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für @93mullingar

Mats Sicht:

"Und schon aufgeregt?", fragte Lu, welche grinsend in der Zimmertür stand und darauf wartete, dass wir endlich losfuhren. "Aufgeregt ist gar kein Ausdruck.", erwiederte Cathy jetzt lachend und drückte mir meine Schienbeinschoner in die Hand. "Mats würde vor Aufregung noch seinen Kopf vergessen, wenn der nicht festgewachsen wäre." Ich verdrehte nur die Augen und streckte Cathy die Zunge raus, obwohl ich natürlich wusste, dass sie grundsätzlich recht hatte. Wir würden heute gegen Leipzig spielen und für uns stand der Pokal auf dem Spiel. Das Team war in letzter Zeit nicht in Höchstform gewesen und ich wusste, dass wir heute 110% geben mussten.  Dazu kam noch, dass der Trainer mich gebeten hatte, heute die Motivationsrede in der Kabine zu halten und ich hatte noch keinen blassen Schimmer, was ich den Jungs sagen sollte, um sie anzustacheln und sie nochmal so richtig heiß auf das Spiel zu machen. "Können wir jetzt endlich los?" Ungeduldig wippte Lu von einem Bein aufs andere. "Vermisst da etwa jemand seinen Freund?", fragte ich provozierend und diesmal war es Lu, die mir die Zunge rausstreckte. "Ihr habt Euch gerademal EINEN Tag nicht gesehen." "Ich erwarte nicht, dass DU das verstehst. Richtige Liebe ist halt nicht für jeden was." "Wo sie recht hat.", pflichtete Cathy ihr jetzt bei und grinste mich herausfordernd an. "Ihr seid doch echt bescheuert.", gab ich nur schmollend zurück, bevor ich beiden vorweg in Richtung Auto lief. Als wir am Trainingsgelände ankamen, konnte ich sehen, dass die meisten meiner Teamkollegen schon da waren. Ich hatte gerade den Motor abgestellt, da war Lu auch schon aus dem Auto gehüpft und Richtung Erik gerannt, welcher grinsend an der Hauswand neben der Eingangstür lehnte. Meine Cousine war mir echt immer weider ein neues Rästel. "Wie hat sie...", ich ließ meinen erstaunten Satz einfach in der Luft hängen. "Sie liebt ihn eben.", erklärte Cathy lächelnd und griff nach meiner Hand. "Und ich liebe dich.", lächelte ich, beugte mich zu ihr herüber und legte meine Lippen sanft auf ihre. Doch statt zu erwiedern, löste sie sich grinsend zu mir und flüsterte: "Wenn dies nicht so wäre, wäre ich besorgt." Dann ließ sie meine Hand los und stieg einfach aus dem Auto aus.

Lunas Sicht:

"Es ist schon witzig. Genau hier haben wir uns das erste Mal so richtig getroffen.", flüsterte Erik mir ins Ohr, während ich mich an ihn drückte und seinen wunderbaren Duft einsog, welcher das Lila vor meinen Augen immer wieder zum Strahlen brachte. "Du hast mich über den Haufen gerannt.", erwiederte ich jetzt lachend und boxte ihm leicht gegen den Bauch. "Ich weiß. Und deshalb habe ich dir etwas mitgebracht. Als Wiedergutmachung sozusagen." Erik löste sich von mir und drückte mir dann etwas Weiches in die Hand. Es war ein Trikot, das erkannte ich am Stoff. Vorsichtig ließ ich meine Finger über die Signatur wandern. "37 Durm", konnte ich fühlen und ich musste lächeln. "Danke. Das ist super toll!", freute ich mich und zog seinen Kopf zu mir herunter, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. "Ich dachte, dann sieht jeder gleich, dass du mein Mädchen bist."

Eine Stunde später waren Cathy und ich am Stadion auf unseren Plätzen. Cathy hatte mich heute mit zu den anderen Spielerfrauen und Familienmitgliedern genommen. Ich war ziemlich nervös, da es so laut war im Stadion und da ich auch noch nicht alle Spielerfrauen kannte. Doch Cathy ließ mich keine Sekunde alleine und dafür war ich ihr echt mega dankbar. "Komm, Lu. Setz dich hier hin.", wies Cathy mich an und drückte mich sanft auf meinen Sitz. Als ich bemerkte, dass neben mir schon eine andere Frau saß, drehte ich mich in ihre Richtung. "Hi, ich bin Jenny. Die Frau von Marcel.", hörte ich eine freundliche Stimme sagen und kurz darauf spürte ich eine weiche elegante Hand, die mit einem kräftigen Händedruck meine Hand schüttelte, die ich ihr anbot. "Lu...", erwiederte ich knapp, da mir nun doch ein wenig unwohl zumute war. "Ah! Dann bist du die Cousine von Mats! Schön dich kennenzulernen. Marcel hat schon so viel von dir erzählt." Ihre Stimme klang wirklich sehr freundlich und gelassen und nach und nach schob sich ein angenehmes blau in meinen Kopf. "Jenny passte zu Marcel", dachte ich. Ich spürte, wie Cathy neben mir Platz nahm, nur um kurz darauf wieder aufzustehen und einer weiteren Person Platz zu machen. Auf Cathys Zeichen hin, erhob ich mich auch und ich spürte, wie sich eine weitere Frau an uns vorbeidrückte. "Mama, wer ist das?", hörte ich einen kleinen Jungen im Vorbeigehen fragen, doch ich hatte keine Zeit mich darauf zu konzentrieren, denn augenblicklich hatten Jenny und Cathy mich wieder in Beschlag genommen. "Ich gehe uns eben was zu trinken holen, okay?", fragte Cathy an mich gewandt und ich nickte. "Die Frau, die eben an uns vorbeigekommen ist, ist Tugba, die Frau von Nuri und ihr Sohn Ömer.", erklärte mir Jenny. Ich nickte. Kurz darauf hörte ich wie es nach und nach stiller wurde im Stadion und ich konnte eine deutliche Anspannung spüren. Ein Hauch von Neugierde und freudiger Erwartung lag wehte durchs Stadion und es roch nach frischen Brezeln. Die Farben in meinem Kopf vermischten sich und für den Bruchteil einer Sekunde ergaben sie ein völlig neues buntes Bild. 

Für diesen einen winzigen Moment war ich nicht mehr im Stadion. Ich schloss meine Augen und als ich sie wieder öffnete, saß ich einem großen blau-rotem Zelt. Ich saß neben Mats auf einer harten Holzbank, der Mief der vielen Menschen und der Tiere stand bis unter dem Dach. Alle hielten die luft an. Es war so unfassbar still. Alle hielten den Atem an. Alle Augen starrten auf das Seil, welches sich 10 Meter über unseren Köpfen bedrohlich durch das Zelt spannte. Ein Trommelwirbel. Und dann betrat sie das Seil. Eine Seiltänzerin in einem roten Tüllrock. Einen Regenschirm in der einen Hand, die andere zur Balance ausgestreckt. Und dann machte sie ihren ersten Schritt. Vor Aufregung hatte ich Mats Arm gegriffen, doch dieser bemerkte nichts. Er starrte ebenso mit offenem Mund hinauf zu der kleinen zierlichen Frau, welche sich graziös ein Schritt, nach dem anderen, über das schwankende Seil bewegte. "Das ist unmöglich! Das schafft sie nie!", raunten sie Stimmen um mich herum. Doch Mats und ich wussten es besser.

Als ich vom Heuballen gesprungen war, konnte ich fliegen. Nicht lange, nur für den Bruchteil einer Sekunde. Und doch war ich geflogen. Ich war geflogen, weil ich die Angst besiegt hatte.

I see your true color - Der Mond ist GrünWo Geschichten leben. Entdecke jetzt