Kapitel 4.2.

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Am nächsten Tag jedoch fühlte ich mich nicht mehr so selbstsicher wie gestern Mittag. Schon seit dem Aufstehen nagten wieder Zweifel an mir, ob das alles gut gehen würde, wie wir uns das vorstellten.

"Jetzt reiß' dich zusammen, du Nervenbündel." meinte er, als ich ihn bestimmt zum hundertsten Mal gefragt hatte, wie er sich alles gedacht hat und ob er weiß, was wir machen müssen, und, und, und...
"Ich versuch's ja, aber..."
"Nix aber! Halte dich einfach an den Plan, dann wird das klappen. Ganz sicher!"

Ich war immer noch skeptisch bei seiner Strategie, die er mir erst kurz vor dem Losfahren in die Innenstadt mitgeteilt hatte. Ich konnte mir nun denken, warum er es erst so kurz vorher machen wollte...
Ein Messingschild mit dem Stadtwappen Mannheims und der Aufschrift "Fachbereich für Jugend, Familien und Sport" hing neben der gläsernen Eingangstür.

"Jetzt komm' schon." raunte er mir zu und zerrte mich dann einfach rein.

Wir gingen an einen Anmeldeschalter, wo er der Dame ausrichtete, dass er zu seiner Sachbearbeiterin wollte.
"Frau Wagner ist noch in einem Termin, danach hat sie aber Zeit für dich. Du weißt ja, wo sie zu finden ist."
Er nickte und nahm mich bei der Hand. Hätte er dies nicht deshalb getan, weil er befürchtete ich würde ausbüchsen, so hätte man es als verliebtes Händchenhalten durchgehen lassen können.

Das innere des Gebäudes war typisch Amt. Ewig lange Flure, von denen mit Plexiglasschildchen beschriftete Türen abzweigten, hier und da eine Sitzgruppe, der typische Aktenmuff überall, und natürlich die für Büros typischen Kübelpflanzen.

Er steuerte zielstrebig auf eine Sitzgruppe in der Mitte des Flures zu und ließ sich darauf nieder.
"Das wird schon, keine Sorge. Setz' dich zu mir." und tippte auf den freien Platz.
Ich setzte mich also hin und trippelte nervös mit den Füßen herum.

Vorsichtig beugte er sich zu mir rüber und gab mir einen sanften Kuss, um mich zu beruhigen. Da ging plötzlich die Tür gegenüber auf, und eine zierliche Frau mittleren Alters mit nussbraunen, schulterlangen Haaren und Hornbrille trat heraus, mit einem Stapel Mappen und Papiere unter dem Arm geklemmt.

"Ah, der Herr Reichert. Du willst zu mir?"
"Äääh, ja. Deshalb sind... bin ich hier."
"Heute mal mit Begleitung?" fragte sie und nickte zu mir her.
"Ja."
"Dann mal herein mit Dir."

Wir gingen beide in das farblose Büro, und Lukas ließ sich lässig auf einen der Stühle gegenüber des mit Papierkram überquellenden Schreibtisches fallen.

"Schön, dass Sie kurz Zeit für mich haben. Ja, heute bin ich mal nicht alleine bei Ihnen."
"Schön. Und was kann ich für dich tun?"
"Ich wollte Ihnen mitteilen, dass ich nicht mehr alleine wohne."

Skeptisch schaute sie ihn an.

"Wie meinst du das, dass du nicht mehr alleine wohnst? Bitte erkläre mir das etwas ausführlicher. Du hast aber doch hoffentlich nicht schon wieder was ausgefressen, oder?"

Ich schaute aus den Augenwinkeln auf meinen Freund bei ihrer spitzen Bemerkung, doch der winkte ab.

"Ne, ich doch nicht! Aber ich muss ihnen ja mitteilen, wenn sich bei mir etwas ändern sollte, und das habe ich hiermit getan."
"Ich verstehe immer noch nicht ganz. Du willst jemanden bei dir wohnen lassen? Um wen soll es sich dabei handeln, und aus welchem Grund?"
"Es geht um ihn hier." meinte er und stupste mich an. Na toll! Jetzt war ich wohl an der Reihe.
"Mein Begleiter kann derzeit nicht nach Hause gehen, entsprechend ist er momentan bei mir zuhause. Das hat sich leider sehr kurzfristig so ergeben."

"Nun, Lukas, das kommt in der Tat sehr kurzfristig. Du weißt doch, dass die Wohnung eine Sozialleistung der Gemeinde darstellt, und du deshalb nicht einfach jemanden einziehen lassen kannst."
"Aber es ging leider nicht anders." protestierte er.

Und es war Sommer... (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt