Kapitel 24 - zwischen Leben und Tod

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Seit dem Beginn ihrer Verwandlung sind inzwischen nun mehrere Stunden vergangen. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es weit nach Mitternacht ist. Der Mond hat seinen höchsten Punkt schon längst erreicht und dennoch schwebt Liv immer noch zwischen Leben und Tod. Meine Freundin steckt noch mitten in ihrer Verwandlung, die anscheinend einfach kein Ende nehmen will. Die große Frage nach dem Warum ist ein Bestandteil meiner Gedanken, weshalb Henry und Edley die Überlieferungen durchblättern, die Sawyer und Hudson uns haben zukommen lassen. Emily ist schlafen gegangen, es war schließlich ein langer, anstrengender Tag. Sie bat uns eindringlich darum, sie zu wecken wenn wir ihre Hilfe brauchen würden. Ob sie jedoch Schlaf finden wird, ist eine andere Sache. Ich würde es ihr wünschen. Wenn man aus der großen, gläsernen Schiebetür hinaus in den Garten schaut, sieht man, wie die Blätter der Bäume und Büsche versuchen, an ihren Wurzeln festzuhalten. Ich verschränke die Arme vor meiner Brust und denke angestrengt darüber nach, wie ich Liv bei ihrer Verwandlung noch helfen kann, denn nach unserem letzten Gespräch schickte sie mich weg und sagte, ich solle sie in Ruhe lassen. Ihre Worte wollen mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Warum soll ich mich anstrengen, wenn mich am Ende nur der Tod erwartet? Ob sie schon längst aufgegeben hat und einfach nur darauf wartet, dass die Verwandlung ein Ende nimmt, damit sie sterben kann? Nur allzu gerne würde ich in ihren Kopf schauen, doch habe ich es mir selbst geschworen, niemals gegen den Willen meiner Freunde zu lesen, was sie denken. Liv's Verwandlung lässt mich an den Tag zurück denken, an dem meine Brüder und ich zu dem wurden, was wir sind. Jahrtausende später jedoch kann ich mich nicht mehr an viel erinnern, es ist wie eine dunkle Wolke über mir, die mir die Sicht auf diese Nacht vernebelt. Jedoch werde ich nie vergessen, dass ich an jenem Tag erfahren habe, was Herzschmerz eigentlich wirklich bedeutet. Wie Trauer in jeder Faser deines Körpers sitzt und du um Luft ringst, betest, dass das nur ein Alptraum ist, aus dem du bald wieder erwachst und wie deine Augen schließlich irgendwann trocken werden, weil du alle Tränen verbraucht hast.

Liv's kontinuierliche Schreie reißen mich aus meinen Gedanken und holen mich ins hier und jetzt zurück. Ich schüttle meinen Kopf und bewege mich auf den Keller zu. »Was machst du?« fragt Logan und stellt sich mir in den Weg. »Lass mich durch, Logan« antworte ich ihm lediglich, bestimmt meiner Freundin zu helfen, egal welche Einwende er auch haben mag. »Dana..« Seine Stimme verändert sich zu einem herrischen Ton. »Ich werde meiner Freundin jetzt ihre Schmerzen nehmen, solange ich noch die Möglichkeit dazu habe. Geh mir aus dem Weg« Ich bin es leid, von den Männern um mir herum ständig unterschätzt zu werden. Tief in meinem Unterbewusstsein weiß ich, dass er es nicht böse meint. Er ist mein großer Bruder, wenn auch nur das menschliche Alter ihm mir voraus ist. Logan hebt beschwichtigend seine Arme. »Ich werde dich keine Sekunde aus den Augen lassen und sollte Olivia« »etwas tun, dann wirst du eingreifen, ich weiß« Er seufzt und tritt einen Schritt zur Seite.

Die Energie, die Liv umgibt ist voller Schmerz und Trauer, genau so wie es bei mir damals war. Es kann nicht mehr lange dauern und dann ist es so weit, dann muss sie sich entscheiden.

«Was machst du da?« erkundigt sich meine Freundin mit röchelnder Stimme, als ich mich zu ihr hingekniet und ihr meine Hände an ihre Schläfen gelegt habe. Sie ist ein einziges Häufchen Elend. Ihre Haut so weiß wie Porzellan und wenn man ihr in die Augen schaut, sieht man nichts als Leere. Das Leblose kämpft um die Oberhand. »Shhhh, beruhige dich, konzentriere dich auf meine Atmung« Ich nehme ihre Hand und lege sie auf meine Brust. Für den Bruchteil einer Sekunde verschwindet das Braun in ihren Augen und das Rot leuchtet auf. Mit dem nächsten Blinzeln ist es wieder weg. »Ich nehme dir deine Schmerzen« Nun schließe ich meine Augen um mich zu konzentrieren. Schmerz ist nur ein Traum, der sich in uns verankert und uns verfolgt. Es ist meine Aufgabe herauszufinden, wo sich Liv's Schmerzen verankert haben. Umso näher ich der Quelle komme, umso stärker nehme ich den Geruch von verbranntem Fleisch wahr. Es ist übel, so übel, dass mir schlecht wird, denn es hat sich auf jede einzelne Zelle ihres Körpers ausgebreitet. Mit der bloßen Kraft meiner Gedanken denke ich an einen Faden und ziehe an ihm. Er wird länger und länger, umso stärker ich an ihm ziehe. Das Wirrwar beginnt sich zu lockern und mit einem letzten Zug nehme ich ihr auch den letzten Rest ihrer Schmerzen.

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