Rettungsaktion

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Kurz bevor Leo bei den anderen ankam stoppte sie und holte die Visitenkarte aus der Tasche ihrer Jeans. Warum hatte Julien ihr seine Telefonnummer gegeben? Er dachte doch, sie wär ein Junge. Warum wollte er ihr helfen? Also nicht ihr - dem Mädchen Leo, sondern ... ach, das war zu kompliziert. Sie speicherte die Nummer in ihrem Handy unter Julia ein, damit Mirko keinen Verdacht schöpfen würde. Die Adresse speicherte sie in Google Maps unter Vaforiten. Dann zerriss sie die Visitenkarte in kleine Schnipsel und schmiss sie in den nächsten Mülleimer. Jetzt erst setzte sie ihren Weg fort und erreichte kurz darauf die anderen, die schon auf der Wiese saßen. Leo gesellte sich dazu und so verbrachten sie alle die nächste stunde dort und genossen die Ruhe vor dem nächsten Auftrag, der unweigerlich kommen würde. Denn heute war Freitag und da schickte Mirko sie immer los. Zum einen, die Partyleute zu beklauen und zum anderen um Stoff an genau die zu verticken. Die älteren waren fürs verticken zuständig, die jüngeren fürs klauen.

"Wieso haust du eigentlich nicht ab?" fragte Jenny sie, die neben ihr saß und das Gras aus rupfte. Verwundert sah Leo zu der Blonden. "Naja ich mein," fing sie mit leiser Stimme zu erklären an, "du könntest doch einfach weg. Du könntest dir doch einen Job und eine Wohnung suchen. Irgendwo anders." Verstohlen sah Jenny sie zu ihr rüber. Mitleidig sah Leo sie an. Jenny war so ein hübsches Ding und sie hatte schon so viel mit machen müssen in den paar Jahren, in denen sie bei der Gruppe war. Nicht genug, dass sie wie alle anderen die Schläge kassierte, so schickte Mirko sie auch anschaffen. Genauso wie Marie. Wobei beide nicht auf einen Nuttenstrich gingen. Mirko 'lieh' sie statt dessen an seine Kunden aus. Und die waren nicht immer gerade zimperlich.

Sanft strich Leo ihr über die Haare. "Ich kann euch doch nicht alleine lassen." Ein dankbares Lächeln huschte über Jennys Gesicht, als alle Handys der Kids in dem Moment einen Nachrichten Eingang verkündeten. Mirko hatte mal eine Whatts App Gruppe erstellt, in der sie alle drin waren. Ebenso Jan und Tom, die dafür zuständig waren, dass die Kids ihre Aufgaben auch wirklich erledigten. Bei den Kleinsten von ihnen auch, um ein Auge auf ihre Sicherheit zu haben. Die zehn schauten auf ihre Handys und erhoben sich, da Mirko sie alle zusammen rief. Es ging auf den Abend zu und das hieß Lagebesprechung, wer wohin sollte und wer welche Aufgabe bekam.

Im Haus verteilten sich alle wie gehabt im Wohnzimmer. Während die jüngsten sich auf den Boden setzten lehnte sich Leo an die Wand, die gleich an der Tür zum Flur war. Marco lehnte sich wie immer neben sie an die Wand. Beide hatten die Arme vor der Brust verschränkt. Man hätte meinen können, dass sie zwei Bewacher der anderen wären. Als Mirko mit einem kleinen Mädchen in der Hand aus dem Flur ins Wohnzimmer trat zog Leo überrascht die Brauen hoch.

"Das ist Samira," sagte Mirko, kaum dass er fast an der gegenüber liegenden Wand war in seiner liebevollen väterlichen Stimme, die er immer auflegte, wenn er jemand neues in die Gruppe brachte. Er hatte sich ihnen allen zu gedreht und Samira an seine rechte Seite gedrückt. Den Arm schützend um ihre Schulter gelegt. "Sie hat kein zu Hause und wird ab jetzt bei uns wohnen. Heißt sie alle recht herzlich willkommen." Damit sah er jeden einzelnen von ihnen warnend an. "Sie wird Jenny und Marie in Zukunft etwas unterstützen." Geschockt riß Leo die Augen auf und wechselte mit Marco einen Blick, der nicht weniger geschockt war. Das Mädchen konnte kaum älter als 8 sein. Leo hörte gar nicht zu als Mirko erklärte, wer heute wo im Einsatz war. In ihr kochte die Wut und die Hilflosigkeit. Erst als alle auf standen, sich Marco von der Wand stumpte und ihr kurz die linke Schulter drückte erwachte sie aus ihrer Lethargie.

"Leo, mach keinen Scheiß," flüsterte Marco. "Du machst es nur schlimmer."

"Lass mich," fauchte sie und ging auf Mirko zu, als alle draußen waren, einschließlich Samira.

"Was willst du noch? Du hast gehört, was deine Aufgaben für heute sind," blaffte er sie an und sein Blick strahlte eisige Kälte aus.

"Ist das dein fucking Ernst?" fragte Leo ihn geschockt. "Das Mädchen ist doch höchstens acht. Du kannst sie doch nicht den Pennern anbieten." Kaum hatte Leo das gesagt erwischte sie auch schon der harte Schlag von Mirkos Rückhand im Gesicht und ihr Kopf flog zur linken Seite. Dann landete seine linke Hand in ihren Nacken, mit der er sie jetzt brutal fest hielt und gewaltsam in die Küche drückte, um sie mit dem Kopf dort auf den kleinen Esstisch zu schlagen. In Leo blitzten die Sterne auf und der Schmerz raste durch ihr Gesicht.

Auf den zweiten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt