Kapitel 3.7.

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Ich kam an dunklen Einfahrten vorbei, an dunklen Garagenhöfen und einer geschlossenen und verwaisten Tankstelle, und bei jedem Geräusch in dieser unheimlichen Gegend zuckte ich erschrocken zusammen oder fuhr herum wie ein Verrückter. Noch immer rauschte das Adrenalin durch meine Venen, als ich endlich die Adresse gefunden hatte, die ich suchte. Es war ein alter, maroder und unscheinbarer Wohnblock an einer Straßenecke. Unten war eine Kneipe, aus welcher noch Stimmen drangen, darüber erhoben sich mehrere Stockwerke mit Balkonen dran.

Bei einem Durchgang neben der Kneipe blieb ich stehen und schaute auf das Klingelbrett. Es war nicht einfach, im Zwielicht die Namen gescheit zu lesen, doch endlich drückte ich auf die Klingel mit der Aufschrift "Reichert"...

Nichts passierte! Zweifel überkamen mich. Was, wenn er gar nicht zuhause war? Oder wenn er nachts einfach niemandem in dieser Gegend aufmachte? Musste ich jetzt bis zum Morgen hier in dieser versifften und gefährlichen Ecke alleine auf der Straße zurück bleiben?

Panisch drückte ich wieder und wieder auf die Klingel, bis plötzlich ein Knacken aus der Gegensprechanlage drang, gefolgt von seiner schlaftrunkenen, murmelnden Stimme.
"Was'n los, verdammt?!"
"Ich bin es! Lass' mich rein! Bitte... mach die Tür auf... Bitte..." flehte ich ihn an.

Es dauerte einen Moment, ehe der Türsummer zu hören war und ich die Tür aufdrückte und im Treppenhaus stand. Sofort machte ich Licht und erklomm die Treppe, immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, bis in den zweiten Stock hoch und blieb dort außer Atem vor einer der Wohnungstüren im Flur stehen.

Ich wollte gerade anklopfen, als sich die Tür öffnete und er - halbnackt, verstrubbelt und völlig schlaftrunken - vor mir stand und gähnte.
"Was machst du denn hier? Und vor allem um diese Zeit? Und dann noch alleine? Hast du mal auf die Uhr geschaut?" fragte er und wischte sich mit dem Handrücken die Augen.

Ohne ein Wort zu sagen ließ ich meinen Rucksack einfach auf den Boden fallen und fiel ihm mit beiden Armen um den Hals. Ich konnte nicht mehr anders und fing einfach an zu heulen. Erst jetzt, als er mich in den Arm nahm, fiel endlich der ganze Kummer und Schmerz von mir ab. Ich heulte wie ein Hund, als ich meinen Kopf in seine Schulter grub und mich ganz fest an ihn klammerte. Am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen. Zärtlich und schweigend streichelte er über mich, doch es dauerte etwas, ehe ich mich halbwegs beruhigt hatte.

"Alles gut, mein Kleiner. Alles gut." flüsterte er und nahm meine Hände in die seinen. Noch immer rannen mir die Tränen über die Wangen, als ich zu ihm aufblickte. Er wischte mir mit seiner Hand die Tränen ab und führte mich in die Wohnung hinein. Dann holte er meinen Rucksack und verschloss die Tür.

Ich schritt ein paar Schritte einen kleinen Flur entlang und stand dann in einem großen, spärlich beleuchteten Zimmer. Rechts an der Wand stand ein kleiner Tisch mit zwei Stühlen, auf der anderen Seite ein großes, einladendes Bett, und daneben zog sich die ganze Wand ein Regal entlang. An der gegenüberliegenden Seite ging eine Balkontür nach draußen, daneben stand ein altes, abgenutztes, graues Sofa.

"Setz dich erst einmal. Ich mach' uns schnell zwei Kaffee. Ich glaube, den können wir jetzt beide gut gebrauchen."
Ich nickte. Er schritt an eine kleine Küchenzeile, die in einer Nische eingebaut war und fing an, Wasser in eine Kanne zu gießen.

Ich schaute mich weiter um, und entdeckte zwischen den Möbelstücken noch vielerlei Krimskrams. Unzählige Klamotten lagen wie ein bunter Flickenteppich auf dem Fußboden, Hier und da stapelten sich Türme von CDs und allerlei Papierkram. Die Wände waren einmal weiß gewesen, nun aber mit allerlei Bandpostern und Bildern tapeziert. Weiter hinten im Raum stand ein Hometrainer und lagen Hanteln herum, und von der Decke baumelte eine alte, rostige Eisenlampe.

Und es war Sommer... (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt