Kapitel 4.4.

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Bereits seit sechs Tagen nun war ich bei Lukas, und seither hatte ich weder etwas von meinen Eltern gehört, noch hatte ich mich bei ihnen gemeldet. Einzig und allein mit Daniel hatte ich Kontakt gehalten. Bisher war auch noch keine Polizei aufgetaucht, die mich suchte. Vermutlich würde mein Vater sowieso keine Vermisstenmeldung aufgeben. Was hätte er den Beamten sagen sollen? Sowas wie "Ich hab' ihn fertig gemacht, da ist er einfach abgehauen, und wenn Sie mich fragen, ich versteh das alles nicht?!" Spätestens wenn man mich gefunden hätte, wäre die Wahrheit rausgekommen.

Es war Montagmorgen, und es war noch sehr früh an diesem Tag, als ich erwachte. Ich setzte mich auf und schaute einen Moment in das Dämmerlicht des Zimmers, um meine Sinne vollends wach zu bekommen.

Neben mir hörte ich ein Keuchen und merkte, wie Lukas sich im Schlaf hin und her drehte.

Er schien gerade sehr intensiv zu träumen. doch als er jedoch anfing, um sich zu schlagen wusste ich, dass es kein angenehmer Traum war.

"Lu, wach auf! Lu!" sagte ich leise genug, dass er es hören musste.
Er schrak plötzlich auf, und saß aufgerichtet neben mir.
"Was ist los?" fragte er mir schlaftrunkener Stimme.
"Du hattest einen Albtraum und warst ziemlich unruhig."
Er schwieg und rieb sich mit der Hand seine Augen.
"Ist alles in Ordnung bei dir?"
"Ist schon okay. Es war wohl nur ein übler Traum. Tut mir leid, wenn ich dich geweckt hab."
"Quatsch, das ist schon in Ordnung. Komm', rutsch' her zu mir!"

Er tat wie ihm geheißen und kuschelte sich an meine Seite. Doch ich merkte, dass er aufgewühlt war, denn er zitterte.
"Magst du es mir erzählen? Was du geträumt hast?"
"Nein, lieber nicht." sagte er mürrisch, erklärte dann jedoch sogleich mit leiser Stimme "Ist schon gut. Ich erinnere mich jetzt schon kaum mehr an Einzelheiten. Und an deiner Seite werde ich garantiert besser träumen."

Ich wuschelte durch seine Haare und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

"Dann schlaf gut, mein Süßer."
"Du auch."

Es dauerte nicht lange, da bemerkte ich seinen tiefen, gleichmäßigen Atem, und wusste, dass er wieder eingeschlafen war. Es war also alles in Ordnung, und so rutschte auch ich wieder hinüber in das Land der Träume.

---

Ich schlief allerdings nicht mehr allzu lange. Ich schaute auf die andere Bettseite und bemerkte, dass sich Lukas beruhigt hatte und noch immer tief und ruhig schlief.

Ich schlich auf leisen Sohlen aus dem Bett, zog mir etwas über und ging nach draußen. Ein Stück die Straße vor war eine Bäckerei, und ich wollte meinen liebsten Nimmersatt mit Frühstück verwöhnen. Als ich dann wieder zurückkam, schlief er immer noch.

"Hey, du Schlafmütze." hauchte ich in sein Ohr.
Er schlug ein Auge auf und meinte säuselnd "Was'n los?"
"Ich hab uns Frühstück besorgt. Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen."
Er lächelte verschlafen und rappelte sich auf. Er war so süß am frühen Morgen.

Wohl vom Gedanken an Essen beseelt stand er auf, zog sich etwas über, und wir frühstückten erstmal ausführlich, und wie ich gesagt habe, dass Liebe durch den Magen geht, war er danach auch wieder sehr gut drauf. Diese Laune hielt ungefähr zwei Stunden an, ehe es an der Tür klingelt.

"Fuck! Den hab ich ja völlig vergessen gehabt." meinte er, ging auf den Balkon und schaute zur Eingangstüre runter.
"Was ist denn los?" fragte ich.
"Mein Sozialarbeiter ist da. Ich hab' denen auf dem Amt schon sooft gesagt, dass er hier nicht einfach mal so aufkreuzen soll, aber da rede ich wohl gegen die Wand."

Es dauerte nicht lange, bis es an der Wohnungstüre klopfte und Lukas öffnete.
"Wer ist das überhaupt? Sozialarbeiter?" rief ich, und Lukas meinte nur "Wirst du gleich sehen..."

Ein Mann mittleren Alters betrat die Wohnung. Trotz seiner Fülle wirkte er jünger, als er wahrscheinlich war, doch sein Rahmenbart verriet sein wahres Alter...

"Hallo Lukas. Es freut mich gerade wirklich auch, dich zu sehen." meinte er, als er das mürrische Gesicht meines Freundes sah, und sein sarkastischer Unterton bei diesen Worten war nicht zu überhören, da keiner von uns beiden etwas gesagt hatte.

"Darf ich vorstellen: mein Sozialarbeiter... Herr Ebel." stellte ihn Lukas mit ebenso sarkastischem Unterton vor. Der Mann grinste und meinte dann "Sehr richtig. Und du musst Heiko Maurer sein? Ich habe die Info bekommen, dass ihr beide vorerst zusammen wohnt, da wollte ich unbedingt mal nach dem Rechten schauen. Oliver Ebel mein Name."

Ich schaute Lukas fragend an, aber er zuckte nur mit den Schultern.
"Also, Jungs, setzt euch." sagte er und matschte sich mit seinem Klemmbrett auf die Couch.
"Kommen wir zuerst zu dir." sagte er und deutete mit seinem Kugelschreiber auf Lukas.
"Soweit ist bei dir alles in Ordnung? Mit der Wohnung steht alles zum Besten? Oder brauchst du irgendwas? Kleidung? Haushalt? "
Lukas winkte ab. "Nee, alles Bestens!"
"Dann ist ja gut. Übrigens könntest du mal wieder aufräumen." meinte Herr Ebel, als sein Blick durch das Zimmer schweifte, welches nach den letzten Aufräumarbeiten wieder mit Klamotten auf dem Boden gesäumt war.
"Ja, ja!" antwortete Lukas genervt.

"Okay. Dann kommen wir zu dir." meinte Herr Ebel und deutet mit dem Kugelschreiber nun auf mich.
"Wie?... Was?... Ich?" stammelte ich.
"Ja, genau du! Ich möchte dir mitteilen, dass dein Verfahren eröffnet wurde. Wir haben deine Papiere erhalten und prüfen nun alles. Wir werden deine beiden Eltern vorladen zu jeweils einer unabhängigen Befragung, also Vater und Mutter separat. Ich muss dich auch hiermit auffordern, zu einem Arzt zu gehen und deine Verletzungen, die dir dein Vater beigebracht hat, attestieren zu lassen. Dann erst wird das Familiengericht eine Entscheidung treffen. Zusätzlich wird ein Strafverfahren gegen deinen Vater eingeleitet werden, den Grund dazu muss ich dir, glaube ich, nicht explizit erklären."

Ich schaute skeptisch zwischen dem Sozialarbeiter und meinem Freund hin und her.
"Keine Sorge, Heiko. Du musst nicht dabei sein bei den Befragungen und dem Gericht."
"Alles recht und schön, aber wie läuft es jetzt weiter? Bis es entschieden ist?"
"Wie wir dir bereits erklärt haben, kannst du hier in der Wohnung bleiben, außer einer deiner beiden Eltern wendet Einspruch dagegen ein. Dann müsstest du solange zurück. Bisher hat jedoch noch keiner von ihnen etwas diesbezüglich geäußert."

Ich nickte und schluckte das Gesagte herunter. Doch in Gedanken wurde mir nun deutlich bewusst, dass ich dringend zu meiner Mutter für ein klärendes Gespräch musste.

Als Herr Ebel endlich sein Klemmbrett nahm und sich verabschiedete war dies auch das Erste, was ich mit meinem Liebsten besprach, eher er Franco anrief und mit diesem aushandelte, dass dieser uns beide morgen zu meinem Elternhaus fahren würde. 

Und es war Sommer... (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt