Maulwurf?

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Noch immer rieb sich Leo über den schmerzenden Hals, auch wenn Tom's Hand nun seit fast einer halben Stunde nicht mehr darauf lag und sie frei atmete, während sie im Wohnzimmer auf der Couch saß. Vor ihr war Mirko, der wie ein Tiger auf und ab lief, während Tom seinen Platz an der Wand gegenüber nahe der Wohnzimmertür gefunden hatte. Mit dem Rücken lehnte er gegen das Mauerwerk und hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Auch wenn er gelangweilt aussah, so wusste Leo doch, dass er jeden ihrer und Mirko's Schritte beobachtete.

"Hast du das jetzt alles verstanden?" blaffe Mirko sie an, worauf Leo nur nickte. Ihr war zu schlecht, als dass sie reden konnte. Allein bei der Vorstellung, was Mirko von ihr verlangte drehte sich ihr bereits der Magen um. Leo hatte keine Ahnung wie sie das, was Mirko wollte, in die Tat umsetzen sollte. Juliens Vertrauen erschleichen war das Leichteste, denn schließlich tat er das bereits. Aber wie sie an seine Bankdaten ran kommen, geschweige denn sein Konto leer räumen sollte ... "Ich erwarte einen täglichen Bericht von dir," fuhr Mirko fort. Er hatte seine Schritte vor ihr gestoppt und sah sie nun an. "Solltest du auf meine Nachrichten, Anrufe oder Anweisungen nicht reagieren werde ich mich der hübschen Jenny widmen müssen." Langsam hob Leo den Kopf und bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick, was Mirko jedoch nur lachen ließ. "Spar dir dein Feuer für deine Aufgabe. Da kannst du es besser einsetzen." Leo wagte nichts darauf zu erwidern, statt dessen senkte sie nur ihren Kopf und verschränkte ihre Hände. "Na los verzieh dich. Oder hast du nicht verstanden, was du tun sollst?"

Damit war Leo entlassen. Raus aus dem Haus und angesetzt auf Julien Bam und sein Geld. Sie erhob sich und verließ das Wohnzimmer, ohne Mirko oder Tom noch ein mal an zu sehen. Im Flur überlegte sie kurz, ob sie noch mal hoch zu den anderen sollte, doch sie wusste nicht, was sie ihnen sagen sollte. Die Wahrheit? Das würde zu lange zu erklären dauern und sie hätte ihnen sowieso nicht alles sagen können. Also bog sie nach links zur Haustür ab, öffnete diese und trat hinaus ins Freie. Dort atmete sie kurz durch, bevor sie den Weg zum Hauptbahnhof einschlug, wo sie den nächsten Zug in Richtung Aachen nehmen wollte. Schon nach kurzer Zeit kamen ihr die vielen Menschen entgegen, oder passierten ihren Weg, der sie ebenfalls zum Bahnhof führte, um zur Schule oder zur Arbeit zu kommen. Das machte es für Leo leichter, schwarz fahren zu können, da um diese Uhrzeit weniger kontrolliert wurde. Am Gleis zwei setzte sie sich auf die Bank nahe des Aufzuges und wartete auf den Regional Express, welcher in knapp zehn Minuten einfahren sollte. Kramfhaft überlegte sie, was sie Julien sagen sollte, wenn sie ihm in Aachen angekommen eine Nachricht schicken würde. Sie fuhr sich mit der rechten Hand über den Kopf und ließ die Luft aus ihren Wangen. Am besten war es, wenn sie sich vorher schon etwas glaubwürdiges überlegte, was nicht so ganz gelogen wär. Als der Zug einfuhr und mit quieteschenden Bremsen hielt erhob sie sich von ihrem Platz und stieg mit den anderen Passagieren ein.

Noch bevor der Zug Aachen erreichte hatte Leo eine Idee, was sie Julien schreiben könnte. Also holte sie ihr Handy hervor und textete ihm eine kurze Nachricht, dass sie wieder auf den Weg nach Aachen sei, ob sie sich treffen könnten und dass sie ihm viel zu erzählen hätte. Den Blick nicht von dem Display wendend tippte sie gelegentlich drauf, damit sich der Bildschirm nicht verdunkelte, um den Status von Julien zu beobachten. Doch er änderte sich nicht und blieb konstant bei offline. Als sich auch an der übernächsten Haltestelle nichts tat verstaute sie das Handy wieder in ihrer Jackentasche, ließ den Blick nach draussen schweifen und kaute sich nervös auf der Unterlippe. Was sollte sie nur machen, wenn er sich nicht meldete? Sie hatte doch gar nicht seine Adresse. Und so gut kannte sie sich in Aachen nicht aus, dass sie den Weg zu seinem Haus aus dem Kopf finden würde. Gerade wurde die Haltestelle Aachen Hauptbahnhof durch gegeben und Leo erhob sich kurz darauf, um aus zu steigen. Mit den anderen Menschen ging sie die große Treppe nach unten, die in das Gebäude des Hauptbanhofes führte, von wo aus sie nach rechts abbog, um zum Haupteingang zu gelangen. Kaum dass sie draussen war empfing sie die Sonne mit ihren wärmenden Strahlen, die heute einmal gnädiger weise schien. Das einzige, was einen den Herbst erkennen ließ, waren der kräftige Wind, der nun regelmäßig blies und die verfärbten Blätter, die von den Bäumen herunter fielen und den Boden säumten. In zwei Monaten wäre schon Weihnachten, überlegte Leo gerade, während sie sich auf die Bank setzte, die seitlich zum Haupteingang stand. Es gab zwei Bänke, auf denen man jeweils auf beiden Seiten sitzen konnte und sie waren wie ein T aufgestellt. Leo hatte sich so hin gesetzt, dass sie die kleinen Wasserfontänen sah, die aus dem Boden nur wenige Meter vor ihr empor sprudelten. Leicht nach vorne gebeugt hatte sie die Unterarme auf den Oberschennkeln abgestützt und die Hände zwischen ihren Knien gefaltet. Genauso hatte Julien im Krankenwagen auch da gesessen, fiel es ihr auf, was ihr Herz erneut schwer werden ließ. Ihr kam die Aufgabe, die Mirko ihr erteilt hatte wie ein Verrat und eine Unmöglichkeit vor. Ab und zu blickte sie nach links zum Haupteingang des Bahnhofes oder nach rechts zur Straße, wo auch die Busse abfuhren. Als ein junger Mann an ihr von links nach rechts vorbei lief, der ihr sehr wohl bekannt vor kam, sprang sie auf und rief freudig: "Marius?"

Auf den zweiten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt