Es war ein Tag wie jeder andere. Ich wache auf und will mich gleich wieder hinlegen. Ich gehe zur Schule und will alle um mich herum anschreien 'sie sollen leise sein'. Meine Schultern beugen sich unter dem Stress und der Wut und der Angst.
Ich fahre wieder nach Hause. Und fühle mich so lebendig auf dieser kurzen Fahrradfahrt. Ich fliege über den Boden und spüre den Wind durch meine Haare streichen. Frische feucht kühle Luft in meinen Lungen.
Und ich komme Zuhause an. Gehe eine Runde um den Block, um wieder runter zu kommen. Ich tue es zu selten, obwohl ich weiß, wie befreiend das ist. Einfach zu laufen und seine Gedanken schweifen zu lassen. Frische Luft durch meinen Körper zu pumpen.
Und ich gehe wieder nach Hause. Hause. Welch merkwürdiges Wort, was für ein bittrer Beigeschmack.
Hätte ich gewusst was danach passiert, ich wäre auf dem Feld verloren gegangen.
Blau.
Ich sehe blau. Ein Auto. Polizei. Nein.
Meine Schritte verlangsamen sich, nur um sich sofort zu verschnellern und ich renne schon beinahe zur Haustür. Atemlos.
Ich schließe die Tür auf und plötzlich steht ein fremder Mann vor mir. In Uniform. "Komm doch erst mal rein" sagt er. "Was ist passiert?" frage ich. Und dann höre ich es. Meine Mutter. Weinend und schreiend. "Was ist passiert?!" frage ich nun fast schon schreiend. Angst bemächtigt sich meines Körpers. Der Mund des Polizisten öffnet sich. "Sagen sie mir nicht, dass ich mich beruhigen soll. Was ist passiert?!" Der Mund des Polizisten schließt sich.
"ER IST TOT. ER IST TOT. WIE KANN ER TOT SEIN. WIE?!" schreit meine Mutter aus dem Wohnzimmer. Mein Blick schießt zu dem des Mannes. Erkenntnis.
"Wer ist tot?" ertönt es schwach und zerbrechlich. "Ich muss ihnen mit tiefsten Bedauern mitteilen, dass ihr Bruder am 17. Januar an einer Überdosis verstorben ist. Mein tiefstes Beileid."
Bamm.
Ein Schlag ins Gesicht.
Leere. Ich bin leer und mein Kopf ist leer.
Leer. Leer. Leer.
'Dein Bruder ist tot.' Mein Bruder ist tot tot tot. Mein Bruder ist tot. Ich spüre etwas Nasses auf meinen Wangen. Es kann doch gar nicht regnen? Und ich höre Blitze und Donner. Wie kann es Gewittern?
Schwarz. Ich sehe nichts und Panik und Schmerz stürzt über mich herein wie eine Welle und ich ertrinke. Ich ertrinke in meinen Tränen und ich ertrinke in meinen Gedanken und ich gehe unter. Ich ertrinke.
In dem Moment als ich Arme um mich spüre und die Schwärze mich in friedvolle Ohnmacht einschließt, realisiere ich, dass ich das Gewitter bin.
Mein Bruder ist tot. Und mit ihm ein Teil meiner Selbst.