Kapitel 6

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Am nächsten Tag brummte mein Schädel ordentlich. Ich lag auf dem Sofa an Rick gekuschelt, der mich grinsend musterte. Erschrocken fuhr ich hoch und kullerte vom Sofa. Super. Ich war echt ein kleines Genie.

"Immer langsam mit den alten Pferden", lachte Rick und reichte mir die Hand, um mir hochzuhelfen.

Doof wie ich war, streckte ich ihm meine rechte Hand entgegen und weckte mit meinen Schmerzensschrei den Rest. Wenn Dummheit weh tun würde, wäre ich Dauerpatient im Krankenhaus.

"Wie kann man nur so blöd sein?"

Lachend schüttelte Rick den Kopf, während Liam und Josie mich verschlafen und ziemlich sauer ansahen.

"Mein normaler Wecker ist mir eindeutig lieber", brummte Josie.

"Ach übrigens, du hast mega die Augenringe", fügte sie noch hinzu, bevor sie im Bad verschwand.

"Das kann dauern", meinte Liam und stampfte in die Küche.

"Noch wer nen Kaffee?", rief er fragend.

"Ich!", meldete sich Rick und sah dann fragend zu mir, doch ich schüttelte nur schnell den Kopf.

Ich hasste Kaffee. Dieses Gesöff ist so widerlich. Ich verstand einfach nicht, wie man so was trinken konnte.

"Darf ich?", fragte Rick.

Verwirrt sah ich ihn an. Erst als er auf meine verbundene Hand zeigt, verstand ich, worauf er hinaus wollte. Ich reichte im zögernd diese. Vorsichtig wickelte er den Verband ab und musterte mein angeschwollenes Handgelenk.

"Wie hältst du das nur aus?", erkundigte er sich.

Ich zuckte nur mit den Schultern und stand auf.

"Josie, mach hinne!", brüllte Liam aus dem Flur und hämmerte gegen die Badezimmertür.

"Alter, ich bin ein Mädchen!", keifte sie zurück.

Rick trottete lachend in die Küche und so blieb ich allein im Wohnzimmer sitzen. Langsam ging ich zum Fenster und riss es weit auf. Ich sog die frische Waldluft sofort in mich auf. Ach, tat das gut. Risikofreudig, wie ich war, setzte ich mich auf das Fensterbrett. Verträumt beobachtete ich die Blätter, die sich leicht im seichtem Wind bewegten. Ich musste an meinen Erzeuger denken und sofort spürte ich, wie meine Augen langsam feuchter wurden. Schnell schloss ich sie und schluckte die Tränen hinunter. Jetzt bloß nicht schon wieder schwach werden.

Ich fragte mich, wie sich das anfühlte, wenn man so runterfiel. Klar, wenn man aufkam, war das ziemlich schmerzhaft. Aber mich interessierte das Gefühl der Schwerelosigkeit viel mehr. Eine kleine Stimme in mir versuchte mich zu überzeugen, es auszuprobieren. 'Du hast hier sowieso kaum etwas verloren', meinte diese Stimme, 'Du bist einfach nur eine Last für alle und nutzlos! Fällt doch gar nicht auf, wenn du fehlst!' Erneut sammelten sich Tränen in meinen Augen und mein Herz begann zu schmerzen. Es war kein normaler Schmerz. Es war wie ein Messerstich durchs Herz. Der Schmerz breitete sich aus und mit ihr eine Dunkelheit. Ich war wirklich zu nichts zu gebrauchen! Mich hätte es nie geben dürfen! Der Schmerz lähmte meinen ganzen Körper. Es war einfach nur noch grausam. Ich wollte tot sein.

"Lin?", schrie eine erschrockene Stimme, doch sie kam gar nicht wirklich bei mir an.

Alles wirkte vernebelt. Zwei Hände rissen mich grob vom Fensterbrett. Im Null Komma nichts hatte ich mich aus dem Griff befreit und stand wieder auf eigenen Füßen.

"Mach das nie wieder!", herrschte mich Liam an, "Hast du mich verstanden?"

Ich reagierte nicht. Liam packte mich an beiden Schultern und schüttelte mich heftig.

"Lass mich los!", zischte ich und stieß ihn weg von mir.

Schnell stampfte ich in das Mädchenzimmer und knallte die Tür zu.

"Die Tür hat dir doch gar nichts getan!"

Rick stand in der Tür und kam schließlich auf mich zu, um mich in die Arme zu nehmen.

"Alles gut?", fragte er besorgt und musterte mich kurz kritisch.

Dann schloss er mich einfach fest in seine Arme, doch weder der Schmerz noch die Leere verschwanden vollständig. Etwas fing in meinem Kopf an zurattern.

Ich sah vor meinen inneren einen Jungen, der mir besorgt in die Augen schaute. "Mama, was ist mit ihr?", dröhnte seine helle Stimme durch meinen Kopf.

Ich blinzelte kurz und das Bild verschwand. Was war das? Ich löste mich schließlich von Rick und ging in die Küche. Josie war endlich aus dem Bad, sodass ich wieder zurück ins Zimmer ging und mir etwas neues zum Anziehen holte. Danach lief ich schnell ins Bad und schloss ab. Musste ich heute auch schon in die Schule? Ein kleines Kribbeln breitete sich in mir aus. Und dann kam die Angst. Etwas bohrte sich in mein Herz und zwang mich in die Knie. Ich wollte schreien, doch ich bekam keinen Ton hervor. Ein Hustenanfall schüttelte mich. Der Attacke verschwand genauso schnell, wie sie gekommen war.

Ich schaute in den kleinen Spiegel und schaute in zwei Augen, die komplett leer mich anschauten. Unter ihnen waren dicke Augenringe. Das war nicht ich! Niemals! Ich schlug mit meiner linken Hand direkt neben den Spiegel. Meine Knöchel brannte, doch ich nahm es nicht wirklich war.

Nachdem ich kurz geduscht hatte und mir etwas neues angezogen hatte, verlies ich das Bad und ging wieder in die Küche.

"Na du?"

Freundlich lächelte Josie mich an. Ich nickte ihr nur kurz zu und lies mich wie nasser Sack neben sie fallen.

"Alles ok?", harkte sie nach.

Ich nickte erneut. Ich wollte nicht jeden belasten. Mir ging es scheiße, aber das musste ja nicht deren Problem sein. Josie reichte mir ein Brot, in das ich sofort reinbiss. Ich verspürte zwar keinen Hunger, aber ich war hier nicht allein. Ich zwang meine Gesichtsmuskelatur sich anzuspannen und meine Mundwinkel nach oben zu ziehen. Ich konnte nirgendwo so sein, wie ich wirklich war. Hier war eine Welt, in der kein Platz für Menschen wie mich war.

"Kommst du?", fragte mich Josie und zerrte mich schließlich in unser Zimmer.

"Hast du nen Collegeblock?"

Fragend sah sie mich an. Ich griff in meine Tasche und beförderte einen Collegeblock samt Stift hervor. Josie grinste und reichte mir einen Rucksack. Ich packte meine Sachen rein. Danach steckte ich noch etwas zum essen mit rein. Schließlich öffnete Josie die Bodenluke und lies die Strickleiter runterfallen. Irgendwie schaffte ich es, einhändig die Leiter herunterzuklettern.

"Nach der Schule geht's erstmal zum Arzt", bestimmte Rick, der gerade entspannt neben mir lief, während Liam sich mit Josie unterhielt.

Ich lächelte. Das war also nun mein neues "Zuhause"...

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Hey ihr,

Wieder ein neues Kapitel. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Ist bei euch auch so schönes warmes Wetter?

Eure
P.L

not the best lifeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt