"Hey Alter. Das muss ich dir erzählen, das war einfach unglaublich. Erinnerst du dich noch an Lena?"
Ich schaute Daniel nur fragend an. Wir standen gerade vor der Schule und warteten darauf, dass der Tag endlich begann, nur um ihn dann schnellstens wieder zu Ende bringen zu können.
"Genau! Meine Ex, die blöde Schlampe... Rate mal, wen ich gestern im Einkaufszentrum gesehen habe! Zusammen mit so einem Macker aus'em Busch! Der vögelt garantiert jede Woche 'ne andere, so wie der rüber kam. Die Schlampe verließ mich erst wegen ihrer angeblich ach so großen Liebe, und macht nun mit so einem widerlichen Stecher 'rum."
Wieder nickte ich nur."Und vor allem scheint das nicht der Einzige zu sein. Stell' dir vor, so wie ich mitbekommen hab, hat sie erst letzten Monat mit diesem Fatzke aus..."
Er unterbrach seine Tiraden auf seine ehemalige Freundin von vor zwei Jahren und schaute mich etwas missmutig an."Du scheinst heute nicht ganz bei der Sache zu sein, oder?" Wieder nickte ich nur geistesabwesend.
"Oh je. Probleme?"
"Nein... Ja... das heißt... Ach keine Ahnung!"
Nun war Daniel derjenige, welcher fragend drein schaute.
"Ist es wieder dein Alter daheim?"
"Nein, diesmal nicht." meinte ich und drängte den Gedanken an meinen Vater weit von mir.
"Aber?" fragte er weiter.
"Nix aber. Sehen wir uns Freitagmittag dann bei mir?" versuchte ich das Thema zu wechseln.
"Natürlich." antwortete er und stieg zum Glück darauf ein.Der Gong der Schule, welcher uns zum Unterricht rief, erlöste mich von Daniels Fragerei. Und dennoch...
Auch wenn die ersten beiden Stunden an diesem Tag Kunstunterricht waren, und ich eigentlich gerne diesen Unterricht besuchte, so zogen sich doch die Minuten beinahe endlos dahin. Immer wieder schaute ich auf die Uhr, doch der Zeiger wollte und wollte nicht weiter auf seinem Weg zum ersehnten Pausenzeichen vorrücken.Die ganze Zeit über hatte ich mit Daniel kaum ein Wort während den Stunden gewechselt, was dazu führte, dass er unten im Hof während der Pause wieder anfing.
"Jetzt schieß' los, Alter! Irgendwas hast du doch."
"Wieso?" meinte ich.
"Weil du heute noch mehr neben der Spur läufst als sonst."Ich boxte ihm freundschaftlich gegen die Schulter und meinte "Gar nicht! Wann bin ich mal neben der Spur?"
Er lachte nur und meinte "Naja, du redest kaum, bist nicht bei der Sache... So biste normalerweise nur drauf, wenn du mal wieder Stress zuhause hast."
"Es ist nichts zuhause passiert. Zumindest diesmal hab ich meine Ruhe. Der Alte war nämlich gestern gar nicht da."
"Und was ist es dann? Hast du einen Geist gesehen?"
Erschrocken blickte ich meinen besten Freund an. Eigentlich traf es diese Bemerkung ganz gut.
"Ich... Also..." stammelte ich herum und wurde verlegen. Zwar wusste Daniel als einziger von meiner Neigung, aber irgendwie hatte ich doch Hemmungen, von gestern zu erzählen.
"Jaaaa?" fragte er mich weiter.Der Gong der Pausenklingel unterbrach uns, doch er hielt mich am Arm fest und ließ nicht locker. "Die zwei Minuten kann die Olle getrost noch warten."
"Ich hab gestern jemanden getroffen..." platzte ich heraus, während die anderen nun alle in Richtung Schulgebäude drängten.
"Aha. Und wen?"
"Keine Ahnung."Es war schwer, doch wenn nicht jetzt, wann sollte ich mir sonst ein Herz fassen und endlich darüber reden, was mich seit gestern aufwühlte. Daniel war immerhin der Einzige, dem ich in der Hinsicht vertrauen konnte. Nicht einmal meinen Eltern hatte ich bisher von meiner Neigung erzählt, und das war vermutlich besser so. Wenn mein Vater das spitz bekommen würde, dass ich auf Jungs stand, würde er mich vermutlich totschlagen.
"Gestern, auf dem Weg nach Hause..." begann ich und erzählte dann beim langsamen hinein Schlendern von meiner Begegnung mit dem Jungen.Als ich geendet hatte, wiegte Daniel seinen Kopf hin und her und meinte dann salopp: "Du hast dich in einen Fremden verguckt?!"
Pikiert winkte ich ab.
"Hallo? Ich kenn' den noch nichtmal. Wieso sollte ich also..."
"Du denkst immer wieder an diese Begegnung, hast du gesagt? Ich meine... Fühlst du was, wenn...?"
"Jetzt übertreib' mal nicht!" meinte ich, doch irgendwie hatte er schon Recht. Ein Blick in diese tiefen, grauen Augen hatten mich ziemlich aus der Bahn geworfen. Ich hatte schon vielen Jungs hinterher geschaut, aber diesmal war es irgendwie anders.
"Na komm', gehen wir zu der ollen Bertram in den Unterricht. Vielleicht sollten wir nach der Schule noch ein wenig in die Stadt gehen. Ich glaube, du würdest jetzt lieber noch darüber reden als in der Klasse zu hocken, oder?"
Ich nickte hastig und wir beeilten uns, denn wir waren doch spät dran für den Unterricht.Nach weiteren vier Stunden dann endlich führte unser Weg aus dem Schulgelände in die Freiheit. Ich und Daniel beschlossen, irgendwohin in die Innenstadt zu ziehen, und uns dort in ein Café zu setzen. Wir blieben schließlich im Starbucks am Marktplatz hängen.
Gedankenverloren beobachtete ich eine Gruppe von Jugendlichen, welche auf dem Platz zwischen anderen Leuten umher zog, und schlürfte dabei an meinem Schokoshake, als Daniel das Thema erneut anschnitt."Der kleine Heiko ist verschossen in Mister Unbekannt." scherzte er herum, doch meine Antwort war lediglich ein böser Blick.
"Was ist los, Alter?", meinte er.
"Ich find' das gar nicht witzig. Du kennst doch meine Situation. Eine Beziehung käme gar nicht in Frage, denn wenn ich mit 'nem Kerl rummachen würde, dann kann ich mir gleich mein Grab schaufeln."
Daniel winkte ab. "Du machst dir zu viele Gedanken. Nächstes Jahr wirst du volljährig, und dann kann er dich sowieso mal kreuzweise." meinte er bezüglich meinen Alten.
"Du meinst wohl eher, dann schmeißt er mich sowieso raus."
"Na also, dann ist doch das Problem gelöst."
"Ja, wenn ich da hinten unter der Neckarbrücke mir ein nettes Plätzchen in Pappkartons einrichten kann zum wohnen, ist alles gelöst."
"Schwätzer!" meinte er und knuffte mich in die Seite.
"Meine Güte, du bist sechzehn Jahre alt, bald schon siebzehn. Alt genug, um dir deine Liebhaber selbst auszusuchen. Zehn Prozent dieses Landes sind schwul. Eine Seltenheit bist du also nicht."
"Weißt du noch, was der Alte mit mir gemacht hatte, als ich sitzen blieb letztes Jahr? Wenn ich mit 'nem Kerl antanzen würde, wäre es wohl noch um einiges schlimmer. Das wäre doch unmoralisch und geht ja gar nicht. Er trichtert ja schon meiner Schwester ein, sie soll sich ja benehmen und am besten keusch leben." warf ich ein und ergänzte "Zudem kenne ich nicht mal seinen Namen, und ob ich jemals wieder auf ihn stoßen werde, das wäre schon ein großer Zufall. Außerdem... Wer sagt denn, dass er nicht eine Freundin hat und ein normales Leben führt?"
Meine eigenen Worte ließen meinen Mut noch tiefer sinken."Vielleicht, vielleicht auch nicht. Keine Ahnung. Aber irgendwie scheinst du doch das gewisse Etwas in ihm erkannt zu haben, wenn du so von ihm schwärmst?"
"Ehrlich gesagt, ich weiß es einfach nicht. Ich glaube, dass ich es in ihm erkannt hatte, dass er so ist wie ich, aber was, wenn ich mir einfach nur was einrede? Ich hab da doch gar keine Erfahrungen damit."
"Vielleicht siehst du ihn ja wieder und kannst ihn nochmal genauer unter die Lupe nehmen."
"Das wäre aber ein richtig großer Zufall, ihn wieder zu sehen, meinst du nicht?"
"Man sieht sich im Leben immer zweimal, sagt man. Vielleicht hast du ja Glück. Vielleicht läuft er genau in diesem Augenblick da vorne um's Eck." sagte er und deutete in Richtung Drogeriemarkt, doch außer einer Mädchenclique beim Shoppen war dort natürlich niemand.
"Na schön! Du kannst ihn nun entweder vergessen, oder du angelst ihn dir, falls ihr euch irgendwann mal wieder über den Weg läuft. Entweder - Oder."Daniel drückte es zwar hart aus, aber im Grunde gab ich ihm in allem Recht, auch wenn er die Gesamtsituation mehr als optimistisch betrachtet. Ein Leben lang verstecken konnte mir nichts bringen. Noch über ein Jahr würde ich zwar ausharren müssen, aber dann wäre ich endlich frei von diesem verfluchten Versteckspiel. Ein Jahr!
"Und was das Thema Beziehung angeht, so würde ich an deiner Stelle das Risiko einer Bindung eingehen, ob mit deinem heimlichen Schwarm oder irgendeinem anderen Typen, den du toll findest. Scheiß' auf diese verbohrten Leute und vor allem scheiß' auf deinen Alten. Es ist schließlich dein Leben, oder?"
Ich nickte zustimmend. Seine Worte gaben mir neuen Mut. Wenn ich es nicht versuchte, konnte ich nie wissen, ob ich so etwas wie eine Beziehung überhaupt eingehen könnte, und am liebsten wäre mir natürlich, wenn...
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Und es war Sommer... (boyxboy)
Romance"Niemand! Absolut niemand schreibt mir vor, wen ich lieben darf, und wen nicht!" ~ Heiko trifft zufällig in der Straßenbahn auf Lukas und ist sofort von diesem angetan. Doch die gemeinsame Fahrt endet leider schneller als gedacht, und er verliert i...