Es sind mal wieder die Schreie, die mich aus meiner tauben Starre reißen. ihre hysterischen kreischenden Stimmen durch brechen diese ohrenbetäubende Stille. Ich höre immer Schreie und Poltern und Trappeln. Ich hasse laute Geräusche und ihre Stimme hasse ich noch mehr. Mein Gehirn ist davon gebrannt markt wie das Hinterteil einer Kuh.
Ich setzte mich auf und gleite zu Boden. Kauere mich zusammen und schlinge meine Arme um meinen Glasknochenkörper. Als würde ich damit irgendwas bewirken können. Als könnte ich damit irgendwie diese Stimmen fern halten. Ich komme nie dagegen an. Niemals.
Und Luft entweicht nur noch stockend. Tränen auf meiner Haut, hinterlassen heiße Flüsse. Und ich will aufstehen. Und ich will brüllen wie ein Löwe. Ich will, dass das endlich aufhört und gleichzeitig ängstige ich mich vor diesem Moment.
In meinem Kopf manifestiert sich der Gedanken zur Flucht. Und wie Gazelle vor dem goldenen Raubtier flüchte ich. Auf leisen Ballen tapse ich die Treppe hinunter gen Stimmen. Höre sie links neben mir streiten. Und ich ziehe mir meine Schuhe über und schlüpfe geschwind in meine Jacke. Die Tür geht mit einem ätzenden Quietschen auf und dann wieder zu. Ich frage mich, ob sie es überhaupt gehört haben, ob es sie überhaupt kümmert.
Ich laufe. Einfach los, entlang des gewohnten Weges. Vereinzelte Autos fahren an mir vorbei. Was sehen sie? Sehen sie überhaupt? Meine Sicht ist verschwommen und ich fühle mich so nackt und ausgeliefert ohne mein Metall auf meiner Nase. Laternenlicht säumt das Pflaster. Vertreibt Schatten, indem es neue schafft. Und ich gehe weiter und biege nach links.
Vereinzeltes Licht dringt durch die Ritzen der Häuser. Fernseher laufen und Menschen nicht. Die Laternen werden immer weniger und die Dunkelheit nimmt zu. Und ich biege wieder nach links. Sehe die schemenhaften Umrisse von drei Menschen. Ich gehe den Weg neben diesem. Den abgeschoteten, den dunkleren. Da ist ein Mädchen mit einem Verband um den rechten Arm. Sie versucht eine schneeweiße Katze zu streicheln. Doch diese rennt schnell weg und verschwindet.
Mein Weg führt mich nach rechts. Es ist ein kleiner Weg mitten durch ein Feld, abgetrennt durch kleine Bäume. Wie Tunnel und am Ende öffnet er sich zum weiten weiten Feld hinaus und in der Ferne ist die Autobahn.
Ich habe angst im Dunkel. Hatte ich schon immer, aber dieser stockfinstere Weg fühlt sich gerade sicherer an als mein Zuhause. Also gehe hinein. Die Bäume um mich herum, sie quietschen wie Gummi und knarzen wie mein Bett. Es klingt in diesem Moment wie Schreie und Wehklagen. Ätzend und leidend.
Ich bin bewegungslos. Kann nicht weiter. Die Welt um mich herum fühlt sich so bedrohlich an. Die Schattengesichter entstehen und verschwinden wieder. Fußschritte und Stimmen. Doch hier ist Niemand, Niemand außer mir. Also laufe ich weiter. "imalionimalionimalionimalion" murmle ich still flüsternd vor mir her, während ich mich tiefer in die Dunkelheit begebe.
Mein Angst ist unbegründet. Hier ist niemand. Ich kenne diesen Weg und ich sehe genug um ihn zu erkennen. Irgendwann komme ich an eine offene Stelle, nicht am Ende, bis dahin schaffe ich es einfach nicht. Ein Strommast ragt hoch in den dunklen Himmel. Es sieht so beängstigend aus und gar so schön. Der Wind braust wieder stärker und ich ziehe meine Jacke fester um meinen schmalen Körper.
In der Ferne sind verschwommene Licht. Bewegen sich schnell und unregelmäßig. Autos am Horizont hatten schon immer etwas beruhigendes an sich. Das alttypische Rauschen ist immer konstant. Und ich verharre still stehend.
Meine Lippen pulsieren in dem kühlen Kuss des Windes. Und meine Beine zittern vor Kälte. Aber genau die brauche ich jetzt, um meine Tränen zu trocknen und meinen Kopf zu leeren. Ich brauch diese Stille, um die Stimmen zu übertönen. Welch Ironie.
Aber ich kann hier nicht ewig stehen. Kann diesen Moment nicht anhalten. Muss zurück in dieses Haus. Also reiße ich meine Füße vom Boden und gehe zurück Richtung Straßenlaterne. Der Wind braust wieder stärker auf und mit ihm die Schreie der Bäume und mit ihm meine Angst.
Und ich biege nach rechts. Der Weg öffnet sich und Laternen erleuchten nun wieder meinen Weg. Versuchen die Dunkelheit fern zu halten, dabei ist sie doch schon da. Eine Frau, glaub ich, steht an einer Tür und raucht. Was denkst du? Ich gehe an Häusern vorbei, die Anfang des Jahres noch unbewohnt waren. Nun sind die Fenster mit Jalousien bedeckt und nur spärlich dringt Licht nach draußen. Was haben sie zu verbergen? Wovor haben sie Angst?
Ich mache noch eine kleine Schwenker. Hier stand ich an Silvester mit meiner besten Freundin habe noch über Träume und Wünsche und Ängste. Nun stehe ich hier wieder mit Salz in den Augen und fühle mich so verloren und vergessen. Ich bin ein Geist geworden.
Ich drehe wieder um. Kann nicht mehr stehen und gleichzeitig will ich nicht weg. Tote Äste knacken unter mir wie brechende Knochen. Laufe an weiteren zu geschlossen Häusern vorbei und biege nach links in meine Straße ein. Hier gibt es wieder mehr Licht. So hell und kalt.
Die Umrisse meines Hauses kommt in Sicht und ich zwinge mich die Tür hinauf. Und mit lauten Quietschen bin ich wieder drin. Wärme schlägt mir wie eine Faust ins Gesicht. Ausziehen wirkte noch nie so laut. Ich sehe Licht im Wohnzimmer, höre den Fernseher, aber keine Stimme. Nichts. Ich schleiche die Treppe hoch. Haben sie meine Abwesenheit überhaupt gemerkt? Wie können sie nicht? Wo sollst du hin, wenn dein Zuhause eine Falle geworden ist?
27.04.2019 [00:18]