Kapitel 16 - Schachfigur

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Manchmal halten mich meine Gedanken stundenlang im Bett wach und lassen mich über die Vergangenheit nachdenken. Was ich hätte anders machen können, was ich hätte besser machen können oder was ich lieber hätte sein lassen. Ich rege mich oft über mich selbst auf, nicht früher gewusst zu haben, wie viel ich mir selbst Wert bin. Ich hätte eingreifen, und einiges verhindern können. Doch ich lies mich wie einen Bauer auf dem Schachbrett von einem auf das andere Feld schieben. Oft kann ich mich nicht auf einen und den selben Gedanken konzentrieren, erwische mich dabei, wie ich eine Sache tue und dabei aber im Hinterkopf eine ganz andere habe. Doch obwohl ich weiß, dass ich verdammt nochmal einer der gottverdammt mächtigsten Vampire überhaupt bin, bin ich auf seinem Feld nur eine Schachfigur. Ich bin sein Bauer, den er von einem auf dem anderen Feld hin und her schiebt, nur weil er es kann. In seltenen Momenten wie diesen, wenn ich im Bett liege und mich hin und her wälze, frage ich mich wie jemand wie er Freude daran hat, wenn sein Fleisch und Blut seit Jahren vor ihm flieht, aus Angst den nächsten Sonnenaufgang nicht mehr zu erleben. Ich weiß wie viel ich wert bin, wieviel Wert ich habe.. und dennoch werden meine Gefühle und ich indirekt von einem Mann gesteuert.

Wenn Logan hier wäre, würde er sofort mit mir einen Plan schmieden, Arden endlich zur Strecke zu bringen, nur damit er seine Familie wieder vereinen kann. Seine Familie.. Wenn ich nur daran denke, wie selbstlos Victoria und Daniel damals waren. Sie hätten uns alles gegeben, um ihren Sohn zu retten, dabei hätten wir ihnen jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Gott sei Dank hatten wir ihren Segen und mussten nicht noch einen Bruder betrauern. Und dann.. ja dann ist da auch noch Jackson, der bestimmt eine Tasche in seinem Kofferraum für mich hat, damit ‚wir' abhauen können. Warum kann ich nicht einschlafen? Ich habe für heute genug über alles nachgedacht, ich darf jetzt abschalten.

Seit Tagen haben wir kaum gegessen, Aiden geht es immer schlechter. Er habe Fieber, sagte Vater. Mutter hingegen versucht alles mögliche, uns zumindest ein mal am Tag etwas essen zu verschaffen. Mein Bauch zieht sich zusammen und mir wird schlecht.. der Hunger ist inzwischen so groß, dass ich mich auf nichts anderes mehr konzentrieren kann, als darauf. Ich kann keinen klaren Gedanken fassen und laufe in unserem Dorf umher. Folge dem nahezu vorzüglichen Duft, der langsam immer kräftiger wird. Rauch steigt kurz vor dem Wald aus einem kleinen Haus empor. Meine Füße tragen mich heute soweit sie es eben nur können. Ich weiß nicht, wie viel Kraft ich noch habe, wie lange ich diese Dürre noch aushalte. Meine Augenlider werden schwer und um mich herum wird es schwarz.

»Sie wird wach!« Ich öffne meine Augen langsam, blinzle ein paar mal. Um mich herum ist alles verschwommen. Träume ich? Wo bin ich? Mit meiner Hand reibe ich mir über meine Schläfe, bis ich schließlich ganz die Augen öffne. Den Ort an dem ich bin erkenne ich nicht wieder.. ein junger Mann kommt mir näher und ich zucke zusammen, sehe an meinem Körper runter und bemerke dass ich noch bekleidet bin. Erleichtert atme ich auf. »Es ist alles in Ordnung« Er hebt seine Hände und bleibt stehen. Eine ältere Frau kommt mit einer Schüssel in der Hand auf mich zu. Ich rutsche weiter weg, ziehe meine Beine an mich. »Du lagst vor unserer Tür«  erklärt sie. »Ich bin Victoria, das ist mein Sohn Logan«  »D...Dana« »Hallo Dana« Ihr Lächeln bringt Licht in die Dunkelheit. »Was ist das?« »Es ist Suppe, Mutter hat sie gemacht und ich habe sie für dich über dem Lagerfeuer erwärmt« Victorias Sohn sieht.. stolz darauf aus, dass er etwas getan hat. »Du siehst nicht gut aus. Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?« Die Frau mit den langen dunklen Haaren geht einen Schritt auf mich zu. Vorsichtig, um mich nicht zu erschrecken. »I-Ich weiß nicht« »Oh« Ihr Lächeln verschwindet und ihre Lippen presst sie zusammen. Sie bilden eine Linie. »Nimm das« Victoria streckt ihre Arme aus. »Ich glaube sie ist sich unsicher ob sie uns vertrauen kann, Mutter« Der junge Mann verschwindet für einen kurzen Moment und kommt mit einer weiteren Muschel wieder. »Hier, sieh doch« Er schöpft sich etwas von der Suppe auf die Muschel und kippt sie in seinen Mund. »Kein Gift« »Kein Gift« Ich nicke, nehme die Schüssel von Victoria und stelle sie auf meine Beine. Mit der Muschel wiederhole ich das, was er gerade tat und schließe die Augen. Ich muss es genießen, weiß nicht wann ich das nächste Mal etwas bekomme.

»Das war wirklich vorzüglich, aber ich sollte besser gehen« Mir wird flau und mein Bauch macht komische Geräusche. »Möchtest du noch mehr?«  »Ich möchte Ihnen nicht das Essen weg essen. Es war sicherlich viel wert« »Hast du es weit?« Ich schüttle meinen Kopf. »Wir haben noch einen Laib Brot, möchtest du den haben? Du bist noch ziemlich.. blass«  Ich habe keine Worte für das was gerade geschieht. Sind sie Engel? Hat Gott sie mir in letzter Sekunde geschickt? »Das kann ich nicht annehmen« Ich wische mir mit meiner Hand die Mundwinkel ab. Noch immer habe ich den Geschmack von der Suppe in meinem Mund. Sie war so köstlich.

»Deine Familie würde sich bestimmt darüber freuen. Du hast doch Familie, oder?« Ich nicke erneut. »Drei Brüder und Vater und Mutter. Aiden.. er hat Fieber. Vater weiß nicht was er tun soll« Ihr Blicke werden sanfter. »Nimm das Laib Brot mit, das ist das mindeste was wir für euch tuen können« Logan, er sieht älter aus als ich, reicht mir das Brot. »Ich weiß nicht was ich sagen soll« Ich bin.. ich weiß nicht was ich bin. Sie gaben mir zu essen und nun geben sie mir auch etwas für meine Familie mit. »Wie kann ich mich bei euch für eure Großzügigkeit bedanken?« Ich stehe auf, das was ich bei mir habe wird uns für einen Abend satt machen. Meine Augen werden glasig. »Komm doch morgen mit deinen Brüdern wieder her« »Ihr habt doch euch selbst zu versorgen. Ich weiß dass es gerade schwer für uns alle ist.. Die Dürre hat unsere ganze Ernte verrotten lassen« Tränen kullern mir die Wange hinunter. »Danke« flüstere ich beschämt, bevor ich mit gesenktem Kopf ihr Haus verlasse.

Mit dem Laib Brot in der Hand laufe ich ein Stück und bleibe dann stehen. Ich sehe in den Himmel hinauf und atme für eine Sekunde durch. Wir haben gerade ein ganzes Brot geschenkt bekommen und ich weine. Wann werden wir das nächste mal etwas essen können?

»Dana..Dana!« Ich schrecke auf und sehe, dass ich in meinem Zimmer bin. »Du hast geweint.. im Schlaf. Hattest du einen Albtraum?« Zu meiner rechten ist Henry, der mich besorgt anguckt. Mein Hals fühlt sich trocken an und ich habe einen Frosch im Hals. Ich nicke, weil ich nicht darüber reden will. »Ich gehe dir ein Glas Wasser holen«  sagt mein Bruder, als er mir über die Schulter streichelt. Er steht auf und geht nach unten.

Aus der Schublade meines Nachttisches hole ich mein neues Handy, drücke auf den ersten Kontakt und drehe mich auf die Seite, ziehe meine Beine eng an mich. Nach dem dritten Klingeln geht er ran. »Was ist passiert?« Logan räuspert sich, seine Stimme ist rau. Mist.. Ich habe nicht auf die Uhr geguckt. Es ist 3:49 am. »Dana?« Er klingt besorgter. »Was ist denn los?« Jetzt habe ich auch noch Emily geweckt. »Ich weiß es nicht« antwortet er ihr. »Ich« »Ja?«  »Ich.. vermisse dich so Lolo. Ich will bei dir sein«  Tränen kullern mir erneut über die Wangen. »Oh Dana« Er seufzt. Ich weiß dass sich zwischen seinen Augenbrauen gerade diese Falte befindet. Die hat er immer, wenn er besorgt ist. »Hattest du wieder einen schlechten Traum?« »Mom und du haben uns einen Laib Brot geschenkt, als ich Tage nichts gegessen hatte« »Unser erstes Treffen? Hast du davon geträumt?« »Ja und du hast mich gefragt ob ich Familie habe. Und nun bin ich wieder von meiner Familie getrennt. Ich will zur dir Lolo, bitte«  »Wenn ich könnte wie ich wollte..«  »Ich weiß« unterbreche ich ihn, denn ich weiß dass er Arden genau so sehr töten will wie wir. »Okay« »Kannst du noch ein bisschen am Telefon bleiben?«  Ich kaue auf meiner Unterlippe rum. „Natürlich« antwortet er ohne zu zögern.

Ich drehe mich auf die andere Seite, sehe dass Henry mit dem Glas Wasser an der Tür steht. An seinem Blick allein merke ich, dass er vieles von dem Gespräch gerade eben mitgehört hat. Ich weiß nicht, ob das so ein Zwillings Ding ist, oder ob ich ihn einfach nur gut kenne. Jedenfalls stellt er das Glas auf meinem Nachttisch ab und legt sich neben mich aufs Bett. Er nimmt mir das Handy aus der Hand. »Das Brot war das leckerste, was ich jemals in meinem Leben gegessen habe« sagt er und lacht den Schmerz weg. »Mom konnte schon immer gut backen« antwortet Logan und ich könnte schwören, dass ich ihn bis hier hin grinsen sehe.



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Ich hoffe dass das Kapitel euch gefallen hat und würde mich riesig über Votes und Kommentare freuen 🤍

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