Viele kleine Schritte

122 2 0
                                    

Als Julien am nächsten Morgen wach wurde und Leo nicht mehr neben ihm lag war er etwas verwirrt. Er hatte keine Ahnung, wie spät es war, allerdings schien es draussen nicht mehr Nacht zu sein, was er anhand der Helligkeit fest stellte. Müde rieb er sich über das Gesicht und die Haare, bevor er sich aus dem Bett quälte. Auf dem Weg zur Tür schnappte er sich das Handtuch vom Boden, welches er sich wieder um die Hüften band, bevor er den Weg nach unten einschlug. Er hörte schon auf den letzten Stufen den Fernseher im Wohnzimmer, weswegen er auch direkt seinen Blick in den Raum gleiten ließ. Was er da sah ließ ihn lächeln. Leo saß im Schneidersitz auf der Couch, ein Shirt von ihm an und sah gebannt zum Fernseher. Im Durchgang zwischen Flur und Wohnzimmer blieb er stehen, die Arme vor der Brust verschränkt huschte sein Blick von Leo zu 'Avatar' auf dem Fernseher und wieder zurück zu ihr.

"Sag doch, ist ne freshe Serie," bemerkte er amüsiert. Als sie erschrocken zusammen zuckte und ihn ansah musste er leicht lachen. Doch sogleich legte sich ein schmunzeln um ihre Mundwinkel, während ihr Blick über seinen freien Oberkörper glitt. Das Funkeln ihrer Augen, welches dabei zum Vorschein kam, ließ ihn erneut amüsiert grinsen und die Brauen nach oben ziehen. "Ich glaube, ich sollte mir wohl besser was anziehen," bemerkte er. Schon halb in der Drehung vernahm er das leichte Räuspern ihrerseits, was ihn lachen ließ. 'Holy shit, soviel zum Thema langsam heran führen,' dachte er sich. Gerade hatte Julien sich aus dem Schrank etwas zum anziehen heraus geholt, als ihm einfiel, dass sie beide ja noch zur Polizei mussten, um ihre Anzeige zu machen.

"Ich hab vergessen, dass wir noch zur Polizei müssen, wegen der Anzeige," rief er ihr daher vom Flur aus zu, während er sich anzog.

"Okay. Und wann?" hörte Julien ihre Stimme.

Nun fertig angezogen ging er zu ihr, wo er sich neben sie auf die Couch setzte und sie ansah. "Ich würde sagen, wir frühstücken erst was und danach fahren wir zur Polizei."

"Okay," war alles, was Leo nickend sagte.

"Aber vorher würde ich mit dir gerne mal über das Thema Verhütung sprechen." Ihr überraschter Blick ließ Julien breit grinsen. Ihre Hand in seine nehmend fuhr er fort: "Ich hab kein Problem mit Kondomen, aber wir sollten doch über eine Alternative nach denken. Unter der Dusche oder so sind Kondome nämlich so ne Sache."

"Unter der Dusche?" fragte sie ihn verwundert, als hätte er ihr soeben von einer Mars Männchen Invasion erzählt.

Lachend erwiderte Julien: "Es gibt noch so viele schöne Orte, an denen man Sex haben kann, da ist die Dusche noch das Harmloseste." Bei der Vorstellung, mit Julien unter der Dusche Sex zu haben stahl sich ein breites Grinsen auf Leo's Gesicht. "Ohje, ich hab mir ne Nymph erschaffen," lachte Julien theatralisch und ließ Leo damit rot werden. "Na komm, wir gehen jetzt erst mal frühstücken. Dann machen wir uns Gedanken über Verhütung."

Das klang auch für Leo nach einem brauchbaren Plan. Gemeinsam gingen sie in die Küche, um den Tisch zu decken und Kaffee zu kochen. Noch während dem Frühstück meinte Leo, dass sie sich einen Termin bei einem Frauenarzt machen wollte. Da sie nämlich fast keine Ahnung von Verhütungsmitteln hatte schien ihr das die beste Idee und Julien musste ihr da Recht geben. Über sein Händy suchte er nach Frauenärtzinnen, da Leo nicht zu einem Mann wollte, was Julien verstehen konnte. Rein aus dem Bauchgefühl entschied sie sich für eine Ärztin, die in der Stadt war und während Julien die Nummer schon anwählte reichte er ihr das Telefon. Sie konnte gerade noch ihr Toast herunter schlucken, worauf Julien lachen musste, als am anderen Ende der Leitung auch schon abgehoben wurde. Während sie der Frau am Telefon erklärte, worum es ging sah sie Julien eindringlich an, der immer noch breit grinsend vor ihr auf dem Stuhl saß. Mit einem Termin für die kommende Woche beendete sie das Telefonat und reichte das Handy wieder an Julien.

"Nächste Woche Donnerstag soll ich um 16.30 Uhr da sein," sagte sie zu ihm, bevor sie sich wieder über ihr Toast her machte und es schnell auf aß. Sie wollte endlich den blöden Termin bei der Polizei hinter sich haben. Wenn man bedachte, dass sie in den ganzen Jahren immer versucht hatte gerade dieser Behörde aus dem Weg zu gehen, hatte sie seit der Anzeige verdammt viel mit denen zu tun.

Nachdem sie beide fertig gefrühstückt hatten räumte Julien schon mal alles weg, während Leo sich fertig machte. Sie kam gerade wieder runter, als die Haustür auf ging. Erschrocken blieb sie mitten auf der Treppe stehen, da ihr ein Deja vu von Freitag vor Augen kam, doch es waren Passi und Marius, die ins Haus traten, was Leo erleichtert aufatmen ließ

"Hey Leo," begrüßte Passi sie, der als Erster eingetreten war. Hinter ihm direkt Marius, der sie etwas abwartend ansah, bevor er sie ebenfalls begrüßte.

"Hi Passi, hi Marius," begrüßte sie die beiden ebenfalls und bemerkte das erleichterte Grinsen um die Mundwinkel des jungen Mannes, der für die Special Effects zuständig war.

"Dir geht's wieder gut?" fragte er trotzdem vorsichtig.

"Na bis auf die Hand," dabei hob sie die Genannte hoch. "Aber sonst ... ja. Wieder alles gut." Jetzt nahm sie auch die letzten Stufen und wandte sich wieder in Richtung Wohnzimmer, um noch ein paar Minuten Avatar zu schauen, bis Julien auch fertig runter kommen würde.

"Oh, du guckst Avatar?" fragte Marius begeistert, der ihr ins Wohnzimmer gefolgt war.

"Ja, die ist voll gut die Serie," schwärmte sie schon fast.

"Ja ich weiß, ich feier die auch voll." Die Augen zum Fernseher gerichtet setzte er sich zu ihr auf die Couch.

"Ähm Marius," riss Passi ihn aus seinem tun. "Oben wartet Arbeit auf uns."

Widerstrebend erhob sich Marius schnaufend.

"Ja so ging es mir vorhin auch," bemerkte Leo lachend.

Aber auch sie konnte die Folge nicht lange genießen, denn nur wenige Minuten, nachdem die beiden Jungs nach oben verschwunden waren hörte sie Julien auch schon auf der Balustrade im ersten Stock. Und schon kam er die Stufen herunter geeilt. Also schaltete Leo den Fernseher mit einem wehleidigen Blick aus, bevor sie sich erhob.

"Da hab ich dir was gezeigt." Julien lehnte an der Treppe und grinste sie an. "Aber du bist ja eh für die nächste Zeit krank geschrieben, da kannst du dich durch alle Staffeln durch suchten."

"Stimmt," stellte sie grinsend fest und freute sich zum ersten Mal darauf nichts zu tun zu haben.

Bevor Julien jedoch zur Polizei fuhr machte er mit Leo Halt bei ihrer Arbeit, damit sie dort ihre Krankmeldung abgeben konnte. Zusammen stiegen sie aus und Julien hielt ihr die Tür des Getränkemarktes aus. Herr Winter stand hinter der Kasse und blickte Leo erstaunt an, als sie mit Julien auf ihn zu kam.

"Leo, was machst du denn hier?" fragte er sie verwundert.

Mit einem schiefen Lächeln hielt sie ihm die Krankmeldung hin. "Ich fall erst mal aus."

"Mein Gott Kind, was ist denn passiert?" Erschrocken besah er sich ihre bandagierte Hand, die sie auf dem Thresen abgelegt hatte. "Waren das wieder diese Männer?"

Leo's Blick trübte sich etwas, als sie daran denken musste und nickte. "Ja, sie sind am Samstag aufgetaucht." Kurz stockte sie, bevor sie weiter sprach. "Aber sie sind jetzt fest genommen."

"Aber sonst geht es dir gut?" erkundigte Herr Winter sich.

"Ja, ich hab nur das Handgelenk gebrochen und ein paar blaue Flecke. Ju war Gott sei Dank rechtzeitig da," dabei sah sie ihn dankbar lächelnd an, der ihr beschützend den Arm um die Schulter legte und sie kurz an sich zog.

"Na sie haben aber auch was ab bekommen, wie ich sehe," stellte der Getränkemarkt Besitzer an Julien gewandt fest.

"Ist nur ne Platzwunde," wiegelte er ab.

"Dann bin ich aber froh, dass die beiden Kerle jetzt endlich hinter Gittern sind und euch nichts weiter schlimmes passiert ist." Der alte Mann sah die beiden schon fast liebevoll an, was Julien und Leo lächeln ließ. "Ja gut, dann schon dich Mädel und werd erst mal wieder gesund. Alles andere wird sich schon regeln." Er strich ihr noch kurz über die gesunde Hand, dann verließen Julien und Leo ihn auch wieder, um ihren schwierigsten Gang zur Polizei zu machen.

Auf den zweiten BlickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt