer weiß wohin.

Voller Inbrunst nahm sie mich in die Arme.
"Mein Schatz, endlich hab ich dich wieder! Wo warst du? Warum hast du dich nicht wenigstens gemeldet? Ich war so krank vor Sorge, dass dir was passiert sein könnte."
"Mom, bitte, mir fehlt nichts. Zumindest bis eben..."

Sie ließ mich los und musterte mich von oben bis unten. In ihrem Blick konnte ich den Kummer und die Sorgen der letzten Tage spüren, und ein schlechtes Gewissen regte sich in mir. Doch bemerkte ich auch etwas Freude darin, dass wir beide uns nun wieder gegenüber standen.
"Warte. Ich wisch's dir ab." meinte sie und tupfte mit einem Taschentuch das Blut von meiner Lippe. Erst als ich ihrer Meinung nach wieder in Ordnung war fiel ihr Blick plötzlich auf Lukas rüber, der sich wieder aufgerappelt hatte und nun keuchend neben mir stand.

"Und ist das dein Freund?" fragte sie und musterte ihn mit einem Lächeln.
"Ja, Mom, das ist Lukas." stellte ich ihn vor, woraufhin sie ihm lächelnd die Hand reichte,
"Freut mich, dich kennen zu lernen."

Ich sah, wie er sie irritiert anblickte, doch dann schüttelte er ihre Hand und meinte "Freut mich ebenso, Frau Maurer."
"Nun Jungs, dann kommt mal mit herein. Ich koche euch einen Kaffee, und dann setzen wir uns gemeinsam hin und reden über alles. Okay?"

Wir nickten beide gleichzeitig und folgten ihr ins Haus hinein. So war meine Mutter: selbst im schlimmsten Tumult kochte sie erst einmal Kaffee und sinnierte dabei über Lösungen für die Probleme.

Als sie die drei dampfenden Tassen auf den Tisch stellte, setzte sie sich mir und Lukas gegenüber und sah uns beide eindringlich an.

"Also Mom, ich möchte nichts beschönigen, aber ich möchte mit dir ein paar Sachen besprechen. Ich weiß, dass sie dir nicht gefallen werden, aber ich möchte einiges nicht einfach ungeklärt lassen." meinte ich.

"Aber Schatz, du kannst mir doch alles sagen. Warum hast du nie mit mir gesprochen? Wieso hast du mir nicht erzählt, dass du... nun ja... anders bist? Ich hätte er doch verstanden und gewiss nie etwas dagegen gehabt."

"Ich habe deshalb nie etwas gesagt, weil ich genau wusste, dass so etwas passiert, wenn es der Alte spitz kriegt.
"Aber ich hätte es ihm doch niemals verraten. Du hättest..."
"Es sind noch viele andere Dinge." unterbrach ich sie, nahm beschwichtigend ihre Hand in meine und rang nach Worten.
"Es ist ja nicht nur meine Sexualität... Jeden Tag kam ich mit gemischten Gefühlen heim, ob der Tag glimpflich verlaufen würde mit diesem Mann, oder ob er mich wieder drangsalieren würde. Es war ja nicht das erste Mal, dass er so ausgerastet ist."

Sie schaute betroffen zur Seite.

"Dieser Terror wegen der Schule, oder wenn ich mal einen Fehler machte, das alles... Ich kann das einfach nicht mehr ertragen!"

Ein Seufzen entrang sich ihrem Mund. Ich spürte ihren Schmerz, den sie gerade empfand, auch wenn sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Sie rang mit den Worten, dann blickte sie zuerst auf meinen Freund und dann wieder mir in die Augen.

"Wie konnte es nur soweit kommen..."

"Ich weiß, ich hätte nicht fortlaufen dürfen. Aber letzte Woche war dann einfach zu viel. Ich konnte es vielleicht ertragen, dass er mich nicht mehr als Sohn akzeptierte. Oder seine Aggressivität. Aber ich konnte es nicht ertragen, dass er mich von ihm wegreißen wollte!"

Und es war Sommer... (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt