Abend

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"Was würdest du sagen, was für eine Pflanze ich wäre?"
Ich schaue nach links auf sein Profil. Seine kantigen und gleichzeitig sanften Züge. Bis eben hat er noch an die Decke gestarrt. Ist meinen Arm auf und ab gefahren. So leicht, kaum spürbar wie der Kuss einer Feder. Bei meiner Frage hat er sein Gesicht zu mir gedreht um mir in die Augen schauen zu können. Er schaut mir so ziemlich immer in die Augen. 'Damit du dich nicht vor mir verstecken kannst' sagte er auf meine Frage warum.
"Was hast du gefragt?"
"Hm?"
Ich schaue ihn an, direkt in seine funkelnden Augen und sehe aus dem Augenwinkel  wie sich seine Lippen zu einem Lächeln verziehen. Er weiß ganz genau, dass ich ihn wieder beobachtet habe und er meine Gedanken ausfüllt. Dieser Mistkerl. "Du hast mich gerade was gefragt, was war es?"
Ahh...ohh ja
"Was für eine Pflanze wäre ich deiner Meinung nach?"
Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen. "Was für Pflanze? Hmmm...okay gute Frage"
Plötzlich erhellt sich sein Gesicht, wie es das immer tut, wenn er einen seiner  'genialen' Einfälle hatte.
"Ich habe ja letztends meine Bio Klausur geschrieben..."
Ohh bitte nicht
"Eine Aufgabe ging über die Würge-Feige die im tropischen Regenwald heimisch ist. Sie besitzt nur Luftwurzeln und kann somit nicht unbedingt auf dem Boden wachsen. Oder?" Er guckt kurz nachdenklich an die Wand, schüttelt seinen Kopf und fährt fort: "Ich glaube, dass war so. Keine Garantie. Jedenfalls verbreitet sich die Feige über Früchte, welche Tiere fressen und später die Samen über den Kot wieder ausscheiden. Wenn ein Samen auf eine Astgabelung von einem Baum fällt, und die Bedingungen günstig sind, fängt der Samen an zu keimen und wird immer größer und größer. Dabei wird sie irgendwann so groß, dass sie den Baum komplett einschließt, weshalb kein Licht, Sauerstoff oder Wasser mehr zu ihr gelangt und sie deshalb stirbt und... hörst du mir überhaupt zu?"
Ich werde aus meiner Starre gerissen, er guckt mich an, ähm "ehrlich gesagt hab ich bei Bio Klausur abgeschalten"
Nein hab ich nicht. Ich höre ihm immer genau zu. Ich will ja schließlich auch, dass er mir zu hört. Außerdem liebe ich seine Stimme, vorallem diesen einen Ton, wenn er mir was erklärt.
Er fängt wieder an zu schmunzeln und zieht dabei auch noch eine Augenbraue hoch. Er weiß, dass ich zugehört habe. Blödman.
"Willst du mir jetzt damit sagen ich bin eine würgefeige?"
"Nö"
"Warum zur Hölle hast du mir dann davon erzählt?!"
"Ich wollte Zeit schinden. Außerdem ist es interessant." Typisch.
"Ookay?"
Ich sehe ihn erwartungsvoll an. Ich weiß da muss noch was kommen.
'Und? Was bin ich nun?'  harke ich ungeduldig nach. 'Jaja gib mir doch mal Zeit zum nachdenken'
Ich verdrehe meine Augen auf diese Worte. Er sieht es. Natürlich. Und fängt an zu lachen und zieht mich dabei näher zu sich. Mein Herz schlägt, für eine kurze Zeit,  schneller.
"Kaktus"
Sein Wort  reißt mich wieder aus meinen Gedanken "hmm?"
"Du wärst eine Kaktus"
"Warum?" Ich runzle meine Stirn. Das ist ja fast genauso gut wie mit der Würgefeige.
Mit einen Blick auf mein Gesicht fängt er wieder an zu lachen "sei nicht sauer..Baby.
Kakteen ist Überlebenskünstler. Sie sind schwer zu erreichen, durch ihre Stacheln, aber dahinter sind sie ganz weich und zerbrechlich. Sie können Wasser für lange Zeit speichern. Sie brauchen nicht viel zum Leben, aber man muss sie trotzdem richtig behandeln. Sie sind so Facettenreich. Wie du. Ich brauchte zwar auch ein Weilchen bis ich hinter deine Mauer gelangt bin und habe mich auch des Öfteren dabei gestochen, aber das war es mir wert.  Du bist ein Überlebenskünstler. Brauchst nicht viel, aber doch den richtigen Umgang. Und hinter deiner Mauer bist du ganz weich und zerbrechlich. Also. Du bist ein Kaktus und dafür liebe ich dich'
Ich kann nicht atmen. Tränen steigen mir in die Augen. Ich will etwas sagen. Ich will es erwidern. Aber ich will diesen Moment nicht zerstören. Und... "schhh"
Er guckt mich sanft an. Zart lächelnd. Seine schöne Hand legt sich behutsam auf meine Wange und ich schmiege mich automatisch hinein. Ich habe mich noch sie geborgener gefühlt wie bei ihm. Ich will es ihm sagen.  jetzt. LOS.
"ich weiß". Sanft küsst er meine Lippen. Nur ein Hauch. Und er zieht mich noch näher zu sich, schließt seine Augen. "Ich liebe dich so sehr, dass es mich zerreißt und gleichzeitig wieder zusammen setzt'' kommt es endlich ganz leise, kaum hörbar aus meinem Mund geflüstert. ''Ich weiß" kommt es genauso leise lächelnd zurück.
Ich schließe meine Augen auch. Versuch in ihn hinein zu kriechen.
Und so liegen wir leicht lächelnd in den Armen des Anderen und schlafen ein. Um morgens wieder auf zu wachen.

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