School

5 1 0
                                    


Hier stehe ich also, nach so vielen Jahren wieder. 

Die Farbe blättert bereits von Wänden, schält sich ab wie die Haut einer Schlange. Aber hier findet keine Erneuerung statt. Es stehen sogar noch einige verrostete Fahrräder herum. An dem Ständer verweilte immer meines, an dem das meiner Geschichtslehrerin. Wie sonderbar. 

Mein Weg ist gesäumt von zerbrochenen Träumen und zerbrochene Glasscherben knirschen unter meinen Sohlen. Ich bleibe stehen und betrachte dieses nun verwahrloste Gebäude meines jugendlichen Alptraumes. 

Ein großer Stein fällt mir in den Blick und ehe ich es mir versehe, hebe ich ihn auf. Rau, bröckelnd. Er ist aus der Cafeteriawand raus geschlagen.  Mein Arm hebt sich langsam und ehe ich es mir versehe, schlägt er auch schon in einer noch heilen Fensterscheibe ein. Glas regnet herab. 

Befriedigend.

Ich bahne mir meinen Weg zur Tür, schlänge mich wie Schlange durch die zerbrochene Scheibe hindurch ins Innere. 

Leere.

Es strahlt Leere jetzt nicht nur innerlich aus, sondern ist es auch nun äußerlich. Die Möbel sind weg, Bilder verschwunden, die Kasse geplündert. 

Aber ich sehe Grün. Im Lichthof. Pflanzen wuchern aus dem kaputten Glasdach herein. Pfützen bilden sich auf dem dreckigen Boden. Und die Sonne scheint herein und Staub tanzt im Schein. Wie eine Fatamorgana erscheint es mir, wie eine Oase in der brennenden Wüste. 

Ich gehe weiter, vorbei an verschmierten Wänden, vorbei am Müll, vorbei. Ich sehe mir die Räume an, in denen ich so viel Zeit meines Lebens verbracht habe. In denen so viel Kummer und Angst hängt, Status und Oberflächlichkeit. Und der Klausurraum, wo die Luft bis heute und mit zerstörten Fenstern noch nach muffigen Tränen riecht. 

Die Vergangenheit wirkt so surreal. Saß ich wirklich hier? Habe ich mir wirklich niederschmetternde Gedanken an eine kleine, nichtssagende Zahl gemacht? Warum? Warum? Und hier stehe ich nun und all das Wisse, all diese endgültigen Halbwahrheiten helfen mir nun nichts  in dieser neuen, vertraut kaputten Welt. Helfen mir nicht beim überleben. 

Mir hat hier niemand einer die wirklich wichtigen Dinge beigebracht. Wie ich ein Feuer mach, um nicht zu erfrieren in der eisigen Kälte der Nacht. Was ich in der Wildnis  essen kann und was nicht. Wie ich kämpfe, wie ich mich selbst liebe. 

Und ich gehe vorbei. Und ich gehe weiter. Denn es ist nicht mehr von Belang. Und ich gehe die Treppe runter und verharre noch ein letztes Mal am Grün. 

Aus all dieser Leere und dem Leid ist doch noch etwas so schönes und kostbares gewachsen. Leben. 

Es gibt mir Hoffnung, dass auch aus mir und in mir etwas wachsen kann. Leben.

Ich drehe mich um, steige aus dem einst verhassten Gebäude. Verlasse das einst verhasste Gelände und laufe die einst verhasste Straße entlang. Und lasse los. Lasse die Vergangenheit los. Es kostet mich so unendlich viel Kraft nicht daran festzuhalten. An diesen Hass. Diese unendliche Wut. Aber für diesen Hass, dieser Wut reicht meine Kraft nicht. Ich will nicht daran festhalten. 

Also akzeptiere ich und blicke nicht einmal mehr zurück.

[28.01.2019]

MindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt