Kapitel 5.7.

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"Gott, Brüderchen, wo hat's dich denn hin verschlagen?"

Meine Schwester stand gerade an unserer Wohnungstür. Es war Samstagmittag und das erste mal, dass ich jemandem aus meiner Familie Einblick in mein neues Zuhause gewährte, aber es war auch nötig diesmal.

"Bekki, es gibt da etwas, dass du wissen solltest. Danke, dass du so kurzfristig kommen konntest. Wir müssen reden..."
Sie betrat die Wohnung und ich merkte, wie sie sofort alles taxierte.
"Ihr zwei könntet mal wieder aufräumen." war ihr erstes Kommentar, was einen missliebigen Blick meinerseits nach sich zog.

Mein Freund stand gerade rauchend auf dem Balkon und rief nur ein "Hallo, Bekki!" von draußen rein.
"Du weißt, dass Rauchen ungesund ist?" meinte meine Schwester nur.
"So wie Süßkram?" raunte es von draußen und ich musste lachen, als er damit einen Nerv bei meiner Schwester getroffen hatte.

Wir setzten uns auf das Sofa, und auch Lukas stieß dazu.
"Ich will gar nicht lange drumherum reden, Bekki..." meinte ich und klappte meinen Laptop auf, an dessen Seite die Speicherkarte steckte.

"Hat Vater irgendwas heute Morgen wegen gestern gesagt?"
"Ich hab ihn heute noch nicht gesehen gehabt, ehrlich gesagt... Mom meinte, ihm ginge es heute nicht so besonders. Warum fragst du?"

Ich drehte nun den Laptop so, dass sie es sehen konnte.
"Was ist das?" meinte sie, als sie die dunklen Bilder sah, doch man konnte erkennen, wer darauf zu sehen sein sollte.
"Ist das Vater?"
Ich nickte als Antwort nur stumm.
"Wo ist das? Und was ist das? Heiko?"
"Weißt du, was am Ende der Straße dort unten liegt?" stellte ich als Gegenfrage.

Sie grübelte, doch dann fiel ihr ein, woher die Bilder wohl herstammen. Sie schlug die Hand vor den Mund und schüttelte den Kopf.

"Das ist... dass kann... Du willst mich verarschen, oder?"
"Nein, will ich nicht, glaub mir. Mein Freund kennt dort hinten in der Lupi ein paar Leute von früher, und so kam das jetzt raus."
"So langsam versteh' ich, aber ich glaub's nicht. Ich kann es eigentlich auch gar nicht glauben. Dad und... Huren?!"

Sie schluckte, und zum ersten mal im Leben war sie sprachlos und starrte einfach nur auf den Monitor des Laptops.

"Bekki? Bekki?" sprach ich sie an, doch sie saß einfach nur wie paralysiert neben mir auf der Couch und schüttelte leicht ihren Kopf.
"Schick' mir die Bilder! Per Mail! Heute noch! Am besten jetzt sofort!" befahl sie in scharfem Ton, dann stand sie ruckartig auf und ging zur Tür.

"Becki, bitte warte doch!" rief ich ihr noch nach.
"Das ist gerade zu viel für mich, kleiner Bruder. Bitte entschuldigt mich, Heiko, Lukas... Aber das setzt gerade allem zuhause die Krone auf! Ich brauch' dringend frische Luft!"

So schnell sie gekommen war, so schnell war sie auch wieder gegangen. Ich schaute missmutig zu meinem Freund, welcher meine Hand in seine nahm.
"Das wird schon, du wirst sehen. Sie muss das jetzt wohl alles erst einmal verdauen."
Ich schickte dann noch die Bilder an ihre Mailadresse. Als ich auf "Senden" klickte, hatte ich ein ungutes Gefühl dabei.

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Und wieder saß ich auf glühenden Kohlen. Am nächsten Tag meldete sich meine Schwester nicht. Sie reagierte auch nicht auf Anrufe oder SMS. Was aber noch schlimmer war, war die Tatsache, dass im Elternhaus niemand ans Telefon ging.

"Mach dir keine Sorgen, die werden sich schon melden." versuchte mein Freund mich zu beruhigen, was aber nicht viel nützte.
"Wenn es wenigstens ein kleines Lebenszeichen wäre... Oder selbst wenn sie mich anschnauzen würden, dass ich mit dieser Aktion die Familie noch mehr ruiniert hätte... Aber gar nichts zu hören von denen ist schrecklich."
Ich lag in seinen Armen, immer wieder das Handy in die Hand nehmend, doch mittlerweile traute ich mich schon gar nicht mehr, eine der bekannten Nummern zu wählen.

Und auch am nächsten Tag hörte ich kein Lebenszeichen, weder von Bekki, noch von meiner Mutter.
"Wir müssen dort vorbei fahren. Was, wenn irgendwas passiert ist? Oder sich meine Mutter irgendwas angetan hat?"
"Also so schätze ich deine Mutter nicht ein. Ich glaube, die ist mehr auf Zack, als du denkst. Weißt du noch, als ich mich mit deinem Alten vorm Haus gekloppt hatte? Sie ging sofort dazwischen und hat ihn davon abgehalten, sich noch weiter mit uns zu schlagen."
"So habe ich das noch gar nicht betrachtet, aber stimmt. Sie hatte sich auch an dem Tag durchgesetzt, als ich daheim abgehauen bin."

"Ich weiß, dass du ein ungeduldiger Mensch bist, aber bitte beruhige dich ein wenig. Es ist zwar gut und richtig, dass du dir jetzt Sorgen machst, aber das solltest du nicht in dich reinfressen." meinte er beschwichtigend und nahm mich in seine Arme.
"Komm', wir machen uns was zu Essen, das lenkt dich ein wenig ab." meinte er.

"Du meinst wohl eher, wir starten den nächsten Versuch, uns selbst zu vergiften?" meinte ich sarkastisch, was ihn zum Lachen brachte. Das Dumme für mich war nur, dass sein Lachen mich immer ansteckte. "So gefällst du mir schon besser."

In der Nacht hatte er mich dann tatsächlich unfreiwillig abgelenkt. Ich wurde wach, als er wieder Albträume hatte und sich von einer Seite auf die andere wälzte. Ohne Umschweife nahm ich ihn fest in meine beiden Arme und drückte ihn sanft an mich. Er erschrak kurz, doch dann schien er im Halbschlaf zu bemerken, was geschah und wo er war und seufzte wohlig, doch zitterte er noch eine ganze Weile. Ich strich ihm sanft durch die Haare und redete leise mit ihm, bis er sich irgendwann beruhigt hatte und sich an meine Brust gekuschelt hatte.
Trotzdem schienen seine Albträume etwas weniger zu werden, seit er mir von ihnen und von seiner Vergangenheit erzählt hatte. Vielleicht würden sie irgendwann ganz aufhören, wenn ich mich weiterhin nachts um ihn kümmerte.

Am nächste Morgen dann, wir saßen gerade am Frühstückstisch bei unserer Tasse Kaffee und fertig geschmierten Nutellabrötchen, klingelte plötzlich mein Handy.
Wie von der Wespe gestochen sprang ich auf und holte das Ding.
Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich die wohlbekannte Nummer meines Elternhauses auf dem Display laß.
Als ich ran ging, hörte ich die Stimme meiner Mutter, welche sofort los preschte

"Heiko, bitte komm' so bald wie möglich hierher. Wir müssen dringend reden. Und bring deinen Freund am besten gleich mit."

Ich schluckte, denn das klang nun schon sehr eindringlich.

"Ist gut, wir machen uns gleich auf den Weg. Ist alles in Ordnung?" antwortete ich ihr, doch sie antwortete mir dann nicht mehr und legte auf.

Lukas sah mir sofort im Gesicht an, dass das kein gutes Telefonat war.
"Was ist passiert? Geht's denen gut?"
"Ich weiß es nicht. Trink' bitte deinen Kaffee leer, wir fahren runter nach Neckarau! Mom sagte, ich soll dich mitbringen und sie muss dringend reden."
Hastig trank er die Tasse in einem Zug leer, zog sich noch sein Shirt über und war dann auch schon Abfahrbereit.

Und es war Sommer... (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt