Kapitel 5.5.

90 2 3
                                    

So rauh und ruppig er auch sein konnte, und oftmals wohl auch sein musste, so zärtlich und liebevoll war er zu mir. Es war Sonntagmorgen, und wir waren eng umschlungen in unserem Bett - er in mir. Ich sog seinen köstlichen Geruch in mich auf, spürte seine kraftvollen Arme um mich und die Hitze seiner Haut, als wir uns beide im selben Rhythmus bewegten. Das Blut pumpte schneller und schneller durch meine Venen, als wollte mein Körper explodieren.

Als wir fertig waren und uns voneinander gelöst hatten, lag mein Kopf auf seiner Brust, und ich lauschte ruhig und zufrieden seinem Herzschlag, während er sachte mit seinen Fingern über meinen Rücken strich und mich damit einlullte. Auch die Nacht war ruhig und friedvoll gewesen. Zwei, drei mal bin ich aufgewacht, weil ich dachte, ihn neben mir gehört zu haben, doch er hatte tief und fest geschlafen, ohne Albträume.

"Du wirst da wohl Narben behalten." durchbrach er die Stille und strich über bestimmte Stellen auf mir. Ich schlang meinen Arm fester um ihn herum und sah seinen Blick besorgt auf mich gerichtet. Einige der Spuren, die mein Vater hinterlassen hatte, verblichen zwar langsam, aber es blieben wohl doch ein paar ungewollte Erinnerungen daran zurück, zusätzlich zu den Erinnerungen, die er mir schon früher verpasst hatte. Seufzend meinte ich "Was soll's. Du warst es mir wert."

Er lächelte und küsste mich am Haaransatz, und kraulte weiter meinen Rücken, was mir ein wohliges Kribbeln bescherte. Kommende Woche würde ich deswegen auch den von mir vom Amt geforderten Termin beim Arzt wahrnehmen müssen, worauf ich eigentlich überhaupt keine Lust hatte, aber was sein muss, muss halt sein.

Wir lagen noch lange beieinander und genossen einfach nur die Nähe des Anderen. Aber wie es so ist, kommt einem der schönste Moment, auch wenn er Stunden dauern sollte, immer zu kurz, eher wie Sekunden vor, und irgendwann rappelten wir uns auf, weil wir die anderen treffen würden, um gemeinsam die Parade anzusehen, die Party auf dem Marktplatz zu besuchen und voraussichtlich danach noch irgendwo etwas trinken zu gehen.

Aufgrund der blöden Witze von Franco über "Blacky und Blondi" hatten wir uns für unseren Ausflug in die Stadt ein passendes Outfit überlegt und sind schmunzelnd übereingekommen, dass er mit einem schwarzen Top, schwarzen Schuhen und einer weißen Hose gehen würde, ich würde mir ein weißes Top, weiße Schuhe und schwarze Hosen überwerfen, alles von der Machart her ähnlich, dass man auch von weitem sehen konnte, wer zu wem gehörte. Dazu kramte er tatsächlich zwei Regenbogenarmbändchen aus einer Schublade hervor.

"Dein Ernst?" meinte ich kichernd.
"Klar!" antwortete er grinsend, nahm meinen Arm und streifte mir das Bändchen über das Handgelenk. Ich nahm seines und tat es ihm gleich, und irgendwie erinnerte mich das mit den Bändchen gerade tatsächlich an den Ringtausch bei einer Hochzeit.
Er musste wohl denselben Gedanken gehabt haben, denn er meinte verschmitzt "Somit wären wir nun Mann und Mann."
Lachend zog ich ihn fest an mich und küsste ihn innig, schließlich wurde sich immer geküsst nach dem Ringtausch.

Hand in Hand, er hatte sein Bändchen rechts, ich meines links, marschierten wir dann los zum Messplatz an der Neckarbrücke, wo wir dann die anderen erwarten würden, nur dass sie schon größtenteils da waren. Michi und Franco standen da, beide wieder im Partnerlook wie beim Konzert, und Sandra und Daniel standen da, tatsächlich Hand in Hand. Nur meine Schwester und ihr Freund fehlten noch, doch tauchte sie allein kurz nach uns auf.

"Wo ist denn dein Chrissi?" fragte ich.
"Wollte lieber mit seinen Freunden Fußball spielen, der Ignorant... Ist nicht so seines, meinte er. Hat er halt Pech gehabt!" meinte sie leicht motzig.

Ich bemerkte, wie sie aus dem Augenwinkel Michi und Franco beobachtete, welche mal wieder mit sich gegenseitig beschäftigt waren, also stellte ich sie allen vor, ehe sie wieder ihren Putzigkeitsanfall bekam, und dann zogen wir auch schon gemeinsam über die Brücke in die Innenstadt.

Die Breite Straße war bereits voll mit Menschen, die sich an der Wegstrecke der Parade entlang drängten. Wir bahnten uns unseren Weg bis zur Kreuzung am Paradeplatz und sicherten uns ein Plätzchen an der Ecke, wo man eine gute Sicht auf die Wagen hätte.

Es dauerte dann auch nicht mehr lang, dann kamen auch schon die ersten Wagen mit schriller, lauter Musik von oben herab gefahren.

Die LKWs waren alle mit Fahnen, Transparenten und Girlanden geschmückt und zu Partywagen umfunktioniert. Harter Techno Sound dröhnte aus den Boxen und oben, auf der Fläche, tanzten leichtbekleidete Jungs ungeniert aneinander und animierten die Menge am Straßenrand. Zwischendurch flogen immer wieder Bonbons und Kamellen wie an Fasching über unsere Köpfe hinweg, oder die Jungs auf dem Wagen spritzten mit Wasserpistolen in die Menge. Dazwischen kamen Limousinen gefahren, in welchen Dragqueens in den aufwendigsten und schrillsten Kostümen posierten.

Immer wieder stupste mein Freund mich am Arm und deutete auf den einen oder anderen Wagen, und das gleiche tat meine Schwester auf meiner anderen Seite. Sie schien sich kaum einkriegen zu können, und fand alles putzig und cool und hastenichtgesehen, dass ich sie irgendwann grinsend daran erinnerte, dass dies hier keines ihrer heimlich gelesenen Yaoi-Bücher war.

Es war ein langer Zug, und die Wagen von den unterschiedlichsten Teilnehmern und Gruppen organisiert. Da waren welche von den politischen Parteien des Stadtrates, von hiesigen Szenekneipen aus der Stadt, oder von diversen LGBT-Verbänden. Auch gab es diverse Sportgruppen, welche zwischendurch immer mal wieder mit Bällen spielten.

Mein Freund deutete auf das Transparent des diesjährigen Mottos Le(s)ben und Sch(w)ule - come out und fragte, ob ich es denn nach den Ferien in der Schule auch offen leben würde.

"Ich weiß noch nicht genau, aber ich denke, ja. Schließlich will ich ja, dass du mich als von der Schule abholen kommst. Außerdem ist das sowieso mein letztes Jahr, da pfeif' ich auf alle anderen!" meinte ich vergnügt.

Als die Parade vorbei gezogen war, beschlossen wir, uns gemeinsam in eines der Straßencafés zu setzen, ehe wir dann hinauf zum Marktplatz spazieren würden, wo die Bühnenshow stattfinden sollte, und Lukas und Franco ihre heiß erwarteten Boney M sehen konnten.

Zufrieden schlürfte ich an meinem Milchkaffee und hielt die Hand meines Freundes fest in meiner. Michi und Franco fütterten sich gegenseitig mit Kuchen, meine Schwester kam aus dem Schwärmen nicht mehr heraus, und Danni und Sandra saßen ebenfalls händchenhaltend nebeneinander. Ich fand es super, dass mein bester Freund, und die beste Freundin meines Liebsten sich so gut zu verstehen schienen, dass es vielleicht ebenfalls mit den beiden etwas werden würde.

Als wir fertig waren, und genug herum gealbert und herum geturtelt hatten, gingen wir die Straße zurück und zum Marktplatz, wo bereits schon Programm auf der Bühne lief. Eine Dragqueen gab gerade ihre Show zum Besten, und ich muss sagen, die Show war echt klasse! Mit Humor und Witz zog die Queen die Szene teilweise durch den Kakao, aber sprach zugleich auch das eine oder andere Thema oder Problem aus dem Alltag von Homosexuellen an, welche halt immer noch existierten. Es machte mir Spaß, der Dragqueen zuzuhören, denn viele der Alltagssituationen kamen mir irgendwo auf die ein oder andere Weise bekannt vor.

Nach diesem wirklich genialen Auftritt kam dann musikalisches Programm, welches wir jedoch nicht weiter verfolgten, da es eher so Musik aus den Charts war, bis am frühen Abend dann das Highlight auftreten würde.

Als Boney M auf die Bühne trat, und die Sängerin anfing, die Lieder noch genauso zu singen wie damals, als diese Musik noch selbst in den Charts war vor dreißig Jahren, musste ich der Dame doch meinen Respekt zollen, und obwohl ich mit Boney M bisher nicht viel anzufangen wusste, merkte ich, wie ich mich irgendwann von diesen alten, aber weltbekannten Songs mitreißen ließ.

Lukas hingegen war wie ein kleines Kind. Seine Augen leuchteten förmlich, er hüpfte und sprang mit und konnte tatsächlich die meisten Texte mitsingen. Als dann solche Klassiker wie "Daddy Cool", "Ma Baker" oder "Rivers Of Babylon" kamen, waren die Musiker in unserer Truppe kaum noch zu halten, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Manche Musik ist wohl einfach zeitlos.

Als das Konzert vorbei war, verabschiedete sich meine Schwester von uns, denn sie wollte nun zu ihrem Freund Chris gehen und musste am nächsten Tag leider auch wieder arbeiten gehen.
"Bleibt anständig, ihr beiden." meinte sie zu mir und Lukas, und drückte uns beide.
"Sind wir doch immer. Gruß an Chrissi.", sagte ich noch, dann musste sie auch schon los.
"Und wir gehen noch eine Runde in den Busch?" fragte Franco in die Runde und spielte auf unsere Stammkneipe dort an. Kollektive Zustimmung ließ uns dann durch die Straßen in Richtung Jungbuschviertel ziehen, wo wir dann den Abend gemeinsam ausklingen lassen wollten...

Und es war Sommer... (boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt